Politik

Botschafter Makeiev im Interview "Ich bin Waffenhändler, Storyteller und Therapeut"

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Oleksii Makeiev in seinem Büro in der ukrainischen Botschaft. Im Hintergrund eine "Wunschliste" der Ukraine mit Waffen aus Deutschland. Auch der Taurus steht darauf.

Oleksii Makeiev in seinem Büro in der ukrainischen Botschaft. Im Hintergrund eine "Wunschliste" der Ukraine mit Waffen aus Deutschland. Auch der Taurus steht darauf.

(Foto: Klaus Wedekind)

Auf die Frage, ob er in Deutschland ein Misstrauen gegen die Ukraine wahrnehme, überlegt der ukrainische Botschafter im Interview mit ntv.de erst einmal. Dann antwortet Oleksii Makeiev, der Verdacht liege in der Luft. "Aber ich kann ausschließen, dass es in Deutschland ein generelles Misstrauen gegen die Ukraine gibt. Dafür ist die Solidarität zu groß." Die Art der deutschen Debatte über den Marschflugkörper Taurus missfällt ihm allerdings. "Inhaltliche Diskussionen über verschiedene Waffensysteme werden am besten hinter verschlossenen Türen geführt", so Makeiev. Die aktuelle Debatte sei innenpolitisch sehr hoch aufgeladen.

ntv.de: Herr Botschafter, Sie sind seit anderthalb Jahren der Vertreter der Ukraine in Berlin. Was sind die zentralen Aufgaben eines ukrainischen Botschafters in Deutschland? Sind Waffenlieferungen noch immer das wichtigste Thema Ihrer Arbeit?

Oleksii Makeiev: Für mich als Botschafter eines Landes, das sich im Krieg befindet, sind drei Dinge wichtig. Erstens muss ich in gewisser Weise Waffenhändler sein. Zweitens ein Storyteller, denn in der Diplomatie geht es auch darum, Geschichten zu erzählen: Wenn ich Menschen mitnehmen will, muss ich anschaulich machen, was in der Ukraine geschieht. Und manchmal fühle ich mich als Psychotherapeut, auch wenn mir dafür die Ausbildung fehlt.

Wen therapieren Sie?

Ganz unterschiedliche Menschen. Hier in Deutschland gibt es viele Ängste, wenn es um Russland geht. Das ist wie mit einem Kindheitstrauma, das man nicht verarbeitet hat. Die Deutschen fühlen sich als Folge des Zweiten Weltkriegs für Russland verantwortlich. Geworden ist daraus eine Abhängigkeit, teilweise auch Russlandbesessenheit. Und natürlich gibt es Ängste vor einem nuklearen Krieg, oder davor, dass der Krieg näherkommt, der 800 Kilometer entfernt ist. Viele wollen auch lieber wegschauen. All diese Ängste und Traumata müssen angesprochen werden.

Und das tun Sie?

Meine Aufgabe ist es, mit den Menschen in Deutschland zu sprechen, nicht nur mit der Politik, auch mit den Bürgern, den Steuerzahlern. Denn deren Geld ist es, das uns hilft, in diesem Krieg Positionen zu halten und zu gewinnen. Um diese Unterstützung zu bekommen, muss man erklären. Deshalb reise ich viel, nehme an Bürgerdialogen teil, besuche Abgeordnete in ihren Wahlkreisen und gebe Interviews.

Ist es schwieriger für Sie geworden, die deutsche Politik zu erreichen?

Nein, überhaupt nicht. Ich spüre überall eine enorme Solidarität - in der Bevölkerung und in der Politik. Mir steht wirklich jede Tür offen. Minister, Staatssekretäre, Bundestagsabgeordnete, die Ministerpräsidenten der Bundesländer, sie alle sind sehr aufgeschlossen.

Sprechen Sie mit allen Parteien, die im Bundestag vertreten sind?

Mit der AfD, der Linken und dem BSW im Bundestag spreche ich nicht.

Weil die nicht wollen?

Ich ziehe es vor, mit den demokratischen Fraktionen zu sprechen. Aber wenn ich die Bundesländer besuche, bitte ich nicht nur die Landtagspräsidentin oder den Landtagspräsidenten um ein Treffen, wie es diplomatische Gepflogenheit ist, sondern schlage auch immer eine Runde mit den Fraktionsspitzen vor. Da sitzen dann mitunter auch Vertreter von AfD und Linken. Es kam schon vor, dass mich Landtagsabgeordnete dieser Parteien angesprochen und gesagt haben, dass ihre Wähler Russland unterstützen würden. Ich frage dann zurück: "Was an Russland unterstützen Ihre Wähler? Folter? Vergewaltigungen? Raketenangriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine?"

