Mit dem "Ballon" in die Freiheit Michael Bully Herbig kann auch anders
26.09.2018, 16:53 Uhr
David Kross als Günter Wetzel beim Zusammennähen der einzelnen Stoffbahnen.
(Foto: dpa)
Eine Wahnsinns-Story! Und wenn sie nicht wahr wäre, dann würde man an manchen Stellen denken, dass das übertrieben ist. Bully, der jetzt mehr der Michael Herbig ist, ist doch fürs Komische zuständig. "Ballon" ist aber ein ernsthaftes Meisterwerk.
39 Jahre nachdem die Familien Wetzel und Strelzyk mit ihrem selbst gebauten Heißluftballon aus der DDR geflohen sind, lässt Michael Bully Herbig seinen "Ballon" im Kino steigen. Für die Hauptdarsteller Friedrich Mücke, Karoline Schuch, David Kross, Alicia von Rittberg, Thomas Kretschmann und Jonas Holdenrieder sowie den Regisseur gab es zur Premiere Dauerbeifall. Besonders berührend: der Auftritt der Familien Petra, Günter und Peter Wetzel sowie Doris Strelzyk, Andreas Strelzyk und Frank Riedmann, auf deren spektakulärer Geschichte der Thriller basiert. Die beiden Familien haben 1979 alles gewagt und mit einem selbst gefertigten Heißluftballon - zu acht in einer winzigen Gondel - die Flucht aus der DDR in die Freiheit gewagt. In seinem ersten Thriller erzählt Michael Bully Herbig die Flucht der beiden Familien als atemlosen Wettlauf gegen die Zeit. n-tv.de hat Michael Bully Herbig in Berlin getroffen und mit ihm über früher und heute, DDR und BRD, die Mauer und das Vergessen gesprochen.
n-tv.de: Man kennt das Ende des Films - und trotzdem: Ich habe mir beim Ansehen ein bis drei Fingernägel abgeknabbert ….
Michael Herbig: Oh wie schön (lacht) …
Wie sind Sie denn da rangegangen, um den Film dennoch so spannend zu machen?
Zum einen hatte ich natürlich die Hoffnung, dass es den einen oder anderen Zuschauer gibt, der die Geschichte nicht kennt, jüngere Zuschauer zum Beispiel, aber herangegangen bin ich tatsächlich so, dass ich mich gefragt habe, wie mache ich es für die spannend, die die Story schon kennen? Dazu müssen die Leute dranbleiben, man könnte sie auf eine falsche Fährte locken. Und dann habe ich mich daran erinnert, wie es mir damals mit "Titanic" ging, da kennt ja auch jeder das Ende.
Und wie hat "Titanic" Sie letztendlich "gekriegt"?
Durch Emotionen und persönliche Geschichten. Durch Figuren, mit denen du dich identifizieren kannst. Plötzlich habe ich mir gewünscht, dass sie am Ende doch am Eisberg vorbeifahren. Und den Ehrgeiz hatte ich jetzt bei '"Ballon" auch. Ich hantiere mit diesen Instrumenten, also Spannung aufbauen und den Gedanken, dass es ja doch alles ganz anders kommen könnte. Am Schönsten war für mich die Reaktion der Frau Wetzel ….
… der echten Frau Wetzel?
Ja. Ich habe beiden Familien, Wetzel und Strelzyk, den Film zuerst gezeigt, auch, weil Herr Wetzel von Anfang an recht skeptisch war. Er stand als Berater zur Verfügung, war aber von der Verfilmung aus den Achtzigern sehr enttäuscht, dementsprechend vorsichtig war er nun mir gegenüber. Also, wir haben den Film angeguckt, ich links, Frau und Herr Wetzel rechts von mir, und es war zwei Stunden lang total still, keine Kommentare, keine Reaktionen, und dann, als der Film zu Ende war, gab es eine – ich nenn' es mal: emotionale Explosion von der Frau Wetzel.
Wie sah die aus?
David Kross, Alicia von Rittberg und die Zeitzeugen Petra und Günter Wetzel bei der Premiere des Films in München.
(Foto: dpa)
Sie hat geklatscht, ist mir um den Hals gefallen, ihr liefen die Tränen runter und sie sagte: "Wenn jemand weiß, wie die Geschichte ausgeht, dann bin ja ich das, aber ich habe die ganze Zeit mitgefiebert, ob wir es schaffen!". Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass das funktionieren kann.
Ich kann mich an den "Stern"-Titel mit dem Flucht-Ballon darauf von damals erinnern, das hat mich damals unheimlich beeindruckt als Kind.
Mich auch!
Ich habe das Gefühl, dass der Film Kindern von heute ein bisschen veranschaulichen kann, wie das damals gewesen ist … Dass sie ein Gefühl vermittelt bekommen, wie es im geteilten Deutschland gewesen ist.
