Politik

Der Kriegstag im Überblick Angriff auf ukrainisches Bürozentrum fordert 23 Tote - Macron will komplett weg vom russischen Gas

Der Vorplatz des Bürozentrums im zentralukrainischen Winnyzja ist vollkommen verwüstet, die Helfer sind auf der Suche nach Überlebenden. Bei dem zerstörten Auto hat es vom Reifen selbst den Gummi weggebrannt.

Der Vorplatz des Bürozentrums im zentralukrainischen Winnyzja ist vollkommen verwüstet, die Helfer sind auf der Suche nach Überlebenden. Bei dem zerstörten Auto hat es vom Reifen selbst den Gummi weggebrannt.

(Foto: REUTERS)

Russland schießt Raketen auf die bisher weitgehend verschont gebliebene zentralukrainische Stadt Winnyzja und tötet mehr als zwanzig Menschen in einem Bürozentrum. International wird der Konflikt indessen auch auf der Ebene der Energie weiter ausgetragen. Die Ostseepipeline Nord Stream 1 befindet sich mittlerweile am vierten Tag ihres Wartungs-Stillstands. Während Moskau die Wiederaufnahme des Betriebs vom zukünftigen Verhalten des Westens abhängig macht, bereitet der französische Präsident Macron sein Land am Nationalfeiertag auf den kompletten Verzicht von russischem Gas vor - und auf einen langen Krieg. Der 140. Kriegstag im Überblick.

Winnyzja wird Ziel von Raketenangriff

Bei russischen Raketenangriffen sind in der Ukraine erneut zahlreiche Zivilisten und Soldaten getötet worden. Im Zentrum der Großstadt Winnyzja ist Behördenangaben zufolge ein Bürozentrum getroffen worden. Mindestens 20 Menschen seien ums Leben gekommen, weitere 90 seien verletzt worden, teilte der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, mit. Mittlerweile ist klar: Es sind sogar 23 Todesopfer. Unter den Toten sollen sich auch zwei Kinder befinden. Die jüngsten Luftschläge haben laut Moskau die Ukrainer bis zu 1000 Soldaten und mehr als 100 Militärfahrzeuge und Waffensysteme gekostet. Kiew seinerseits startete erneut vereinzelte Gegenangriffe zur Rückeroberung von Gebieten.

Selenskyi spricht von einem "terroristischem Akt"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reagierte umgehend auf den Raketenangriff, der Winnyzja traf: "Was ist das, wenn nicht ein offener terroristischer Akt?", schrieb er im Nachrichtendienst Telegram. Russland töte jeden Tag Zivilisten. "Unmenschen. Mörderstaat. Terrorstaat", schrieb Selenskyj. Russland betont seit dem Einmarsch in die Ukraine immer wieder, im Nachbarland nur militärische Ziele anzugreifen.

Ukrainische Armee beschießt Ziele rund um Cherson

Die ukrainische Armee hat eigenen Angaben zufolge erneut Ziele im von Russlands Truppen besetzten Gebiet Cherson im Süden beschossen. Dem Sprecher der Odessaer Militärverwaltung, Serhij Bratschuk, zufolge wurden in der Stadt Nowa Kachowka zwei Kommandopunkte und ein Landeplatz attackiert. Das Kommando Süd teilte in der Nacht zum Donnerstag mit, es seien 13 feindliche Soldaten getötet und mehrere gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden. Das ließ sich zunächst nicht überprüfen. Nach russischen Angaben sind von den 30 Raketen viele abgefangen worden, niemand sei getötet worden. Auch mithilfe westlicher Waffen will die Ukraine Gebiete zurückerobern, die von russischen Soldaten besetzt wurden.

Wird durch Nord Stream 1 wieder Gas gen Europa fließen?

Der Krieg, der in der Ukraine die Leben zahlreicher Soldaten und auch Zivilisten fordert, könnte Europa daneben durch strategische Maßnahmen treffen, die das an Rohstoffen reiche Russland in Bezug auf seine Gaslieferungen offenkundig erwägt. Das russische Außenministerium stellte zwar eine Wiederaufnahme der Gasversorgung über die Pipeline Nord Stream 1 in Aussicht, führte als mögliches Hindernis aber die westlichen Sanktionen ins Feld. Die Wiederaufnahme der Lieferungen hänge zum einen von der Nachfrage in Europa ab, zum anderen aber auch von "einseitigen" Sanktionen, sagte Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa in Moskau.

Die derzeitige Wartung der Pipeline sei mit den Kunden abgesprochen. Die Arbeiten sollen bis zum 21. Juli abgeschlossen sein. Die Bundesregierung fürchtet, dass Russland die Lieferungen danach nicht wieder aufnehmen könnte, was die Gasversorgung massiv beeinträchtigen würde.

Macron: "Wir müssen daher komplett ohne russisches Gas auskommen"

Frankreich wird nach den Worten von Präsident Emmanuel Macron so bald wie möglich komplett auf russisches Erdgas verzichten. In einem Fernsehinterview am Nationalfeiertag sagte Macron, das Land habe bereits neue Lieferquellen erschlossen und die Vorräte aufgestockt. Der Verbrauch sei zudem im Vergleich zum Vorjahr "ein bisschen" zurückgegangen. Er bekräftigte die Pläne zum Ausbau der Atomenergie - sie sei eine "nachhaltige Lösung" für Frankreich und auch für andere Länder.

