Red Hot Chili Pepper mit Liebeskummer Flea bringt die Liebe unters Volk
20.06.2016, 14:45 Uhr
Flea, Chad Smith und Josh Klinghoffer bei ihrer geliebten Arbeit.
(Foto: dpa)
Das Hotel "The Four Seasons George V", in einer Seitenstraße der Champs-Élysées gelegen, ist selbst für abgebrühte Luxuskenner ein Spektakel. Das Gold funkelt, der Marmor glänzt und die Mitarbeiter sind wirklich spektakulär freundlich. Mitten in dieser Hoteloase sitzen an diesem Montagabend die Red Hot Chili Peppers - Sänger Anthony Kiedis, Bassist Flea, Schlagzeuger Chad Smith und Gitarrist Josh Klinghoffer - um Interviews zum neuen, elften, Studioalbum "The Getaway" zu geben. Wir sprechen mit dem kleinen, knorrigen Flea, der ein grünbuntgemustertes Schlafanzug-Teil trägt. Der 53-Jährige, mit bürgerlichem Namen Michael Balzary, hat uns gleich zu Beginn des Gesprächs Überraschendes mitzuteilen.
n-tv.de: Flea, geht es Ihnen gut?
Flea: Ehrlich gesagt: nein. Meine Freundin und ich, wir haben uns getrennt am Wochenende, jetzt bin ich ganz schön traurig. Aber ich versuche tapfer zu sein.
Nur gestritten oder richtig Schluss?
Richtig Schluss. Ja, scheiße. Vor zwei Jahren, Pardon, zwei Tagen ist das passiert, ist noch total frisch.
Und jetzt stürzen Sie sich in die Arbeit in einem der nobelsten Hotels der Welt?
Das Leben muss weitergehen. Echt eine verdammt beeindruckende Bude. Die machen hier einen supertollen Avocado-Smoothie.
Wie lange bleiben Sie?
Nur zwei Tage, dann fliege ich nach Hause, um mich um den ganzen Mist mit der Trennung zu kümmern.
Die Chili Peppers haben in zehn Tagen fünf Festivals gespielt. Wie locker steckt die Band das weg?
Das ist ein Arsch voll Arbeit, Abend für Abend vor 80.000 Leuten zu spielen. Das sind Menschen, die mir etwas bedeuten und unsere Musik bedeutet mir auch sehr viel, also gibt man wirklich alles. Mit dieser Band ein großes Werk zu vollbringen, das ist die Mission meines Lebens. Aber es gibt Abende, an denen bin ich einfach hundemüde und möchte am liebsten ins Bett.
Gibt Ihnen das Publikum Kraft?
Auch. Aber noch mehr Kraft bekomme ich beim Spielen selbst. Die Musik kommt von einem heiligen Ort zu mir, ich lasse mich von ihr bewegen, überraschen und überwältigen.
Von einem heiligen Ort?
Ich kann Ideen nicht herbeizaubern, ich kann sie erst recht nicht abblocken. Sie übernehmen bei mir das Regiment. Songschreiben ist wie surfen. Du weißt nicht, wann die nächste Welle kommt, aber du kannst dich auf den Moment vorbereiten, wenn es passiert. Das heißt: Die Finger müssen gut durchblutet, der Kopf frei, der Körper bereit und ein bisschen trainiert sein. Ich bewundere etwa einen Komponisten wie Igor Strawinsky. Jeden Morgen setzte er sich hin, um zu komponieren. Als dann die Ideen kamen, war er bestens vorbereitet auf die Ideen, die früher oder später kamen. Was ich sagen will: Als Musiker muss ich Musik machen. Immerzu. Die Suche nach der perfekten Songidee hört niemals auf und hat auch niemals Feierabend.
Sie malen auf "The Getaway" mit einer sehr großen Palette an Farben. Das Album klingt enorm reichhaltig, detailliert und oftmals für Chili-Peppers-Verhältnisse recht sanft.
Ich selbst kann es noch extrem schlecht einschätzen, was wir da eigentlich genau gemacht haben. Ich weiß nur, dass wir etwas wirklich Schönes geschaffen haben. Wie das Album bei den Leuten ankommen wird, kann ich überhaupt nicht beurteilen. Ich kann aber sagen: Für mich klingt diese Platte nach Bewegung, nach Veränderung und nach Entwicklung.
Sie sind also sehr gespannt auf die Reaktionen der Fans?
Schon, ja. Ich müsste lügen, wenn ich das abstreite. Aber sobald diese Musik draußen ist, muss ich loslassen können. Sie gehört dann nicht mehr uns allein. Sie gehört allen. Natürlich ist es mein Wunsch, die Herzen der Menschen zu berühren, ein Licht im Dunkeln zu sein und Liebe mit diesen Liedern unters Volk zu bringen. Das ist mir wichtig.
Der Verkaufserfolg ist Ihnen egal?