Wenn der Film das kann, dann ist das natürlich ein Traum. Ich habe im Vorfeld ganz unterschiedlichen Leuten den Film gezeigt, noch vor dem Feinschnitt, Leuten aus dem Osten, dem Westen, mit oder ohne DDR-Erfahrung, Jungen, Alten. Und ich habe immer versucht, mich in die Situation zu versetzen, als ich, sagen wir mal, zwölf war. Ich bin aufgewachsen mit der Selbstverständlichkeit der DDR. In meinem Leben als Kind war die DDR immer da.
Aber von München aus betrachtet …
Genau. Meine Familie - ich bin mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen - hatte keinen Bezug zur DDR, wir hatten dort weder Freunde noch Familie. Nach der Test-Vorführung habe ich ein zwölfjähriges Mädchen gefragt, ob sie alles verstanden hat oder ob sie zumindest in der Schule davon gehört hat, dass Deutschland einmal geteilt war. Hatte sie nicht. Und was hast du verstanden? habe ich sie gefragt. Ich kann das nicht verstehen, sagte sie, wer ist denn auf diese Idee mit der Grenze gekommen und warum? Sie konnte nicht verstehen, dass man Menschen davon abhalten möchte, "rauszugehen", wohingegen anderen ja "reingehen" durften. Jemanden daran zu hindern, hinzugehen, wo man will, und das, wenn man es doch durchzieht, womöglich mit dem Leben zu bezahlen, das konnte sie nicht verstehen.
"Plötzlich wird es einem klar, was für ein Glücksfall das ist!" Der Regisseur denkt vorerst übrigens nicht an weitere Komödien.
(Foto: dpa)
Verständlicherweise …
Sie konnte das alles emotional nachvollziehen. Sie fand es gruselig. Und wenn der Film ein bisschen dazu beiträgt - einer jungen Generation, die mit der Selbstverständlichkeit aufwächst, dass es bei uns eben keine Mauern gibt, dass wir in einem freien Europa leben, dass wir reisen können, wohin wir wollen, wenn sich diese Generation dann später dafür einsetzt, dass so etwas nicht noch einmal passiert - dann hat der Film, bei aller Unterhaltung, ja etwas erreicht. Und das würde mir in aller Bescheidenheit sehr gut gefallen (lächelt).
Mich hat sehr beeindruckt, wie die Familien weitermachen, nachdem sie gescheitert waren. Es handelte sich nur um ein paar Meter …. Ich habe früher oft gedacht, dass es sich tatsächlich nur um ein paar Meter gehandelt hat, wo man aufwuchs. Vor oder hinter der Mauer …
Ja, und plötzlich wird einem klar, dass es ein absoluter Glücksfall ist, wo und wann man geboren wird. Meine Großeltern wurden als Sudetendeutsche vertrieben und sind in Bayern gelandet. Sie hätten aber auch in Thüringen landen können, dann wäre ich vermutlich dort aufgewachsen. Das gilt überall auf der Welt, finde ich, es ist eine reine Glückssache, wo man aufwächst.
Ich finde, der Film passt ganz wunderbar in unsere Zeit, denn er verdeutlicht, was man selbst auch tun wollen würde, wenn es einem nicht mehr gefällt, wo man lebt: Man würde gehen. Man würde seine Sachen packen und gehen. Zumindest hätte man die Möglichkeit. Die haben und hatten viele andere nicht. Und wenn ich mich dann durchgerungen habe, meine Heimat, mein Haus, meine Arbeit, meine Familie, meine Freunde zu verlassen, dann möchte ich irgendwo ankommen, wo ich nicht angefeindet werde, weil ich anders aussehe oder weil ich ein besseres Leben für meine Kinder wünsche.
Das ist wahr. Heute wird überhaupt nicht mehr differenziert, und nur noch die Lautesten werden gehört. Meinungen von anderen werden nicht mehr respektiert und, der, der den anderen überschreit, der hat recht. Da ist viel passiert in den letzten Jahren, nicht zum Guten.
Die Szene, wo die Familie am Fenster eines Ost-Berliner Hotels steht und "rüber" in den Westen blickt und sagt: "Ganz schön nah, oder?", die finde ich irre beklemmend.
Solche Szenen lösen tatsächlich etwas aus. Eine andere Situation aus dem Film ist die, wo die Familie versucht, eine Nachricht in die US-Botschaft zu schmuggeln. Dazu meinte jemand zu mir, dass er die Szene mit der Zigarettenschachtel sehr "krimi-artig" und wenig realistisch fand. Ein anderer aber hat sofort widersprochen und gesagt: "Du glaubst ja gar nicht, was wir alles unternommen haben. Jede noch so dumme oder naive Idee hätte ja vielleicht funktionieren können, es gab immer die Hoffnung, dass es klappen könnte."
Die unglaublichsten Geschichten schreibt tatsächlich das Leben. An den Stellen im Film, an denen man einwenden könnte, dass das jetzt aber ganz und gar unglaubwürdig ist, muss man sich einfach nur klarmachen: Es ist genauso passiert.
