Musik

Ein Franzose in Argentinien Benjamin Biolay, intensiver Tagträumer

Benjamin Biolay in Buenos Aires - sicher eine seiner größten Lieben.

Benjamin Biolay in Buenos Aires - sicher eine seiner größten Lieben.

(Foto: Mathias Augustiniak)

Benjamin Biolay, Sänger, Songwriter, Schauspieler und Produzent, hat 15 Jahre nach seinem Debütalbum eine beeindruckende Reife und Souveränität erreicht: "Palermo Hollywood" klingt über weite Strecken wie der vielbeschworene Soundtrack zu einem imaginären Film, ist aber vor allem das kreative Resultat einer Reise nach Buenos Aires, wo knapp die Hälfte der Songs entstand. Benannt nach Palermo, dem größten Stadtteil von Buenos Aires, in dem ein paar Straßenzüge tatsächlich Palermo Hollywood heißen, hat Biolay eher die Melancholie des Tangos als den Tango selbst aufgegriffen. Zwischen Cinema und Cumbia, Charango und Chanson, Pop und Pathos, Experiment und Elegie, Fußball und Fiesta entwickelt Biolay ein farbenprächtiges Kaleidoskop an Stimmungen. Musikalisch ungemein reich und variabel, bieten auch die Songtexte ein Wechselbad der Gefühle: mal melancholisch, nahezu morbide, mal fröhlich bis hin zu furios. Unterstützt wird der Wahlpariser von Gastsängerinnen wie seiner Ex-Frau Chiara Mastroianni, seiner besten Freundin Sofía Wilhelmi und Alika. Wir trafen den Chansonnier im Hotel Michelberger in Berlin.

n-tv.de: Benjamin, wie wichtig ist es Ihnen, ein Album zu machen und nicht nur einfach ein paar Songs?

Benjamin Biolay: Sehr wichtig. Nur Songs für den schnellen Erfolg zu schreiben, das war noch nie mein Ding. Meine Absicht war, so eine Art Film aus Musik zu schreiben.

An welchen Film haben Sie gedacht?  

An meinen Film, meinen ganz persönlichen Film (lacht).

Heißt das, dass Sie daran denken, einen Film zu machen?

Vielleicht. Ja, vielleicht werde ich einen Film machen. Aber vielleicht trete ich auch nur als Mentor in Erscheinung, ich mische gerne Bilder und Musik in meinem Kopf.

Waren Sie ein verträumtes Kind? Ein Kind, das sich per Kopfkino manchmal aus dem aktuellen Tagesgeschehen geträumt hat?

Ja, auf jeden Fall. Ich hatte immer eine große Fantasie. Ich glaube sogar, dass meine Vorstellungskraft, meine Träume und Ideen mich manchmal vor Schwierigkeiten geschützt hat. Aber da war immer mehr Musik in meinem Kopf als Filme.

Bringen einen Tagträume nicht manchmal auch erst in Schwierigkeiten?  

Natürlich, keine Frage! In große Schwierigkeiten (lächelt).

Das Album, es heißt "Palermo Hollywood", hat ganz viel mit Buenos Aires zu tun. Was ist da in Argentinien, das Sie so fasziniert?

(Foto: Mathias Augustiniak)

Ich war vor sehr langer Zeit in Buenos Aires, und es lässt mich seitdem nicht mehr los. Ich bin verliebt in diese Stadt, es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe seitdem oft dort gespielt, anscheinend gibt es da ein paar Leute, die meine Musik mögen. Und ich mag diesen südamerikanischen way of life. Es ist meine andere, meine zweite Heimat. 

Meine Traumstadt ist Santiago de Chile …

… verstehe ich, aber das ist ganz anders dort als in Buenos Aires. Dennoch haben beide Städte etwas gemeinsam: Sie erinnern an alte Städte aus Europa. Man fühlt sich nicht fremd und kommt gut an. Die Strukturen sind aber trotzdem anders, noch viel familiärer als bei uns.

