Streitpunkte des Koalitionsgipfels Heckenschützen treffen ungezogene Kerle
26.04.2015, 17:08 Uhr
Gabriel (l.), Merkel und Seehofer haben beim Koalitionsgipfel einiges zu besprechen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Viele Punkte ihres Koalitionsvertrages haben Union und SPD abgearbeitet. Bei drängenden Entscheidungen liegen die Interessen kurz vor dem Koalitionsgipfel aber weit auseinander. Die Opposition spricht vom Anfang des Endes der Zusammenarbeit.
Der grüne Fraktionschef Anton Hofreiter glaubt, dass die Gemeinsamkeiten der Großen Koalition "aufgezehrt" sind. Union und SPD haben in den vergangenen Monaten schon eine Reihe ihrer Projekte aus dem Koalitionsvertrag abgearbeitet. Die Rente mit 63, den Doppelpass für die Kinder von Ausländern, ein verschärftes Asylrecht. Und die Liste ist noch viel länger. Jetzt, so sagt es Hofreiter, "folgt die Selbstbeschäftigung und ein unsägliches Hin und Her bei zentralen Gerechtigkeits- und Zukunftsthemen".
Ein Großteil der Deutschen ist Umfragen zufolge mit der Arbeit der Großen Koalition zufrieden. Doch der Koalitionsgipfel heute Abend macht tatsächlich deutlich: Auch bei Grundsatzentscheidungen kann derzeit von uneingeschränkter Harmonie keine Rede sein. Die wichtigsten Themen des Treffens der Parteispitzen sowie die größten Streitpunkte im Überblick.
Mindestlohn
Eigentlich gehört auch der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro zu den Projekten, die die Koalitionspartner schon abgearbeitet haben. Der Mindestlohn gilt seit Januar. Auch für die SPD ist das Thema damit eigentlich längst durch. Doch CDU und CSU sehen das anders. Für die Unionsparteien ist die Regelung ein "Bürokratiemonster". Unter anderem weil für neun Branchen, die besonders für Schwarzarbeit anfällig sind, besondere Dokumentationspflichten bestehen. Sie müssen Beginn und Ende eines jeden Arbeitstages ihrer Mitarbeiter genau festhalten.
Diese Dokumentationspflichten gelten derzeit für alle Mitarbeiter mit einem Einkommen von bis zu 2958 Euro im Monat. Die Union will diese Schwelle auf 1900 Euro senken, damit weniger Arbeitnehmer unter die Dokumentationspflicht fallen. Die SPD will auf keinen Fall Änderungen am Gesetz.
Energiewende
Der Wechsel hin zu erneuerbaren Energien gilt als zentrale Zukunftsfrage. Beim Koalitionsgipfel dürfte er aber für den gewaltigsten Streit sorgen. SPD-Chef Sigmar Gabriel will besonders schlimme Klima-Killer loswerden. Für Kohlekraftwerke, die 20 Jahre oder noch älter sind, möchte er deshalb eine Sonderabgabe einführen. So soll es der Bundesrepublik gelingen, ihr Klimaziel doch noch zu erreichen. Bis zum Jahr 2020 will sie den Treibhausgasausstoß um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 senken. Prominente Unionsmitglieder bekämpfen die Kohleabgabe allerdings.
"Die CDU lehnt diesen Vorschlag entschieden ab", heißt es in einer Resolution, die der nordrhein-westfälische CDU-Landesvorsitzende Armin Laschet auf den Weg gebracht hat. Durch den Ausstieg aus der Kernkraft und der Kohleenergie könnte es zu "desaströsen Versorgungslücken" kommen. Unionspolitiker warnen obendrein vor dem Verlust tausender Arbeitsplätze. Bundeskanzlerin Merkel hat sich bisher davor gedrückt, Stellung in dem Streit zu beziehen.
Bund-Länder-Finanzbeziehungen
Unter dem Stichwort Bund-Länder-Finanzausgleich verbirgt sich wohl die umfassendste Reform, die der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode noch bevorsteht. Sie muss sich zum einen für eine Neuregelung des Solidaritätszuschlags entscheiden. Die SPD würde die Abgabe gern in die Einkommensteuer integrieren. Dadurch würden neben dem Bund auch die Bundesländer etwas von den Einnahmen haben. Vor allem die CSU will den Solidaritätszuschlag, der 2019 ausläuft, aber abschaffen. Nicht sofort, aber in mehreren Schritten bis zum Jahr 2029. Der Chef der Christsozialen, Horst Seehofer, sprach in der "Bild am Sonntag" von der "größten Steuersenkung aller Zeiten". Sollte die SPD nicht mitziehen, so warnte er, würde er die Abschaffung der Abgabe zum Wahlkampfthema 2017 machen.
Neben dem Solidaritätszuschlag werden die Koalitionspartner wohl auch über den Länderfinanzausgleich streiten. Durch den Mechanismus wurden allein im vergangenen Jahr rund neun Milliarden Euro zwischen den Ländern hin- und hergeschoben. Bayern, das seit Jahren zu den Geberländern gehört, will diese Summe um mindestens zwei Milliarden Euro kürzen.
Schwer belastete Beziehungen
Hinzu kommen eine Reihe weiterer bedeutsamer Themen. Angesichts der Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer steht das Thema Asyl oben auf der Agenda der Großen Koalition, allerdings ist dafür auch ein Sondergipfel Anfang Mai geplant. Auch die jüngsten Entwicklungen in der NSA-Affäre stehen auf der Tagesordnung. Streit wird es aber vor allem wegen des Betreuungsgeldes geben. Denn Familienministerin Manuela Schwesig denkt bereits laut darüber nach, was sie mit den Mitteln für das Wunschprojekt der CSU anstellen kann, wenn das Bundesverfassungsgericht die Regelung kippen sollte.
Mit Entscheidungen wird an diesem Abend nur beim Thema Mindestlohn gerechnet. Die übrigen Streitpunkte will die Koalition bis zum Sommer ausräumen. Die jüngsten Wortmeldungen von Regierungsmitgliedern lassen aber nicht erahnen, dass sich die Stimmung in der Koalition dadurch spürbar entspannt.
CSU-Chef Seehofer bezeichnete das Verhalten der Sozialdemokraten als "schwere Belastung". Sein Generalsekretär Andreas Scheuer sprach gar von "Heckenschützen". Die Reaktion folgte prompt. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi stellte Seehofer als ungezogenen Kerl da. Sie sagte, der CSU-Mann vergesse "zu häufig seine gute Kinderstube".
Quelle: ntv.de