Die Auweia-Ergüsse zur EM Foxtrott-Puff-Pop trifft Quetschkommode
09.06.2016, 15:15 Uhr
Fangesänge: Top! Einlaufsongs: ebenfalls Daumen hoch! Wenn allerdings Fußball und Musik offiziell aufeinandertreffen, hält man sich lieber die Ohren zu. Der neuerliche Beweis: die aktuellen EM-Songs.
"Fußball ist eine Kunst", hieß es einst aus dem Munde von Günther Netzer. Freunde des runden Leders werden dem ehemaligen Kult-Kicker mit dem berühmtesten aller Promi-Seitenscheitel Recht geben. Wenn die Ronaldos und Messis dieser Welt den Ball in Richtung Tor jonglieren: Das hat schon was.
Musik ist auch eine Kunst, keine Frage. Es sei denn, es handelt sich um Kompositionen aus den Proberäumen von Bands und Künstlern wie … Ach, völlig wurscht. Alles Geschmackssache. Fußballfans hieven bisweilen ja auch einen Grobmotoriker wie Benedikt Höwedes auf einen Sockel. Wir halten also fest: Fußball und Musik sind Kunstformen. Man sollte also meinen, dass eine Verschmelzung dieser beiden großartigen Erfindungen zu noch Größerem in der Lage ist. Die Vergangenheit hat aber leider gezeigt: Eine Symbiose aus Fußball und Musik fördert nur ganz selten Vollkommenes zu Tage.
Danke, Sportis!
Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Daher: Grüße an die Sportfreunde Stiller und auch nochmal ein Dankeschön an die Jungs von Lightning Seeds. Ihr hattet den Dreh raus. Andere "Musikanten" hingegen haben sich mit ihren musikalischen Rundleder-Darbietungen einen ewigen Platz in der Fremdschäm-Hall-Of-Fame gesichert. Und ich rede jetzt nicht von all den gezwungenen Geschöpfen, die zu ihrem Unglück gedrängt wurden.
Franz Beckenbauer ("Gute Freunde"), Gerd Müller ("Dann macht es Bum") und die komplette deutsche Nationalmannschaft am Tiefpunkt ihrer Pop-Laufbahn ("Far Away In America"): Ihnen allen kann man verzeihen. Nicht jedoch den vermeintlich musikalisch Ausgebildeten, die sich in den vergangenen Jahrzehnten pünktlich zu Beginn einer internationalen Fußball-Großveranstaltung um Kopf und Kragen trällerten. Sie hier und jetzt noch einmal namentlich an den Pranger zu stellen, würde vielleicht die eine oder andere Vintage-Wunde schließen. Die Linderung wäre allerdings nur von kurzer Dauer. Dieser Tage schallen nämlich bereits die nächsten Auweia-Ergüsse aus allen verfügbaren Boxen, noch bevor sich in Frankreich der erste EM-Ball aufgepumpt und spielbereit auf dem Anstoßkreis des Stade de France präsentiert.
Echt grenzwertig
Man hört nuschelnde Zeilen aus dem Munde des türkischen Selfmade-Comedians Kazim Akboga aus Berlin-Neukölln, der schon mit "Is mir egal" zu zweifelhaftem Ruhm gelangt war. Man sieht die operierten Hupen der beiden Ex-Dschungelcamperinnen Micaela Schäfer und Melanie Müller im Takt von grenzwertigem Ballermann-Schlager auf und ab hüpfen. Und man schlägt die Hände vors Gesicht, wenn WDR-Moderator Udo Alexander für einen Eintrag ins Belanglos-Register die Quetschkommode aus dem Keller holt. Sollten die Jungs von Jogi Löw im Mannschaftsbus tatsächlich mit derartigen Klängen zu ihren Spielen begleitet werden, dann wird es wohl nichts mit dem erhofften Triumph am 10. Juli.
Den Hobby-Musikanten aus der zweiten Reihe im Falle des "Worst-Case-Szenario" die Alleinschuld am Scheitern zuzuschieben, wäre allerdings nicht ganz fair. Die offiziellen Größen der Branche bekleckern sich dieser Tage nämlich auch nicht gerade mit Ruhm. So verlieren sich beispielsweise Herbert Grönemeyer und DJ Felix Jaehn in stumpfen House-Welten ("Jeder für Jeden"), während der Bundesvision-Song-Contest-Sieger des Vorjahres Mark Forster in Melancholie und Tristesse versinkt ("Wir sind groß").
"EM-Song für besorgte Bürger"
Nicht viel besser machen es die Schmuserocker von Revolverheld. Zwar beeindrucken die Hanseaten mit einer lyrischen Anti-AfD-Ohrfeige. Aber musikalisch verbreitet ihr "EM-Song für besorgte Bürger" in etwa so viel Partystimmung wie die Verkündung der Verbannung von elektrischen Gitarren beim Wacken-Festival.
Dann doch lieber Foxtrott-Puff-Pop aus dem Hause Müller? Der Kopf raucht. Die Ohren bluten. Was tun? Gemeinsam mit David Guetta den Großraumdisco-Dancefloor wienern ("This One's For You")? Wahrscheinlich hilft nur eins: Ohren zu und durch! Lasst sie doch alle krakelen. Wie sagte nicht Trainer-Legende Alfred Preißler einst: "Entscheidend is auf'm Platz." Ergo: nicht ablenken lassen und den entscheidenden Sinn schärfen. Der nimmt keine Laute wahr, sondern lässt großartige Bilder entstehen. Bilder von grünen Rasenflächen, verschwitzten Trikots und jubelnden Fankurven. Auf geht's!
Quelle: ntv.de