Eine für alle "Free Assange", "Fck Putin", "RIP Nawalny" und "Ein Hoch auf Margot"


Vermisst ihren Freund Aleksej: Pussy Riot-Mitglied Nadeschda Tolokonnikowa
(Foto: dpa)
Für "Free Nawalny" ist es nun zu spät. Es gibt aber weitere Chancen, sich menschlich zu verhalten. Eine betrifft den Whistleblower Julian Assange. Die Kolumnistin hat zwar viel gefeiert diese Woche - aber auch nachdenken können, einfach weil sie sehr oft Taxi gefahren ist.
Begegnungen. Das A und O im menschlichen Miteinander. Diese Woche hatte ich davon so viele, dass ich direkt in mein Tagebuch aka Instagram gucken muss, wen ich alles getroffen, gesehen oder gehört habe. Es war herrlich.
Meine Woche fing jedenfalls gut an, ich habe mich mit dem Co-Autoren meines Buches getroffen. Andere werden behaupten, es sei genau umgekehrt, auch, weil es auf dem Buch so drauf steht (er groß, ich klein). Sein Name ist Wladimir. Wir sind also durch die Stadt gefahren, ich am Steuer, er hatte das Navi auf dem Handy – und ich sag' mal so: An seine Stimme könnte ich mich gewöhnen. Auch daran, dass er zwischendurch immer mal wieder einen kleinen Witz erzählt. Er ist der sanfteste Riese seit der Erfindung von Lenor. Wenn ich sein Feind wäre, also zum Beispiel ein Russe mit blöden Ansichten, dann möchte ich ihm nicht im Dunkeln begegnen, denn dann könnte es ein, dass er mindestens eine harte Linke ausfährt, der Dr. Steelhammer. Mehr dazu erzähl' ich mal in Ruhe, denn das ist eine eigene Geschichte. Wie Sie wissen, jährt sich heute der Tag des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zum zweiten Mal – wir hatten wahrlich eine Menge zu besprechen.
Dann war ich auf einer Veranstaltung, die immer in der Berlinale-Zeit stattfindet, bei "Cinema for Peace". Da wurde ich vor ein paar Jahren schonmal von der Gästeliste gestrichen, weil ich wagte, ein Kunsthappening von Ai Weiwei mit diesen goldenen Wärmedecken, die an die schicken Gäste verteilt wurden, zu kritisieren. Man sollte sich wohlfühlen wie Boatpeople, also Flüchtende, die übers Meer kommen und zu Hunderten bei diesem verzweifelten Versuch sterben. Sagen wir mal so, ich fand das unterirdisch. Aber Schwamm drüber, jetzt war ich mal wieder da. Zuvor hörte ich am Sonntagabend sogar bereits im China-Club (Privatclub mitten in der Hauptstadt, in dem sich die Mächtigen und die, die beim Quatschen und Essen nicht gesehen werden wollen, treffen), wie unglaublich klug und weise der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, klingt, wenn er etwas Wichtiges zu sagen hat. Kernaussage: "Peace!"
Am Montag dann (ich springe wieder) ausgezeichnet mit einem Preis auf der Gala und bedacht mit dem Film "The Quiet Diplomat", steht Ban Ki-moon als ein Exempel für Bescheidenheit und Integrität im Raum und wartet geduldig darauf, dass der Applaus endet. Es klatschen Helen Mirren, Sharon Stone, Mario Adorf, Cem Özdemir, Hillary Clinton und ich auch.
Stille Momente
Der Saal im Westhafen hielt inne für einen, der nicht mehr unter uns ist, Alexej Nawalny, und endlich ist mal Ruhe im Karton, denn egal, wer spricht, egal, wer etwas zu sagen hat: Es wird gegessen, geklappert, getrunken und vor allem geplappert. Ein weiterer, wirklich stiller Moment herrscht, als Margot Friedländer auf die Bühne kommt. Sie sitzt am Tisch mit Außenministerin Annalena Baerbock und der Aktivistin und Journalistin Düzen Tekkal. Gestützt wird sie von Natalia Wörner oder Thomas Kretschmann, und niemand muss an diesem Abend so viele Handy-Selfies mit sich machen lassen wie die 102-jährige Holocaust-Überlebende. Sie erträgt das alles mit stoischer Ruhe und Grandezza, nur einmal wird sie unwirsch, als das Licht zu hell ist, und sie ihre Rede vom weißen Papier nicht ablesen kann, weil es blendet. Sie liest auf Englisch. Wer die Gelegenheit hat, ihr zuzuhören, der sollte das tun. Bald. Ich erzähle später noch ein wenig über Frau Friedländer.
Dass ich quasi neben Dame Helen Mirren gesessen habe, gehört im Kontext aller Ereignisse tatsächlich zu den leider unwichtigsten Dingen, die mir in den letzten Tagen widerfahren sind. Wie gesagt, an dem Freitag vor der Veranstaltung starb Alexej Nawalny. Und "starb" ist ein viel zu schwaches Wort, um zu beschreiben, was dem Kreml-Kritiker und Putin-Widersacher passiert sein muss. Noch wissen wir nicht wirklich, wie er ermordet wurde. Und vielleicht wird es für immer ein Geheimnis bleiben. Immerhin durfte seine Mutter inzwischen ihren toten Sohn sehen, nachdem sie tagelang in der Nähe des Polarkreises ausgeharrt hatte, um sich mit eigenen Augen von der Tragödie und dem Tod ihres erst 47-jähriges Sohnes zu überzeugen.