Will ich, dass diese Platte ein verfluchter, gigantischer Erfolg wird? Fuck, ja, und ob ich das will! Wie fantastisch wäre es, als Band noch einmal ein kulturelles Phänomen zu sein. Den Zeitgeist abzubilden. Doch ich glaube eher nicht, dass das geschehen wird.
Naja, unwahrscheinlich, dass die Chili Peppers auf ihre alten Tage noch einmal der neue, heiße Scheiß werden, oder?
(lacht) Ja, äußerst unwahrscheinlich sogar. Wir sollten besser nicht darauf warten. Ich rechne auch nicht damit.
Ist es überhaupt möglich, dass Musiker in ihren Fünfzigern noch einmal total hip werden?
Wir sind in einem ungünstigen Alter. Wenn wir noch 10 oder 20 Jahre durchhalten, finden uns bestimmt alle wieder supercool. Bei uns war die heißeste Phase seinerzeit mit dem "Blood Sugar Sex Magik"-Album 1991 erreicht. Als die Peppers damals so groß wurden, ging es nicht mehr nur um die Musik. Wir hatten unseren ganz eigenen Sound kreiert, aber es ging weit darüber hinaus: Die Tattoos, die Socken über unseren Penissen und, und, und. Die Red Hot Chili Peppers waren eine Erscheinung. Und dann hat sich diese Aufregung wieder gelegt und wir haben weitere Alben gemacht, ohne eine kulturelle Sensation zu sein. Es ging dann einzig noch um die Musik und die Musik war gut. Und nur weil die Musik gut ist, sitzen wir heute noch hier.
Ich komme gerade aus der sogenannten "Fanzone" vor dem Eiffelturm. In der Halbzeitpause haben sie "Californication" gespielt.
(schmunzelt) Super. So etwas freut einen natürlich.
Warum hat die Band Brian "Danger Mouse" Burton als Produzenten des neuen Albums verpflichtet?
Der wesentliche Grund war, dass wir es uns mit Rick Rubin ziemlich gemütlich gemacht hatten. Zu gemütlich. Wir wollten einen neuen Weg finden, unsere Songs umzusetzen, und dazu war ein anderer Produzent notwendig. Brian hat uns dazu gebracht, Dinge zu tun, die wir vorher so nicht getan haben.
Wusste die Band vorher, was auf sie zukommt?
Nein, und ich hatte mir Sorgen gemacht. Ich glaubte anfangs, dass wir ohne Rick die Magie der Chili Peppers einbüßen. Aber das habe ich den anderen nicht gesagt. Wir haben es also ausprobiert und gleich am allerersten Tag mit Brian wusste ich, dass es super wird.
Wo unterschieden sich die beiden Produzenten?
Mit Rick haben wir alles im Probenraum entwickelt und sind dann mit den fertigen Arrangements ins Studio gegangen. Brian hat alles erst im Studio entstehen lassen. Auf diese Weise erklären sich die vielen Schichten und Ebenen in den Songs.
Ist das ein bisschen so, als wenn man sich nach 25 Jahren von seiner Frau trennt, um mit einer jungen Geliebten zusammen zu sein?
Oje, hätten Sie mich das vor ein paar Tagen gefragt, dann wäre meine Antwort wahrscheinlich gewesen: Ja, ungefähr kann man das vergleichen. Aber hier und jetzt und aufgrund meiner jüngsten Erfahrungen kann ich ganz klar sagen: Nein, es ist überhaupt nicht so. Wir sind immer noch mit Rick befreundet, er hat die Entscheidung auch gut aufgenommen und es ist durchaus möglich, dass wir in Zukunft wieder zusammenarbeiten. Ich liebe Rick Rubin.
Sie haben sich vor anderthalb Jahren den Arm gebrochen, was die Albumaufnahmen monatelang gestoppt hat.
Ja, hier, gucken Sie mal. Dieser Knubbel am Ellbogen ist eine Schraube. Der Knochen guckte richtig raus und sie mussten viel Metall in meinen Arm einbauen. Ich bin blöd gefallen beim Snowboarden. Das Erste, woran ich mich nach dem Unfall erinnere, ist, wie ich im Krankenwagen lag, stöhnte und halb weggetreten war. Und auf einmal steckt Anthony seinen Kopf rein und schaut mich an. Da fing ich an zu heulen und konnte kaum noch aufhören.
Gehen Sie zusammen snowboarden?
Ja, waren wir.
Fahren Sie immer gemeinsam in Urlaub?
Nicht immer, aber ab und zu machen wir das. Anthony und ich, das ist schon etwas ganz Spezielles. Wir sind Freunde seit fast 40 Jahren. Fucking crazy, man. Und jetzt gerade in diesen Tagen nach der Trennung von meiner Freundin haben wir uns ein, zwei Mal in Ruhe hingesetzt und geredet. Das tat unheimlich gut. Die ganze Band, wir alle vier, gehen sehr vertraut und auch liebevoll miteinander um.