Was ist der größte Unterschied, wenn man auf beiden Kontinenten arbeitet, Südamerika und Europa?

In Südamerika ist alles sehr bunt, viele Leute kommen aus Italien, Frankreich, Russland, Polen. Alle sind sich ihrer Geschichte und ihrer Vergangenheit sehr bewusst. In Chile sind dagegen viele Deutsche. Die Chilenen und die Argentinier sind sehr unterschiedlich, haben aber eines gemeinsam: Patagonien.

Zwei andere Städtenamen: Palermo und Hollywood …

Oh ja, aber damit meine ich zwei Straßen in Buenos Aires, um ehrlich zu sein. Das umfasst mehrere Blöcke.

Aber haben Sie Verbindungen zu den Originalstädten?

Ich liebe Palermo, aber ich bin überhaupt kein Fan von Kalifornien. Nicht meine Gegend.

Nervt es Sie eigentlich, wenn man Sie in die Chanson-Ecke stellt? Wären Sie nicht lieber ein Rockstar?

Ich will kein Rockstar sein! Ich kenne einige. Sie sind ganz schön fucked up (lacht). Es ist oft sehr kompliziert für Rockstars. Und ich singe Chansons, basta. Als Musiker kann ich rockiger sein, wenn ich will, aber wenn ich singe, bin ich Chansonnier. Ich kann mit diesem Label auch gut leben. Das bin ich.

Biolay_Palermo Hollywood_315x315_300dpi.jpg

Sind Sie ein Workaholic?

Das letzte Album von mir ist ein Cover-Album, das ist also nicht so besonders anstrengend gewesen. Aber ich denke schon, ja, ich arbeite gerne. Und wenn man ein Album selbst macht, dann ist man da sehr tief drin, so wie jetzt, das war ein langer, harter Prozess.

Wenn ich nun also Lieder höre auf Ihrem Album wie "Ballade Francaise", dann denke ich sofort an Catherine Deneuve und Michel Piccoli und Romy Schneider und Alain Delon. Warum habe ich so alte Bilder im Kopf und keine neuen? Alles ist schwarz-weiß.

Das ist doch gut! Das sind die besten Bilder. Das ist sehr französisch. Ich habe das schon von ein paar Freunden gehört, dass sie auch solche Gedanken hatten.

Einige Lieder sind ganz offensichtlich, andere klingen geheimnisvoller, wie "Borges Futbol", oder "Yokoonomatopea", was steckt dahinter?

Da steckt nichts weiter hinter als mein verrückter, bekloppter Verstand (Anm.: im Gespräch sagt er "my fucked up mind") (lacht). Ich mache manchmal Sachen, die ich auch nicht erklären kann.

Haben Sie erst den Text oder erst eine Melodie im Kopf, wie herum arbeiten Sie?

Erst die Melodie. Es ist ganz selten der Fall, dass ich mal zuerst einen Text im Kopf habe. Ich bin da, glaube ich, sehr oldschool, so wie Charles Aznavour.

Haben Sie mit ihm zusammen gearbeitet?

Ich arbeite gerade jetzt mit ihm zusammen.

Wie schön, er ist ja jetzt über 90!

Ja, er wird 92. Und er ist unglaublich. Er ist mein Idol.

Er wirkt wie höchstens 70.

Er gehört zu den großartigsten Menschen, die ich je in meinem Leben getroffen habe und meine Musik hat ganz viel mit ihm zu tun. Er war weder besonders talentiert noch besonders schön (lacht), aber er hat diese unglaubliche Stimme und er arbeitet und ist fleißig wie ein Verrückter. Deswegen hat er eine der größten Karrieren weltweit gemacht. Also dieser Mann ist ein echter Workaholic. Ich war mal mit ihm unterwegs und die Leute sprechen ihn alle an, sie sagen in Argentinien "Señor Champagne" zu ihm.

Hält es einen jung, lange zu arbeiten?

