Green Day wecken Erinnerungen "Dookies" kleiner Bruder
07.10.2016, 16:53 Uhr
Das Dutzend ist voll - Green Day melden sich mit ihrem insgesamt zwölften Studioalbum zurück.
(Foto: Frank Maddocks / Warner Music)
Neues Album, alter Sound: Nach mehreren Jahren des Experimentierens docken Green Day mit ihrem insgesamt zwölften Studiowerk "Revolution Radio" wieder an ihrem Pop-Punk-Mutterschiff an. Jippie!
Wann ich meine Musikanlage daheim am lautesten aufgedreht habe? Gute Frage. Das müsste so Anfang der Neunziger gewesen sein. Als Kind der Siebziger, mit der DNA des Metals der Achtziger im Blut hissten die kleinen Arbeiter in meinen Ohren zwischen den Jahren 1990 und 1995 fast täglich die weiße Fahne. Im Kiez-Hinterhof in Berlin-Wedding ging es aber auch heftig zur Sache.
Als Hardholz-Allrounder standen bei mir folgende Bands besonders hoch im Kurs: Metallica in der Abteilung Schwermetall. Nirvana führten selbstverständlich die Liste der Grunge-Helden an. In der Crossover-Schublade lieferten sich die Jungs von Faith No More und Rage Against The Machine ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Und wenn sich das heimische Wohnzimmer in ein Pogo-Paradies verwandelte, dann sorgten die Rotznasen von Green Day für den Blaue-Flecken-Soundtrack.
"Dookie" war aber auch ein Brett. Auch heute noch wippen meine Füße automatisch im Takt wenn es von irgendwoher schallt: "Do you have the time / to listen to me whine / about nothing and everything all at once …"
Von "Nimrod" bis "American Idiot"
Was aus all meine Helden geworden ist? Eine weitere gute Frage. Metallica schrauben gerade wie wild an ihrem x-ten Zurück-in-die-Spur-Comeback. Nirvana? Da kommt leider nichts mehr. Und Faith No More und Rage Against The Machine? Nun, beide Kollektive sind zwar mehr oder weniger noch am Start. Aber weder das letzte FNM-Werk "So Invictus" noch das vorerst letzte RATM-Album "Renegades" aus dem Jahr 2000 hinterließen bei mir sonderlich große Spuren.

Seit knapp 30 Jahren im Geschäft - und noch immer nicht leise.
(Foto: Frank Maddocks / Warner Music)
Bleiben noch die Herren Billie Joe Armstrong, Trés Cool und Mike Dirnt. Und die lassen seit zwei Jahrzehnten nichts unversucht. Jahr für Jahr versuchen Green Day, das alte "Dookie"-Feuer neu zu entfachen. Mittlerweile stehen seit der Veröffentlichung ihres Breakthrough-Albums acht weitere Studio-Perlen im CD-Schrank. Aber um ehrlich zu sein: Keine der nachfolgenden Scheiben kam an "Dookie" ran.
Sicher, mit "Nimrod" drehten Green Day die Pop-Punk-Branche auf links. Und "American Idiot" zählt auch dieser Tage noch zu den imposantesten Punkrock-Opern der Neuzeit. Aber an dem unbekümmerten und schroffen Vibe von "Dookie" bissen sich auch diese Werke die Zähne aus
Giftige Vers-Pfeile
Nun stehen die drei Kalifornier erneut in den Startlöchern. Gewohnt plakativ zeigt der Titel ihres neuen Albums allen anderen Outputs der Gegenwart die lange Nase. "Revolution Radio" heißt das neue Green Day-Album. Auf dem Cover präsentiert sich ein brennender Ghettoblaster.

Da brennt der Ghettoblaster - das Album "Revolution Radio" ist ab sofort erhältlich.
(Foto: Warner Music)
Songtitel wie "Bang Bang", "Outlaws", "Too Dumb To Die" und "Troubled Times" sorgen bereits beim Blick auf die Tracklist für hochgezogene Augenbrauen. Sollte es kurz vor dem Band-Herbst doch nochmal mit einem Back-to-the-Roots-Feuerwerk klappen? Der "Dookie"-Fan sperrt gespannt die Lauscher auf. Und es dauert nicht lange, bis die Sehnsucht in Gewissheit umschlägt.
Billie Joe Armstrong hat es noch drauf. Inspiriert von Amerikas Waffenwahn und dem trumpschen Irrsinn im Hier und Jetzt, feuert der Frontmann mit giftigen Vers-Pfeilen nur so um sich. Hinzu kommen aufwühlende Zeilen über seine Zeit im Drogenentzug und Hilferufe aus dem Bataclan.
Vielen Dank dafür
Inhaltlich präsentiert sich "Revolution Radio" definitiv als eines der stärksten Werke der jüngeren Band-Geschichte. Aber auch musikalisch brausen Green Day wieder verstärkt auf jenen Pfaden, die die Band einst ohne Umschweife in den Punkrock-Olymp führten.
Der Sound ist nicht mehr ganz so opulent und aufgeplustert. Man hört wieder Ecken und Kanten. Selbst der kleine "Jesus Of Suburbia"-Bruder "Forever Now" will mir nicht mehr aus dem Ohr. Dabei kann ich doch eigentlich mit ausufernden Punkrock-Arien so gar nichts anfangen. Doch mich packen die knapp sieben Minuten kurz vor dem Abpfiff. Genauso wie die meisten Kurzzeit-Raketen davor.
Vor allem der im abgedämpften Distortion-Modus nach vorne preschende Titeltrack verewigt sich bereits nach dem ersten Durchlauf auf meiner ganz persönlichen Hits-des-Jahres-Liste. Vielen Dank dafür. Und natürlich auch für die abschließende "Good Riddance"-Erinnerung "Ordinary World". Mit Billie Joe kann man eben auch wunderbar am Lagerfeuer abhängen.
Nach einer Dreiviertelstunde bin ich happy und zufrieden. Wer hätte das gedacht. Ich wahrscheinlich am wenigsten. Aber es ist, wie es ist. Green Day haben mich wieder um den Finger gewickelt. Ich ziehe artig meinen Hut, sortiere "Revolution Radio" in meinem CD-Schrank direkt neben "Dookie" ein und schwelge noch den Rest des Tages in Erinnerungen. Ich sehe die Bilder wieder vor mir: Wedding, Soldiner Straße, Hinterhof …
Quelle: ntv.de