Anthony und Sie sprechen über alles?
Über alles, ja. Ich weiß, das ist bei Männerfreundschaften eher die Ausnahme. Aber so waren wir schon immer. Anthony weiß, was in meinem Leben los ist und ich weiß, was in seinem Leben los ist.
Elton John spielt auf "Sick Love". Wie kam es dazu?
Uns hat "Sick Love" an Eltons Song "Bennie and the Jets" erinnert. Also fragten wir ihn, ob er nicht das Pianospiel auf der Nummer übernehmen will. Elton kam vorbei und spielte, ein wirklich supernetter Mann.
Sie haben vor Kurzem in einem Interview gesagt, dass Rockmusik tot sei und dafür sehr heftige Reaktionen im Internet bekommen. Hatten Sie damit gerechnet?
Nein (lacht). Ist mir auch komplett egal, was andere zu dem Thema denken. Es ist nun einmal so, dass Rockmusik eine ziemlich altgewordene Kunstform ist. Die herausragende Rockmusik passierte zwischen den 50er- und den 80er-Jahren, vielleicht noch ein wenig in den frühen Neunzigern. Aber seit Grunge ist Schluss. Seitdem ist alles Retro. Ich finde, Musik, die in der heutigen Zeit neu und spannend klingt, kommt nicht aus dem Rock'n'Roll.
Sondern?
Am ehesten noch aus der elektronischen Ecke und dem HipHop.
Sie haben sich immer vehement gegen die Waffenkultur in den USA ausgesprochen. Was empfinden Sie angesichts des Massakers von Orlando mit 49 toten Nachtclubbesuchern?
Ich fürchte mich definitiv mehr vor der National Rifle Association (NRA) als vor den islamistischen Terroristen. Dieser Angriff ist einfach zu traurig, um ihn verstehen zu können. Jemand, der so eine Tat begeht, ist so wahnsinnig und so weit entfernt von grundlegendsten Werten wie der Liebe und des Respekts für das Leben anderer Menschen. Egal welche Rasse, welche Religion, welche Sexualität, welches Geschlecht, wir sind alle gleich. Ich höre mich an wie der Aufkleber auf dem Auto eines Hippies, aber wer das nicht versteht, der ist krank. Ich bin einfach traurig, geschockt und angewidert von so viel unerklärlichem Hass.
Die Band hat Bernie Sanders vehement im Wahlkampf unterstützt. Wird sie jetzt umschwenken ins Lager von Hillary Clinton?
Ich weiß nicht recht. Wir sind in dieser Sache noch dabei, eine einheitliche Meinung als Band zu finden. Klar ist, dass ich lieber Hillary als Trump in diesem Amt sehe. Aber Hillary ist "politics as usual", sie hat für den Irak-Krieg gestimmt, und ich hasse Krieg. Deshalb bin ich auch enttäuscht von Barack Obama, dem Präsidenten der Drohnenkriege. Bernie ist ganz anders, Bernie will Frieden und Liebe und Gerechtigkeit.
Hoffen Sie, dass er in der Politik weiter eine Rolle spielt?
Ich bin zuversichtlich, dass er uns erhalten bleibt. Und vor allem denke ich, dass der Dialog, den er begonnen hat, weitergehen wird. So viele junge Leute lieben ihn, vielleicht stehen die Vereinigten Staaten ja am Beginn eines liberal-sozialen Erwachens.
Verlassen Sie das Land, wenn Donald Trump Präsident wird?
Ach, wo soll ich denn hin? Ich denke nicht, dass ich auswandern würde. Trump will, dass reiche, weiße Männer weiter die Fäden ziehen. Die Frustrierten, Abgehängten, die ihn jetzt unterstützen, weil sie hoffen, dass ihnen jemand von außerhalb des politischen Systems helfen kann, werden umsonst hoffen. Trump interessiert sich nicht für diese Menschen. Alles, was ihn umtreibt, sind Macht und Reichtum für Donald Trump.
Sie sind selbst ein reicher, weißer Mann …
Yeah. Trotzdem macht Trumps Aufstieg mich traurig. Das typische Denken des reichen, weißen Mannes ist mir so fremd wie nur möglich. Ich habe mich nie für etwas Besseres gehalten als andere, Arroganz ekelt mich an.
Können Sie sich ein Leben ohne die Red Hot Chili Peppers vorstellen?
Die Frage kann ich nicht beantworten. Im Moment würde mir das schwerfallen. Doch wenn wir eines Tages merken, dass wir zu alt sind und die nötige Leidenschaft für die Bühne nicht mehr aufbringen können, dann weiß ich es nicht. Wir leben im Jetzt und ich bin sehr glücklich, Teil dieser Band zu sein. Die Chili Peppers sind für mich das größte emotionale Kraftfeld, das ich mir vorstellen kann.
Mit Flea sprach Steffen Rüth
Quelle: ntv.de