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"Tatort" aus Kiel Die Guten, die Bösen und die Realität

Müssen erstmal das blutige Ende ihres Vernehmungs-Workshops verdauen: Borowski (Axel Milberg) und Sahin (Almila Bagriacik).

Müssen erstmal das blutige Ende ihres Vernehmungs-Workshops verdauen: Borowski (Axel Milberg) und Sahin (Almila Bagriacik).

(Foto: NDR/Gordon Timpen)

Mordermittlungen enden entgegen des im Fernsehen gerne verfolgten Ansatzes selten mit einem Happy End - immerhin musste zuvor jemand sterben, was ja per se wenig happy ist. Der neue Fall aus Kiel versucht sich an einem Realitätscheck.

Kiel ist vielleicht keine besonders schöne Stadt, dafür ist aber immer was los, zumindest im "Tatort": 34 Mal hat Kommissar Borowski (Axel Milberg) bislang an der Förde ermittelt - und einer ungeschriebenen internationalen Krimiregel folgend sind Mordfälle üblicherweise umso düsterer, je höher sie aus dem Norden kommen. Auch wenn "Borowski und der Fluch der weißen Möwe" erstmal irgendwie nach einem kindgerechten Piratenabenteuer klingt, ist Episode Nummer 35 keine Ausnahme von der Regel - und garantiert alles andere als kindgerecht.

(Foto: NDR/Christine Schroeder)

Das lässt sich schon nach dem Einstieg unterstreichen, der umgehend jegliche Sonntagsgemütlichkeit vertreibt: Vier Polizeischüler müssen hilflos und aus nächster Nähe mit ansehen, wie sich eine junge Frau von einem Hochhaus stürzt. Die jungen Polizisten betäuben ihre Schuldgefühle mit einer durchzechten Nacht und nehmen am nächsten Morgen an einem Vernehmungs-Workshop teil, der in einem Blutbad endet: Nasrin (Soma Pysall) sticht wie von Sinnen auf einen ihrer Kollegen ein - und nicht nur Übungsleiterin Sahin (Almila Bagriacik) und ihr Partner Borowski fragen sich, was zur Hölle da eigentlich gerade passiert ist.

Zahmer "4-Blocks"-Pate

Regisseur Hüseyin Tabak erzählt die Geschichte dieses "Tatorts" mit einer Kompromisslosigkeit, die einem stellenweise das Blut in den Adern gefrieren lässt. Viele der üblichen Krimi- und Fernsehregeln werden hier außer Kraft gesetzt: Selbstmörder lassen sich nicht durch ein paar warme Worte der zu Hilfe eilenden Beamten vom Sprung abhalten; junge, hilfsbereite Polizeianwärter mit einem bestens entwickelten Sinn für Gerechtigkeit stürzen sich mit ihren eigenen guten Absichten ins Elend; und am Ende steht einmal mehr fest, dass Recht und Gerechtigkeit aus gutem Grund bisweilen zwei verschiedene Dinge sind.

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Die schauspielerische Leistung trägt den ambitionierten Plot glaubwürdig über die gesamten 90 Minuten, und auch abseits der Hauptdarsteller ist "Der Fluch der weißen Möwe" geschickt besetzt: Kida Khodr Ramadan spielt den Kioskverkäufer Luca mit der gleichen Attitüde, die er als "4 Blocks"-Pate an den Tag legte. Und obwohl Ramadan diesmal mit Kriminalität so gar nichts am Hut hat und sich schließlich gar als eine der wenigen Figuren herausstellt, die vergeben kann, traut man ihm keinen Zentimeter über den Weg - ein tolles Beispiel für die zerstörerische Kraft von Vorurteilen.

"Der Fluch der weißen Möwe" ist ein enorm starker Krimi, der selbstbewusst mit dem "Happy End"-Zwang vieler Genrekollegen aufräumt und den Blick auf eine Realität richtet, in der am Ende eben nicht immer alles gut ist. Man muss bereit dafür sein, seinen Sonntagabend an einem düsteren Ort zu verbringen - wer das schafft, wird aber mit Sicherheit belohnt.

Quelle: ntv.de

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