Macron warf Russland vor, Energie als "Kriegswaffe" einzusetzen. Russland habe bereits damit begonnen, Lieferungen einzuschränken, indem es die Gaspipeline Nord Stream 1 für Wartungsarbeiten abgeschaltet habe. "Das ist eine klare Botschaft: Sie werden Gas als Kriegswaffe einsetzen. Wir müssen daher komplett ohne russisches Gas auskommen." Macron sagte auch: "Wir müssen uns darauf einstellen, dass der Krieg dauern wird."

Lettlands Parlament verbietet Gasimporte aus Russland

Lettlands Parlament hat den Import von Gas aus Russland indessen verboten. Die Volksvertretung Saeima beschloss gesetzliche Änderungen am Energiegesetz, die eine Diversifizierung der Erdgasversorgungswege und die Sicherung strategischer Erdgasreserven vorgeben. Die Regelung sieht auch ein Verbot der Lieferung von Erdgas aus Russland vor. Zuvor hatte die Regierung des baltischen EU- und NATO-Landes im April beschlossen, Gasimporte aus dem Nachbarland bis zum 1. Januar 2023 aufzugeben. Russland war für Lettland die wichtigste Erdgasquelle. Als Konsequenz aus dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine hat der Baltenstaat die Importe aus Russland gestoppt - und bezieht sein Gas nun hauptsächlich aus dem benachbarten Litauen. Lettland plant zudem den Bau eines eigenen Flüssiggas-Terminals.

Rheinmetall: Modernisierung von "Marder"-Panzern läuft

Für die westlichen Waffenlieferungen spielt das System des Ringtausch eine große Rolle. Der Rüstungskonzern Rheinmetall modernisiert derzeit nach eigenen Angaben mehr als zwei Dutzend Schützenpanzer vom Typ "Marder" - eben für einen möglichen Ringtausch zur Unterstützung der Ukraine. Man habe bereits 30 Stück "in Arbeit genommen", um sie für die erhofften Verkäufe vorzubereiten, sagt ein Unternehmenssprecher am Standort Unterlüß in Niedersachsen. Insgesamt ließen sich rund 100 Stück "relativ einfach herrichten". Rheinmetall hatte die Lieferung der von der Bundeswehr ausgemusterten und wieder aufzubereitenden Marder angeboten. Die Bundesregierung hat nach bisherigem öffentlichen Stand aber noch nicht entschieden.

Beratungen über strafrechtliche Verfolgung beginnen

Der Chefankläger des Weltstrafgerichtes, Karim Khan, hat die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen, sich für die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine stark zu machen. Das Recht dürfe keine zweitrangige Rolle spielen, sagte Khan bei der Eröffnung einer internationalen Konferenz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine in Den Haag. "Das Recht kann kein Zuschauer sein." Mehr als 30 Minister und Ankläger Europas sowie anderer westlicher Staaten beraten in Den Haag über gemeinsame Strategien, Kriegsverbrechen in der Ukraine strafrechtlich zu verfolgen. Die Justiz in der Ukraine ermittelt nach eigenen Angaben zu mehr als 15.000 mutmaßlichen Fällen.

Parteiausschluss: Schiedskommission lässt Schröder zappeln

Im SPD-Verfahren um einen Parteiausschluss von Altkanzler Gerhard Schröder wegen dessen Nähe zu Russland gibt es noch kein Ergebnis. Die dreiköpfige Schiedskommission der SPD in der Region Hannover will sich am Freitag intern dazu beraten, nachdem heute die Antragsteller angehört wurden, sagte der Geschäftsführer des SPD-Bezirks Hannover, Christoph Matterne. Eine Entscheidung wird im Laufe der nächsten drei Wochen getroffen - als realistisch gilt eine Verkündung in der ersten Augustwoche.

Aus der SPD waren 17 Anträge auf ein Parteiordnungsverfahren gegen Schröder eingegangen. Der 78-Jährige selbst erschien nicht zu der etwa zweieinhalbstündigen Verhandlung im Kurt-Schumacher-Haus in Hannover. Er ließ sich auch nicht durch einen Anwalt vertreten. Nach einer Entscheidung können die Beteiligten binnen zwei Wochen Berufung einlegen. Wie der Vorsitzende der Schiedskommission, Heiger Scholz, erklärte, erhielten die Antragsteller in der Verhandlung die Möglichkeit, ihre Forderungen zu begründen. Anschließend seien diese "intensiv diskutiert" worden.

UN sieht ermutigende Zeichen bei Getreide-Export

Der mögliche Kompromiss zu Getreidelieferungen aus der Ukraine stößt bei Hilfsorganisationen auf ein positives Echo. "Es ist ermutigend, dass die Verhandlungen substanzielle Fortschritte machen, denn es hängt so viel davon ab", sagte der Direktor des UN-Welternährungsprogramms in Deutschland, Martin Frick, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Wenn Seewege weiter versperrt blieben, falle ein zentraler Akteur in der globalen Nahrungsmittelversorgung aus. Über Flüsse und Schienen seien im Juni 2,5 Millionen Tonnen Getreide transportiert worden. "Das ist ein bemerkenswerter Erfolg, aber dennoch nur die Hälfte dessen, was die Ukraine in Friedenszeiten monatlich exportiert." Aktuell warteten 20 Millionen Tonnen Getreide in Silos in der Ukraine auf die Ausfuhr.

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Quelle: ntv.de, mpe/dpa/AFP

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