Ebenfalls auf der Gala war Pussy Riot-Mitglied Nadeschda Tolokonnikowa: Was sie sagt, geht ähnlich unter die Haut wie das, was Margot Friedländer zu erzählen hat. Und danach komme ich dann auch, wie in der Überschrift angekündigt, zu Julian Assange, versprochen. Doch erstmal Nadeschda: 2007 lernte sie "Aleksej", wie sie ihn schreibt und nennt, kennen. Sie demonstrierten für ein freies Russland, und an diesem warmen Frühlingstag fühlte es sich auch so an, als könne das was werden. 17 Jahre lang beobachte sie fortan, wie ihr Freund von einem Moskauer Blogger - durchaus nicht unumstritten und durchaus mit Positionen, die nicht jeder unterschreiben würde, die man im Laufe der Jahre aber vergessen hat – zu einem Star des Widerstands heranwuchs. Zu einer politischen Leitfigur, zu der viele aufschauten und in den viele ihre Hoffnungen setzen.
Die Hoffnung stirbt nie
Nawalny gab seinen Anhängern die Möglichkeit einer Vision, glaubt Nadeschda, und zwar "das wunderschöne Russland der Zukunft". Sie betont, dass diese Vision unsterblich ist, anders, als Menschen. "Präsident Putin mag Aleksej zum Schweigen gebracht haben", sagt sie, "aber egal, wie sehr er sich anstrengt: Er wird es nicht schaffen, diesen wunderbaren Traum zu zerstören."
Nadeschda gibt uns auch eine Begründung dafür, warum Nawalny geglaubt haben mag, dass ihm in der Haft, in die er sich wissentlich begab, als er 2020 nach seinem Giftanschlag und der Behandlung in der Berliner Charité in seine Heimat zurückkehrte, nichts passieren würde. Sie war selbst im Gefängnis und sagte ihm, dass es auszuhalten sei. Das könnte ihm Mut gemacht haben, dieses Risiko, das er nun mit dem Leben bezahlt hat, einzugehen.
"Es heißt, Putin hätte Angst vor Aleksej. Aber das war es nicht, es waren Eifersucht und Neid", so Nadeschda. "Die Menschen liebten Aleksej. Sie folgten ihm, weil sie mit ihm befreundet sein wollten. Putin folgt man, weil man Angst vor ihm hat. Liebe und Zuneigung kann man sich nicht kaufen. Aleksej hat sich mit klugen und starken Frauen umgeben, Putin verhält sich Frauen gegenüber wie ein Neandertaler." Das wichtigste aber sei, so die Pussy-Riot-Frontfrau, dass "mit dem Tod von Aleksej die Hoffnung nicht gestorben ist." Es sei sogar eine neue Form von Mut entstanden, eine Form von Verantwortung. "Wir sind es Aleksej schuldig, sein Vermächtnis fortzusetzen."
Der Wert der Freiheit
Und jetzt zu Julian Assange: Was war nochmal geschehen? Ein Apache-Hubschrauber der US-Armee tötete im Juli 2007 mehrere Menschen, darunter zwei Journalisten. Auch Kinder wurden schwer verletzt. Die Veröffentlichung des streng geheimen Videos der US-Armee machte WikiLeaks und dessen Gründer Julian Assange drei Jahre später berühmt. Diese und weitere Leaks in internationalen Medien führten dann weltweit zu Kontroversen, denn sie zeigten Kriegsverbrechen wie Folter, Missbrauch und zivile Opfer, die auf das Konto der USA und ihrer Verbündeten gehen.
Nun wird in Großbritannien über seine Auslieferung an die USA verhandelt. Dort drohen ihm unter anderem wegen des Vorwurfs der Spionage 175 Jahre Haft. Das ist tatsächlich unverhältnismäßig. Es reicht jetzt, denn sollte Assange an die USA ausgeliefert werden, dann bedeutet das nichts weiter als das Ende der Pressefreiheit. Sollte es nicht im Interesse von Regierungen liegen, die Freiheit zu verteidigen? Auch die von Journalisten, die Dreckiges aufdecken?
So hat es damals auch angefangen
Ich schrieb ja, ich komme nochmal zu Margot Friedländer zurück: Sie definiert ihre Angst vor dem Erstarken der extrem rechten Kräfte im Land und in Europa sehr genau, in dem sie immer wieder betont, dass nicht sein kann, was jetzt passiert. Sie braucht dafür nur zwei Worte: "Seid Menschen", appelliert sie. Denn: "So hat es damals auch angefangen. "
Ich könnte noch lange weiterschreiben, aber denen, die noch da sind und sich fragen: "Partys und der Ernst des Lebens – wie passt das denn zusammen?" sei gesagt: Es passt wahnsinnig gut zusammen, denn die Menschen unterhalten sich. Hören zu. Lernen. Gehen beschwingt oder nachdenklich nach Hause. Auf der "Cinema for Peace"-Gala meinten ein paar Frauen, sich despektierlich über Margot Friedländer äußern zu können ("Die schon wieder", "Meine Güte, kann die Alte nicht endlich den Mund halten"), was man sich so zuwispert, wenn der Alkohol die Zunge etwas lockert, man wird ja wohl mal sagen dürfen ... Ein Freund, der das hörte, stellte sich zu den "Damen"und sagte nur, mit strengem Blick: "Nicht heute. Nicht hier." Ruhe, betretenes Schweigen. Bravo!
"Carpe diem" höre ich gerade ständig. Richtig, nutzen Sie den Tag. Und die Nacht gleich auch noch!
Quelle: ntv.de