Oleksii Makeiev ist seit Oktober 2022 ukrainischer Botschafter in Berlin.

Oleksii Makeiev ist seit Oktober 2022 ukrainischer Botschafter in Berlin.

(Foto: Klaus Wedekind)

Wundert es Sie, dass es diese Art der Zustimmung zu Russland in Deutschland gibt?

Bei der Aufarbeitung deutscher Kriegsverbrechen, die sehr wichtig war, wurde ignoriert, dass Russland und die Sowjetunion nicht identisch sind. Es gibt zwei weitere Länder der ehemaligen Sowjetunion, die vollständig von Nazideutschland besetzt waren - die Ukraine und Belarus. Eine historische Verantwortung für diese Länder gab es in den Köpfen der Deutschen trotzdem nie. Zu Beginn meiner Zeit als Botschafter in Berlin habe ich oft gehört: "Wir können der Ukraine keine Waffen liefern - deutsche Waffen gegen Russland, das gab es schon einmal, das darf es nicht noch mal geben!"

Was haben Sie dann gesagt?

Es bedurfte einer ziemlichen Anstrengung, um den Deutschen klarzumachen, dass diese Waffen die Ukraine vor einem Angreifer schützen. Meine Oma hat den Zweiten Weltkrieg als Jugendliche in der Ukraine erlebt. Sie ist kurz vor der russischen Invasion gestorben, aber ich kann mir vorstellen, wie sie sich gefühlt hätte, noch einmal erleben zu müssen, dass Kyjiw bombardiert wird. Wenn sie oder mein Großvater früher vom Zweiten Weltkrieg erzählt haben, dann dachte ich immer: Wie gut, dass wir heute im Frieden leben. Und nun wird meine Tochter eines Tages ihren Enkeln erzählen, wie russische Bomben und Raketen achtzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg auf Kyjiw niedergegangen sind. Mit dem Unterschied, dass jetzt die Russen die Nazis sind.

Bundeskanzler Scholz verurteilt den russischen Angriffskrieg, sagt aber, kurz gefasst: Gegen Russland darf der Taurus nicht eingesetzt werden.

So habe ich ihn nicht verstanden.

Er will keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern, ohne die Kontrolle aus der Hand zu geben. In seiner Darstellung bedeutet Kontrolle, dass deutsche Soldaten beteiligt wären, was er ausschließt. Können Sie das nachvollziehen?

(überlegt) Wir sehen, dass diese Debatten innenpolitisch sehr hoch aufgeladen sind. Und für jeden Diplomaten, jeden Botschafter ist es wichtig, sich in die innenpolitischen Diskussionen nicht einzumischen. Ich muss mich auf inhaltliche Fragen konzentrieren, und nicht auf persönliche. Deswegen argumentiere ich immer wieder, warum etwas nicht stimmt oder warum wir gerade weitreichende Systeme brauchen. Das ganze Land, die ganze deutsche Gesellschaft geht davon aus, dass der Ukraine weiter geholfen werden muss. Damit wir den Krieg gewinnen.

Versteht man in der Ukraine, was in Deutschland diskutiert wird?

Alle Ukrainer wissen, dass Deutschland zweitgrößter Unterstützer der Ukraine ist. Eine Umfrage hat kürzlich ergeben, dass das Ansehen Deutschlands in der Ukraine sehr hoch ist, und darüber freue ich mich. Im Februar 2022 hat Deutschland mit 5000 Helmen angefangen. Seither ist viel passiert.

Genug aus Ihrer Sicht?

Genug ist es für mich erst, wenn ich von der Front die Nachricht höre: Jetzt haben wir ausreichend Waffen und Munition.

Befürchten Sie, dass die Unterstützung der Ukraine dem innenpolitischen Streit in Deutschland zum Opfer fällt?

Inhaltliche Diskussionen über verschiedene Waffensysteme werden am besten hinter verschlossenen Türen geführt, das machen auch meine Kolleginnen und Kollegen als Botschafter in anderen Ländern so. Die deutsche Position lautet: Wir helfen der Ukraine so lange wie nötig. Das finde ich sehr gut. Aber vielleicht müsste der Satz nach zwei Jahren Krieg etwas erweitert werden. Gut ist, wenn in der Politik gesagt wird: Es ist im deutschen Interesse, der Ukraine so lange wie nötig und mit allem, was uns zur Verfügung steht, zu helfen, diesen Krieg zu gewinnen. Das wäre eine Grundeinstellung, die alles erklärt.

