DiCaprio in "The Revenant" MacGyver im Wilden Westen
06.01.2016, 09:41 UhrWird Leonardo DiCaprio von einem Bären vergewaltigt? Erste Szenen aus "The Revenant" sorgten schon im Vorfeld für Aufregung. Und auch nach Kinostart bietet der Streifen Gesprächsstoff. Bringt er DiCaprio endlich den Oscar?
Keine Frage: Leonardo DiCaprio hätte den Oscar allmählich wirklich verdient. Schon damals, als gerade mal 20-Jährigem, hätte man ihm für "Gilbert Grape - Irgendwo in Iowa" die Trophäe allemal in die Hand drücken können. Und auch später wäre es mehr als nur einmal durchaus gerechtfertigt gewesen, ihn nicht nur für die Auszeichnung zu nominieren, sondern sie ihm auch zu geben - ob für "The Aviator", "Blood Diamond" oder "The Wolf of Wall Street". Dass er de facto aber bis heute immer noch ohne kleine Goldstatue dasteht, gilt inzwischen schon als Running Gag.

Vom "Wolf of Wall Street" zum Pelzjäger: Leonardo DiCaprio in "The Revenant".
(Foto: Twentieth Century Fox)
Wird der Bann mit "The Revenant" endlich durchbrochen? Die Vorzeichen scheinen - wieder einmal - gut zu stehen. Bei den Golden Globes, die traditionell als Gradmesser für die Oscars gelten, ist "The Revenant" in insgesamt vier Kategorien nominiert, darunter die Nominierung von DiCaprio als bester Hauptdarsteller in einem Drama. Und auch sonst zog der Streifen schon vor Kinostart die Aufmerksamkeit auf sich, wenngleich aus einem etwas skurrilen Grund. Erste Filmszenen, die DiCaprio beim Kampf mit einem Bären zeigen, warfen bei manchen Betrachtern doch tatsächlich die Frage auf: Wird der Schauspieler von dem Tier vergewaltigt? Nein, sah sich das Filmstudio Fox zu einem offiziellen Dementi genötigt. "Es gibt eindeutig keine Vergewaltigungsszene mit einem Bären."
Bewerbungsschreiben für die Oscars
DiCaprio selbst bezeichnet die Rolle als Trapper Hugh Glass in dem Film als die härteste Aufgabe in seiner bisherigen Karriere. "Es gab ungefähr 40 Szenen, bei denen ich viel Überwindung aufbringen musste und wirklich an meine Grenzen kam", sagte er dem "Playboy". Und: "Ich bin in eisigen Flüssen geschwommen, habe als Vegetarier rohe Bison-Leber gegessen und mich in echte Tierkadaver gelegt, der Wärme wegen. Ich war ständig unterkühlt, denn wir haben in einem der abgelegensten Gebiete Kanadas gedreht, bei eisigem Wind und Temperaturen um die minus 25 Grad."
Tatsächlich wirkt "The Revenant" wie ein einziges langes Bewerbungsschreiben für die Oscars. Das gilt nicht nur für den Einsatz DiCaprios, sondern für das ganze Epos an sich. Regisseur Alejandro González Iñárritu, der vergangenes Jahr für "Birdman" den Regie-Oscar und drei weitere Academy Awards einheimste, schickt sich auf diversen Ebenen an, den Erfolg prompt zu wiederholen. Wie? Indem er wieder einmal gängige Hollywood-Muster durchbricht.
Das fängt schon beim Genre an. Denn wenngleich der Film im "Wilden Westen" spielt - inklusive Bleichgesichtern, Pferden, Gewehren und Indianern - handelt es sich nicht wirklich um einen Western. Stattdessen erinnert die Story eher an eine Variante von "Soweit die Füße tragen" zur Zeit der Besiedlung Amerikas im frühen 19. Jahrhundert, während Erzählweise und Ästhetik des Streifens an Mel Gibsons "Apocalypto" heranreichen. Kurzum: "The Revenant" ist extrem bildgewaltig - und "Winnetou" ist anders.
Wahre Begebenheiten und Fiktion
Trapper Hugh Glass gehört zu einer Gruppe von Pelzjägern in der amerikanischen Wildnis, die von Indianern angegriffen wird. Unter schweren Verlusten gelingt ihm mit einigen Kumpanen und seinem halbindianischen Sohn Hawk (Forrest Goodluck) die Flucht, doch die Indianer bleiben den noch lebenden Jägern auf den Fersen. Und es kommt noch schlimmer: Glass wird von einem Grizzly attackiert (nicht vergewaltigt!) und schwer verletzt. Beinahe mehr tot als lebendig, entschließen sich seine Mitstreiter, ihn zurückzulassen, um ihre Flucht nicht durch ihn zu beschweren. Doch Glass kämpft sich trotz seiner Verwundungen zurück ins Leben und tritt den beschwerlichen Heimweg zu seinem Basislager an. Er sinnt auf Rache, insbesondere an seinem größten Widersacher John Fitzgerald (Tom Hardy).
Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten - den von einem Bären verletzten, zurückgelassenen und sich durch die Prärie kämpfenden Trapper Hugh Glass hat es tatsächlich gegeben. Ob er dabei jedoch wirklich ähnlich spektakuläre Überlebensstrategien entwickelte wie DiCaprio im Film, darf getrost bezweifelt werden. Streckenweise kommt der Schauspieler schon beinahe wie ein MacGyver im Bärenfell daher.
Geduld und Sitzfleisch
Das ist genau das Problem von "The Revenant": Irgendwie ist alles ein bisschen zu viel. Zu viele Fast-Tode der Hauptfigur, zu viele Happy Ends in aussichtslosen Situationen, zu viele Tricks 17, zu viel Bemühen um eine möglichst hyperauthentische Bildsprache, zu viele sprachlos sinnierende Szenen und dadurch auch zu viele Längen in der Erzählung. Iñárritus Herangehensweise mag unkonventionell sein, verlangt dem Zuschauer bei dem mehr als zweieinhalb Stunden langen Werk aber auch jede Menge Geduld und Sitzfleisch ab. Auf der Oscars-Bühne mag das verfangen, beim großen Publikum indes dürfte es der Film deutlich schwerer haben.
Ja, Leonardo DiCaprio wäre der Oscar in der Tat endlich zu gönnen. Vielleicht bekommt er ihn auch wirklich für "The Revenant". Doch angebrachter wäre es, er bekäme ihn für einen anderen Film - leider.
"The Revenant" läuft ab sofort in den deutschen Kinos
Quelle: ntv.de