Politik

Phantomdebatte um Maghreb-Staaten Das Label "sicher" ist völlig irrelevant

Die Zahl von Flüchtlingen aus den Maghreb-Staaten lagen mal bei mehreren Tausend pro Monat,  gingen zuletzt aber drastisch zurück.

Die Zahl von Flüchtlingen aus den Maghreb-Staaten lagen mal bei mehreren Tausend pro Monat, gingen zuletzt aber drastisch zurück.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Bundesrat vertagt seine Entscheidung. Nun wird weiter darüber gestritten, ob die Maghreb-Staaten zu sogenannten sicheren Herkunftsländern erklärt werden können. Dabei ist die Einstufung praktisch belanglos.

Für die Grünen und ihren einzigen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ist es eine Frage der politischen Hygiene, wenn nicht gar der politischen Identität. Die Union tut so, als ob der Kampf gegen Asylmissbrauch und damit die Integrität der deutschen Flüchtlingspolitik daran hängen würde. Über die ideologische Bedeutung der Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sogenannte sichere Herkunftsstaaten lässt sich trefflich streiten. Und das passiert auch. Der Bundesrat, der dem entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung noch zustimmen muss, hat seine Entscheidung wegen der Bedenken der Grünen vertagt. Jetzt wird weiter diskutiert. Doch zugleich gilt: Ob der Gesetzentwurf in Kraft tritt, ist zumindest praktisch total egal.

Die Zahl der Migranten aus den drei Maghreb-Staaten ging unabhängig von ihrem Status in den vergangenen Monaten drastisch zurück. Im Januar kamen nach Angaben des Bundesinnenministeriums 3356 Menschen aus diesen Ländern in Deutschland an. Im Mai waren es nur noch 374. Von allen Flüchtlingen, die über die gefährliche zentrale Mittelmeerroute (Libyen-Italien) nach Europa kamen, machten Personen aus den Maghreb-Staaten laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) nur 2,7 Prozent aus.

Abgesehen von den niedrigen Zahlen an Neuankömmlingen gilt: Die Einstufung von Ländern als sichere Herkunftsstaaten ist nicht die Wunderwaffe gegen sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge, als die sie die Union gern darstellt. Das zeigt die sukzessive Aufnahme der sechs Balkan-Staaten in die Liste der sicheren Herkunftsländer.

CDU und CSU feierten insbesondere die Einstufung des Kosovo im Oktober 2015 als Beleg für die gewaltige Wirkung, wenn ein Land in Anlage II zum Artikel 29a des Asylverfahrensgesetzes landet. Damals stellten 753 Personen aus dem Kosovo einen Asylantrag in Deutschland. Im Mai dieses Jahres waren es nur noch 547. Tatsächlich unterliegt die Asylstatistik aber heftigen Schwankungen, und wirklich drastisch gingen die Zahlen lange vor der Einstufung als "sicher" zurück. Im März 2015 gab es noch 11729 Anträge aus Kosovo. Kurz bevor das Land das Label "sicher" bekam, lag die Zahl bereits bei 796.

Abschiebehindernisse sind das größere Problem

Auf die übrigen Balkanstaaten lässt sich das Beispiel Kosovo zwar nicht ohne weiteres übertragen, doch auch die Statistiken zu diesen Ländern lassen Zweifel an der Wirkung des Statuswechsels aufkommen. Aus Mazedonien etwa verzeichnete die Bundesrepublik im Jahr 2014, als das Land als sicher eingestuft wurde, 8906 Asylanträge. Im Jahr danach waren es mit 14.131 deutlich mehr. 2016 zeichnet sich mit bisher 2428 wieder ein deutlicher Rückgang ab.

Tatsächlich scheint selbst der Mechanismus der Schnellverfahren nicht wirklich zu funktionieren. Zwar kann es durchaus gelingen, eine Asylentscheidung binnen Wochen statt Monaten zu fällen, was das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) entlastet. Aber das war es auch. Weniger Flüchtlinge gibt es dadurch nicht zu versorgen, weil diese auch nach einem negativen Asylentscheid im Land bleiben. Dass dies bei den Maghreb-Staaten ein besonders ernstes Problem darstellt, zeichnet sich längst ab.

Derzeit gibt es nach Angaben des Innenministeriums 3119 ausreisepflichtige Algerier. Nur 121 wurden in diesem Jahr abgeschoben oder haben sich freiwillig entschieden, die Bundesrepublik wieder zu verlassen. Bei Marokko sind es 2765 Ausreisepflichtige und 130, die das Land freiwillig oder unter Zwang wieder verlassen haben. Bei Tunesien liegen die Zahlen bei 1369 und 96.

Ralf Jäger, Innenminister von Nordrhein-Westfalen, wo besonders viele Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten leben, sagte kürzlich: "Die Klassifizierung als sicherer Herkunftsstaat spielt für uns in Nordrhein-Westfalen keine Rolle." Das eigentliche Problem seien die hinlänglich bekannten Abschiebehindernisse wie ärztliche Atteste, das Untertauchen, falsche Pässe oder eine Verweigerung des Herkunftslandes, den Staatsbürger zurückzunehmen. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es derzeit rund 1300 ausreisepflichtige Marokkaner, die aus diversen solcher Gründe nicht in ihre Heimat zurückgebracht werden können. Keiner dieser Gründe verschwindet, wenn die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer eingestuft werden.

Quelle: ntv.de

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