Wie zielführend sind diese Gespräche hinter verschlossenen Türen?

Es gab lange Diskussionen über den MARS-Raketenwerfer und die Panzerhaubitze 2000, aber eben nicht in der Öffentlichkeit. Beides wurde geliefert. Oder die Weitergabe von Flugzeugen aus DDR-Beständen, die Deutschland an Polen abgegeben hatte - das wurde innerhalb von 24 Stunden entschieden. In unseren direkten Gesprächen mit befreundeten Regierungen sagen wir: Wir brauchen diese oder jene Systeme, und wir erklären, was wir damit machen wollen. Im Moment wären weitreichende Systeme sehr hilfreich, um Kommandozentralen, Munitionsdepots und Verbindungswege für Nachschublieferungen weit hinter der Frontlinie zu erreichen.

Gibt es ein anderes Waffensystem als den Taurus, das die Kertsch-Brücke zerstören könnte?

Solche Systeme gibt es bestimmt irgendwo. Aber ich bin Botschafter hier in Deutschland.

Wie wichtig wäre es, diesen Verbindungsweg vom russischen Festland zur Krim zu unterbrechen?

Zunächst einmal: Es gibt keine Wunderwaffen. Es gibt nicht die eine Waffe, die den Krieg entscheidet, da stimme ich dem Bundeskanzler zu. Für den Soldaten an der Front ist wichtig, dass er tausend Granaten für seine Panzerhaubitze bekommt, für die er möglicherweise keine Munition mehr hat. Das kann für den einen Frontabschnitt entscheidend sein. Aber natürlich sind weitreichende Systeme sehr wichtig. Jedes neue Waffensystem leistet einen Beitrag. Und wir teilen übrigens auch unsere Erfahrungen aus den Einsätzen mit unseren Verbündeten. Unsere Militärs sprechen miteinander. Bereits heute fließen unsere unmittelbaren Kriegserfahrungen in die Ausbildung von Bundeswehrsoldaten ein.

Steht hinter der Weigerung, den Taurus zu geben, ein generelles Misstrauen gegen die Ukraine?

(überlegt) Der Verdacht liegt in der Luft, ich bin das oft gefragt worden, und das war ja auch Thema am Mittwoch im Bundestag. Aber ich kann ausschließen, dass es in Deutschland ein generelles Misstrauen gegen die Ukraine gibt. Dafür ist die Solidarität zu groß. Ich glaube auch nicht, dass der Bundeskanzler meinem Präsidenten misstraut. Ich habe die beiden viele Male bei Terminen begleitet, das waren immer ehrliche Gespräche. Wir haben auch keinen Grund für Misstrauen gegeben, wir haben uns immer an alle Verabredungen gehalten. Alle Waffen werden nur so eingesetzt wie vereinbart.

Trotzdem entsteht der Verdacht, dass die Ukraine vom Westen immer nur so viel bekommt, dass sie sich verteidigen kann - aber nicht so viel, dass es zum Gewinnen reicht.

Ich glaube schon, dass man in Deutschland begriffen hat, dass Kriege nicht von selbst enden. Frieden fällt nicht vom Himmel, er muss erkämpft werden.

Was entgegnen Sie, wenn Leute fragen, warum die Ukraine nicht mit Russland verhandelt?

Ich frage zurück: "Was sind Ihre Vorschläge, was ist Ihre Strategie? Ich notiere mir alles! Und bitte, wenn Sie etwas abgeben wollen, Gebiete oder Menschen, dann von Ihrem eigenen Land, nicht von unserem." Das habe ich auch Herrn Kretschmer gesagt.

Michael Kretschmer, der sächsische Ministerpräsident, hat gerade erst gesagt, er teile den Aufruf des Papstes für "Mut zu Verhandlungen".

