Sozialkritischer "Tatort" So hart haben es Paketboten
04.12.2023, 10:14 Uhr Artikel anhören
Stress, Stress, Stress: Paketboten vor Weihnachten.
(Foto: WDR / Bavaria Fiction GmbH / Martin Valentin Menke)
Wer den Bonus will, muss aus Zeitgründen in die Flasche pinkeln: Der neue Sonntagabendkrimi aus Köln nimmt sich die prekären Umstände in der Paketbranche zur Brust. Ein Thema, das es in sich hat, auf vielen Ebenen.
Zitternd und völlig durchnässt steht Natalie Förster (Tinka Fürst) morgens um halb sechs an einem Kölner Paketzentrum. Sie trägt ein Weihnachtsmannkostüm und ist eigentlich schon völlig fertig mit dem Tag. Dabei hat dieser, ihr allererster als Undercover-Paketbotin, noch nicht mal richtig angefangen. Was danach folgt, ist die tägliche Odyssee von Zehntausenden Speditionsfahrern in Deutschland: Bei jedem Wetter - hier im strömenden Regen - Pakete ein- und ausladen; dutzende Treppen hoch und runter; von den Empfängern, den Chefs und anderen Autofahrern angeschnauzt werden; mit einem Lohn nach Hause gehen, der kaum zum Leben reicht.
"Des anderen Last" ist nicht nur ein richtig guter Krimi, sondern vor allem eine krachende Sozialkritik zur besten Sendezeit. Die prekären Umstände und Auswüchse der Paketbranche sind zwar seit langem bekannt, selten wurden sie aber so treffend und anschaulich auf den Punkt gebracht wie in diesem "Tatort". Da gibt es einen Boten, der in Flaschen pinkelt, um keine Zeit auf der Jagd nach seinem eigenen Zustellrekord (352 Päckchen an einem Tag) und der damit verbundenen Bonuszahlung zu verlieren. Einen früheren Postboten, der nach seiner Verrentung als Bote weitermalochen muss und einen ehemaligen Fahrer, der nach dem Diebstahl seines Transporters auf der Straße lebt und Obdachlosenmagazine verkauft.
Die Zustände haben System
Denn, und das wird in diesem Krimi sehr deutlich, die Zustände in der Branche haben System. "Das Problem besteht in der Vielzahl an undurchsichtigen Subunternehmerketten in der Paketzustellung", heißt es dazu in einem Gutachten im Auftrag des Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung. Dem Gutachten zufolge ist in Deutschland nahezu jeder zweite Paketzusteller bei Subunternehmen beschäftigt. Und die arbeitsrechtlichen Regeln und vergleichsweise guten Arbeitsbedingungen, die etwa für die Post gelten, lassen sich durch die Beauftragung von Subunternehmern umgehen - im Film dargestellt durch eine ziemlich skrupellose Firmenchefin, die aber ihrerseits wieder getrieben ist durch die engen Vorgaben der größeren Auftraggeber.
Und die haben schon vor Jahren ihr System perfektioniert: Allein im Jahr 2016 verdoppelte sich die Zahl der bei der Bundesnetzagentur registrierten Paketdienstleister auf 2016, seitdem ist sie sogar auf 72.000 gestiegen. Für den rapiden Anstieg sind laut Gutachten Handelsdienstleister, allen voran Amazon, hauptverantwortlich - denn die Unternehmen setzen auf selbstständige Paketzustellerinnen statt auf die bekannten Paketdienstleister wie DHL und Hermes.
Und das könnte auch das größte Schlupfloch des neuen Postgesetzes sein, das momentan von der Bundesregierung auf den Weg gebracht wird. Eigentlich sollen mit der Novelle die Auftraggeber, also Post oder andere Versandhäuser, für ihre Subunternehmer verantwortlich sein: Bei Verstößen gegen Arbeitsschutzstandards drohen Sanktionen. Doch während etwa Post und Hermes als Postdienstleister gelten, fährt zum Beispiel Amazon in einer anderen Branche - und könnte so das neue Gesetz umgehen. Für die Abertausenden Paketboten hieße das weiterhin: Stress, Stress, Stress. Und zwar genau dann, wenn alle anderen sich auf die schönsten Zeiten des Jahres freuen.
Quelle: ntv.de