Cooler als McQueen Ryan Gosling brilliert in "Drive"
02.07.2012, 07:49 Uhr
Der Driver (Gosling) liebt Autos.
(Foto: Universum Film)
Tagsüber ist der Driver Mechaniker und Stuntfahrer, nachts sitzt er am Steuer von Fluchtwagen. Sein Leben verbringt er im Auto, alles läuft rund. Bis er Irene trifft - und der Motor ins Stottern kommt. "Drive" ist Großstadtballade und brutaler Gangsterfilm in einem. "Drive" ist atmosphärisch und furios. "Drive" ist ein Meisterwerk.
Downtown L.A. taucht nur kurz auf, aus der Vogelperspektive. Funkelnde Wolkenkratzer in der Ferne. Das ist nicht die Welt des Drivers (Ryan Gosling), der in diesem Film keinen anderen Namen bekommt. Er sitzt in seinem Wagen und fährt durch die Straßen. Ziellos. Die nächtliche Welt außerhalb des Autos verschwimmt, Lichter und Werbetafeln huschen vorbei.
Das Auto ist das Rückzugsgebiet des Drivers, es ist seine Welt. Tagsüber arbeitet er als Mechaniker oder als Stuntfahrer beim Film. Nachts fährt er umher - oder er steuert Fluchtautos, etwa bei Einbrüchen. Der Driver folgt nur seinen eigenen Regeln, er duldet keine Verspätung. Dafür bleibt die Polizei chancenlos, denn Auto und Straße beherrscht der Driver wie kein Zweiter.
Die erste Viertelstunde von "Drive" gehört zu den stimmungsvollsten Momenten der letzten Kinojahre. Sie zieht den Zuschauer tief hinein in dieses Leben, das außer dem Highway nur wenig kennt. Bezeichnend ist die Szene, in der Driver nach einem erledigten Auftrag in seine schäbige Wohnung zurückkommt, doch die Tristesse lässt ihn noch auf der Türschwelle umkehren, zurück zu seinem Auto, zurück auf den Asphalt. Untermalt von kühler, elektronischer Musik spiegeln diese grandiosen 15 Minuten seine tiefe Einsamkeit wider.
Christina Hendricks und Bryan Cranston
Doch dann begegnet Driver seiner Nachbarin Irene (Carey Mulligan). Sie ist alleinerziehende Mutter, ihr Mann sitzt im Knast. Driver freundet sich mit ihr und ihrem Sohn an, er entwickelt Gefühle für sie. Es ist der Moment, in dem sein Leben, das bisher wie ein perfekt geölter Motor lief, ins Stottern gerät. Es ist der Beginn einer verhängnisvollen Kettenreaktion.
Als Irenes Mann Standard aus dem Knast entlassen wird, hält Driver den Kontakt zu der kleinen Familie aufrecht. Doch Standard gerät in Schwierigkeiten, er hat Schulden aus dem Gefängnis zu begleichen. Als er zusammengeschlagen wird und auch Irene und ihr Sohn bedroht werden, greift der Driver ein. Er beteiligt sich an einem Raubüberfall auf ein Pfandhaus, der die Schulden begleichen soll.
Doch etwas geht schief. Standard wird erschossen und Driver erfährt, dass das gestohlene Geld der Mafia gehört, die nun Jagd auf ihn macht. Und sie kreisen ihn immer mehr ein. Sowohl Komplizin Blanche (Christina Hendricks, die Rothaarige aus "Mad Men") als auch Drivers Freund Shannon (großartig: Bryan Cranston aus "Breaking Bad") müssen dran glauben. In die Enge getrieben, startet der Driver einen blutigen Rachefeldzug. Um Irene zu schützen, muss er seine Liebe zu ihr aufs Spiel setzen.
Großstadtdrama und Gangsterfilm
"Drive" ist beides: atmosphärisch dichtes Großstadtdrama und actiongeladener Gangsterfilm. Der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn, der für den Film in Cannes den Regiepreis gewann, verbindet beides meisterlich und macht sein Hollywood-Debüt (nach einem Roman des US-Autors James Sallis) zu einem Meisterwerk.
Die Gewalt in "Drive", aber auch die schnellen Autos erinnern an die harten Thriller der 70er Jahre, die Darstellung der Gangster-Unterschicht an Scorseses "Good Fellas", die Verlorenheit der Hauptfigur und die kühle, elektronische Musik, die viel zur Stimmung beiträgt, hat stellenweise gar Anklänge an "Lost in Translation" zu bieten.
Zusammengehalten wird alles durch ein exzellentes Ensemble, allen voran Ryan Gosling und Bryan Cranston. Nur Carey Mulligan ist zwar wie stets wunderbar, doch für die Frau eines Gangsters etwas zu scheu. Der Kanadier Gosling wiederum hat sich bereits in den letzten Jahren mit etlichen hervorragenden Independent-Produktionen einen Namen gemacht, darunter "Half Nelson", "Blue Valentine", und auch mit George Clooney.
"Taxi Driver" und "Heat"
Mit "Drive" liefert er erneut eine Glanzleistung ab, die in Erinnerung bleiben wird. Er gibt sich hier noch wortkarger, noch cooler als , dessen "Bullitt" mit seinen Verfolgungsjagden immer wieder anklingt. Doch mehr noch sind es zwei Rollen Robert De Niros, die angesichts des Drivers ins Gedächtnis kommen: Da ist einerseits der "Taxi Driver", der sich auf einen blutigen Rachefeldzug begibt, um eine junge Prostituierte aus den Fängen ihres Zuhälters zu befreien.
Da ist aber vor allem Neil McCauley aus Michael Manns "Heat", in dem De Niro neben Al Pacino spielt. Der Film hat den Handlungsort Los Angeles mit "Drive" gemein, und auch die Optik erinnert immer wieder an den Thriller von 1995. Zudem ist McCauley wie der Driver ein einsamer, rastloser Mensch, dessen perfektes, kühles Leben langsam aus den Fugen gerät. Von dieser Darstellung De Niros übernimmt Gosling die reduzierte Mimik, die nicht zu viel verraten will und Gefühle nur in feinsten Nuancen zeigt.
Das sieht man fabelhaft an der Szene, in der Driver Irene anspricht: Er überlegt lange, er wägt genau ab, ob er sich auf eine zwischenmenschliche Beziehung einlassen sollte. Doch hinter dieser coolen, zurückhaltenden Fassade schlummert die Gewalt, die ausbricht, als erst Irenes und schließlich das eigene Leben bedroht wird. "Drive" ist ein grandioser Film, der neben dem Hauptdarsteller vor allem mit seiner Optik und Atmosphäre überzeugen kann, während die harten Gewaltszenen einige Zuschauer abschrecken dürften.
DVD und Blu-ray erscheinen bei Universum und sind ab 18 Jahren erhältlich. Als Extras bieten beide Formate den Trailer, ein Making of, Interviews mit Crew und Cast, B-Roll sowie vier Featurettes.
Quelle: ntv.de