Wenn deutsche Politiker sagen, Russland dürfe nicht besiegt werden, Deutschland müsse um jeden Preis freundschaftliche Beziehungen zu Russland unterhalten oder die Ukraine solle Territorien an Russland abtreten, dann senden sie damit eine klare Botschaft - nicht an die Ukraine, sondern an ihre eigenen Wähler. Sie sagen damit: Ich bin zwar euer Repräsentant, aber bei einem russischen Angriff würde ich euch nicht verteidigen, sondern Gebiete, Menschen und Werte aufgeben. Seit 2014 hatten wir - ich war als Diplomat über Jahre dabei - mehr als 200 Verhandlungsrunden mit Russland. In Minsk haben wir über alles Mögliche verhandelt, mit Präsident Hollande, Bundeskanzlerin Merkel, Präsident Poroschenko und Präsident Putin. Ich war dabei, vermutlich wurden mehr als 50 Waffenstillstände ausgehandelt. Die hielten dann meist keine 24 Stunden, denn die Russen wollten sie nicht. Erst vor ein paar Tagen hat Putin Verhandlungen ausgeschlossen: "Jetzt mit Verhandlungen anzufangen, nur weil der Ukraine die Munition ausgeht, wäre lächerlich", sagte er.

Hierzulande glauben viele Menschen, dass Russland verhandeln wolle, nicht aber die Ukraine.

Wir haben im März 2022 mit Russland verhandelt. Und dann haben wir gesehen, was sie in Butscha gemacht haben. Wir können die Menschen in Donezk, in Mariupol, in Melitopol nicht aufgeben. Es ist kaum vorstellbar, was dort gerade passiert. In den befreiten Gebieten untersucht unsere Generalstaatsanwaltschaft heute 100.000 Kriegsverbrechen. 100.000! Fast 20.000 Kinder wurden aus der Ukraine nach Russland verschleppt, sie bekommen dort andere Namen, ihnen wird gesagt: Du bist jetzt Russe, so etwas wie Ukrainer gibt es nicht. Die frühere israelische Ministerpräsidentin Golda Meir hat mal gesagt: Es ist verdammt schwierig, mit denen zu verhandeln, die dich vernichten wollen. Das ist, was Putin will, was Russland will: die Ukraine vernichten. Eigentlich den ganzen bösen Westen.

Anfang März ergab eine Umfrage, dass 57 Prozent der Deutschen glauben, dass die Ukraine auch mit einer deutlich ausgeweiteten Unterstützung keine Chance habe, den Krieg zu gewinnen.

Gleichzeitig sagt eine große Mehrheit der Deutschen, dass die Ukraine weiter unterstützt werden soll. Und wir haben bewiesen, dass wir nicht nur drei Tage durchhalten, wie viele Experten zu Beginn des Kriegs dachten, sondern inzwischen schon mehr als 700 Tage. Es gibt uns noch, weil wir stark sind und weil wir unterstützt wurden. Das war kein einfacher Weg. Meine Botschaft an die Deutschen ist: Glauben Sie uns und glauben Sie an uns. Aber das Wichtigste: Glauben Sie an sich selbst.

Mit Oleksii Makeiev sprachen Thomas Schmoll (M.), Hubertus Volmer sowie Klaus Wedekind.

Mit Oleksii Makeiev sprachen Thomas Schmoll (M.), Hubertus Volmer sowie Klaus Wedekind.

(Foto: Klaus Wedekind)

Ein Blick weiter nach vorn: Was wird aus der Ukraine, wenn Trump wieder zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wird?

Ich weiß, was aus der Ukraine wird, wenn wir und unsere Partner die Werte von Demokratie und Freiheit nicht preisgeben. Wir werden ein erfolgreiches Land sein. Wir werden unsere Menschen und unsere Gebiete befreien. Und wir werden als EU- und NATO-Mitglied eine wichtige Säule der Sicherheit in Europa sein. Ich wundere mich manchmal, wie wenig manche in Deutschland es zu schätzen wissen, welche Sicherheit ihnen die NATO-Mitgliedschaft gibt. Es ist ein tolles Gefühl, in einer friedlichen Stadt schlafen gehen zu können, ohne Angst zu haben, von einer Sirene oder einem Knall geweckt zu werden.

Können Sie denn gut schlafen?

Wenn ich aufwache, schaue ich als Erstes, ob die Nacht zu Hause ruhig war. Nein, war sie nicht. Dreimal Luftalarm. Shahed-Drohnen. Raketen. Fünf tote Kinder in Odessa. Manchmal klingelt nachts mein Telefon und meine Mutter ruft an. Sie sagt dann: Entschuldige, ich weiß, dass du schläfst, aber ich habe solche Angst, können wir kurz sprechen? Viele schreiben Whatsapp-Nachrichten, um einander zu fragen, wie es geht. Aber vor allem will man wissen, ob der Freund noch lebt. Und dann wird man nervös, wenn man sieht, dass die Nachricht nicht gelesen wird.

Mit Oleksii Makeiev sprachen Hubertus Volmer, Thomas Schmoll und Klaus Wedekind

Quelle: ntv.de

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