(lacht) Ja, stimmt. Ich gebe zu, dass ich natürlich an manchen Stellen das Tempo aus dramaturgischen Gründen etwas angezogen habe, aber grundsätzlich ist alles so passiert. Jede Figur im Film steht auch für eine gewisse Haltung innerhalb der Gesellschaft: diejenigen, die um jeden Preis weg wollten, diejenigen, die sich arrangiert hatten oder dazu bereit waren oder die Linientreuen bis hin zum Oberstleutnant …
… dargestellt von Thomas Kretschmann …
… man muss die einzelnen Personen nicht verstehen oder mögen, aber man hat die Möglichkeit, sie nachzuvollziehen. Und weil Sie Thomas Kretschmann erwähnt haben - der wollte diese Rolle unbedingt spielen. Und ich bin so froh darüber! Aber er war nach jedem Drehtag ausgelaugt, denn das alles hat natürlich wieder Wunden in ihm aufgerissen. In den sechs, sieben Jahren, in denen ich mich mit dem Film jetzt beschäftigt habe, habe ich immer wieder erlebt, dass es kein einfaches Schwarz-Weiß gibt.
Wann standen die Schauspieler für Sie fest?
Mir waren die Details wichtig. Vor allem die DNA. Aus diesem Grund bin ich auch nochmal mit Leander Haußmann durch das Drehbuch gegangen und bei den Schauspielern standen relativ schnell Friedrich Mücke und später Karoline Schuch fest. Thomas wollte diese Rolle unbedingt. Bereits vor Jahren hatte er mich auf eine Zusammenarbeit angesprochen, dachte dabei aber eher an Komödie. Dann habe ich ihm aber dieses Drehbuch geschickt. Er war sofort Feuer und Flamme und hatte sogar Befürchtungen, dass er die Rolle nicht bekommen könnte.
Hat ja geklappt …
Er konnte mich dabei unterstützen, wie auch andere, die eine DDR-Vergangenheit haben, dass mir keine Fehler unterlaufen. Dafür bin ich sehr dankbar.
Dann kommen wir mal zu der Wandlung, die Sie persönlich mit diesem Film vielleicht erfahren: Vom lustigen Bully zum ernsthaften Michael - befürchten Sie da Kommentare à la "Kann der nicht einfach weiter komische Filme machen"?
(lacht) Ja, klar, "Schuster bleib' bei deinen Leisten" habe ich mal irgendwo gehört. Oder. "Jetzt kommt der lustige Bayer und will uns erzählen, wie die DDR funktioniert hat". Kenne ich alles schon! Ich war aber darauf vorbereitet. Außerdem führe ich ja eine Art Doppelleben: Mein Gesicht wird mit Komödie in Verbindung gebracht, stimmt. Aber den Bully, der hinter der Kamera steht, den kennt man noch nicht so gut. Ich verbringe aber die meiste Zeit meines Lebens hinter der Kamera. Bei den Komödien ist es übrigens auch nicht durchgehend witzig beim Drehen. Für mich ist das jetzt also alles völlig normal. Und grundsätzlich bin ich Filmemacher geworden, weil ich Hitchcock-Fan bin.
Sie mussten die Rechte ja noch abklären mit Hollywood, weil dort der Stoff vor Jahren schon verfilmt wurde …
Ja, und da hat mir Roland Emmerich sehr geholfen.
War das nicht eine anstrengende Zeit, in der alles noch so unklar war: Man will ein Thema unbedingt haben und bearbeiten und weiß nicht, ob man auch wirklich darf?
Ja, schon, aber ich habe diese ganze Situation so angenommen. Ich wurde gezwungen, mich noch länger mit der Thematik auseinanderzusetzen, und das war gut so. Außerdem konnte ich in der Zwischenzeit noch andere Filme drehen. Und anderen Kollegen über die Schulter gucken: Helmut Dietl, Joseph Vilsmaier, Wolfgang Petersen, alles Granaten! Das war wie Fortbildung.
Das heißt auch, diesen Film hätten Sie vor zehn Jahren vielleicht gar nicht drehen können?
Genau, ich habe das Gefühl, dass ich jetzt mehr Lebenserfahrung habe, ich bin beispielsweise selbst Vater und weiß, wie es sich anfühlt, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen. Die Familien sind ja ein unglaubliches Risiko mit ihrem Fluchtvorhaben eingegangen.
Ihr Vorhaben - ein "Wessi" - angefüllt mit irre vielen Informationen von Betroffenen und Zeitzeugen - macht einen Film über ein "Ossi"-Thema, ist vielleicht genau die richtige Mischung …
Das hoffe ich doch sehr. Vielleicht hat es dem Film auch gutgetan, dass jemand von außen auf die Geschichte blickt. Meine Frage war früher auch: Warum war das so? Warum mussten diese beiden Familien unbedingt flüchten? Heute stelle ich diese Fragen nicht mehr.
Mit Michael Bully Herbig sprach Sabine Oelmann
"Ballon" startet am 27. September in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de