Manchmal hat man ja keine Wahl, oder? Ich habe Kinder, ich muss die Schule und die Uni bezahlen, ich kann gar nicht aufhören. So viel dazu, dass ich ein Rockstar bin. Das Musikbusiness ist ein echt hartes Business. Aber ich liebe meine Arbeit, deswegen macht es mir nichts aus.

Sie haben mit Sofia Wilhelmi zusammengearbeitet …

... ja, sie ist halb deutsch, halb argentinisch und eine meiner besten Freundinnen. Ich habe sie in Argentinien kennengelernt, als wir beide einen Film gedreht haben. Sie war in München, hat da gearbeitet, am Schauspielhaus und ich war oft in München, um mit ihr aufzunehmen. Wir waren tatsächlich gar nicht in Buenos Aires, was mir jetzt ganz merkwürdig vorkommt.

Sind Sie eigentlich ein Feminist?

Ja, schon. In Europa kann man das Thema mehr oder weniger locker betrachten, aber die Frauen in Südamerika und anderswo auf der Welt sehen das anders, da gibt es noch viel zu kämpfen. Die Justiz behandelt Frauen anders als Männer, Männer behandeln Frauen anders als Männer, da gibt es noch so viele Themen.

Oh ja, aber die Kopftuch-Frage und ähnliche Themen kriegen wir heute nicht unter, fürchte ich. Obwohl das sehr interessant wäre, mit einem Franzosen darüber zu sprechen.

Nein, das klären wir heute nicht. Aber eines muss ich dazu sagen: Ein Tuch ist nur ein Tuch. Was aber schiefläuft, ist, wie Frauen behandelt werden, mit oder ohne Kopftuch. Es ist eine Schande, was Frauen in so vielen Ländern auf der Welt noch ertragen müssen. Und noch eine kleine Anekdote: In Argentinien hatten sie bis letztes Jahr eine Frau zur Präsidentin (Anm.: Cristina Fernandez de Kirchner, 2007-2015), trotzdem ist zum Beispiel Abtreibung in dem Land illegal.  

Chiara Mastroianni

Chiara Mastroianni

(Foto: imago/PanoramiC)

Kommen wir zu Chiara Mastroianni - ich muss es einfach fragen - sie waren ein Liebespaar, haben Kinder miteinander und haben es geschafft, so befreundet zu sein, dass Sie sogar miteinander singen können. Wie geht das?

Chiara? Sie ist wie meine Schwester, meine Familie. Wir haben eine Tochter zusammen, das heißt, da ist ein Band, das nie zerreißt.

Sie sind also Freunde geworden?

Sie ist sehr klug. Ich habe immer versucht, so klug zu sein wie sie (lächelt). Ja, vielleicht hatten wir drei Monate nach der Trennung keinen so guten Draht, aber das ist viel zu wichtig, wegen der Kinder. Wir wohnen nicht weit voneinander entfernt.

Noch eine Frau in Ihrem Leben: Coralie Clement, Ihre Schwester. Werden Sie wieder zusammenarbeiten?

Ich glaube, Coralie will keine Musik mehr machen. Sie hat drei Alben mit ihrem Bruder gemacht und jetzt ... ach ich weiß nicht. Ich glaube, sie kümmert sich gerade um ihre kleine Tochter.

Im November gehen Sie auf Tour?

Ja, bis dahin muss ich mich vorbereiten, mehr Sport machen und auch mal Ferien.

Sind Sie eher der Typ, der intensiv lebt und dann Ruhe braucht, oder schaffen Sie es, Ihre Ressourcen zu managen?

Ich bin eher der intensive Typ. Wenn ich glücklich bin, dann bin ich sehr glücklich, wenn ich traurig bin, sehr traurig. Es gibt wenig dazwischen. Manchmal kann ich 18 Stunden schlafen, dann wieder gar nicht.

Mit Benjamin Biolay sprach Sabine Oelmann

"Palermo Hollywood" bei Amazon bestellen

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen