Halbzeit nach zwei Jahren im Amt Ist Olaf Scholz noch der Richtige?


Olaf Scholz durchlebt nach zwei Jahren im Amt eine Regierungskrise, mal wieder.
(Foto: picture alliance/dpa)
Auf den Tag zwei Jahre ist Olaf Scholz an diesem Freitag Bundeskanzler und die Lage ist desaströs, nicht nur für die Ampelkoalition. Auch das Ansehen des Kanzlers sinkt. Die Menschen machen die Krise der Regierung zunehmend an deren Chef fest. Der muss sich fragen, warum er weitermachen will.
Am Freitag findet die SPD zu einem Bundesparteitag in Berlin zusammen und wird sich einmal mehr zur Regierungsführung beglückwünschen. Das gehört sich so, wenn eine Partei am zweiten Jahrestag ihrer Regierungsübernahme zusammenkommt. Erst recht, wenn ihr Sieg bei der Bundestagswahl 2021 lange als unmöglich galt und eine Wiederholung vier Jahre später höchst unwahrscheinlich erscheint. "Ist doch toll, wir regieren! Vielleicht nicht so gut wie erwartet, aber doch allemal besser als jede andere in Betracht kommende Partei", wird deshalb die erwartbare Botschaft der zur Wiederwahl kandidierenden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil lauten. Sie werden versichern, dass die zweite Regierungshälfte noch einmal deutlich besser und die SPD ihr Profil schärfen werde, weshalb die Bundestagswahl 2025 längst nicht verloren sei. Das ist einerseits richtig. Andererseits ist offen, ob der SPD und Bundeskanzler Olaf Scholz noch zwei weitere Jahre bleiben.
Scholz und seiner Ampel droht wegen der Haushaltskrise das vorzeitige Aus. Selbst wenn die Koalition im neuen Jahr einen Haushalt für 2024 auf die Beine gestellt bekommt, wird sie fortan mit weniger Geld auskommen müssen. Die internen Fliehkräfte werden nicht nachlassen und die Ampel mit einer Haushaltsverabschiedung nicht gerettet sein. Bitter für Scholz: Zwei Jahre nach seiner Vereidigung würde kaum jemand seiner Kanzlerschaft nachtrauern. Lange Zeit konnten sich die Strategen im Willy-Brandt-Haus und im Kanzleramt damit beruhigen, dass die Umfragewerte des Bundeskanzlers weit besser waren als die der SPD. Sprich: Die Menschen würden sich zur nächsten Bundestagswahl wie schon 2021 überlegen, wen sie als Regierungschefs haben wollten und dann eben auch dessen Partei wählen.
Der Kanzlerbonus ist dahin
Doch Scholz' persönliche Zustimmungswerte befinden sich nicht nur im Trendbarometer, das Forsa regelmäßig für RTL und ntv erhebt, seit Monaten im freien Fall. Bei einer hypothetischen Direktwahl des Bundeskanzlers lag Scholz zuletzt mit 16 Prozent acht Punkte hinter CDU-Chef Friedrich Merz und zwei Punkte hinter seinem Stellvertreter Robert Habeck von den Grünen. Würden nur Scholz und Merz antreten, läge Scholz mit 36 Prozent vier Punkte vor Merz - aber auch nur, weil Grünen-Anhänger Merz entschieden ablehnen.
Auch die Ansichten über Scholz als Person sind desaströs: Im Mai 2022 hielten ihn noch 61 Prozent der Befragten für kompetent, heute sind es 30 Prozent. Von 56 Prozent, die ihn für vertrauenswürdig hielten, sind noch 32 Prozent übrig. Der Sympathiewert fiel von 57 auf 41 Prozent. Die wenigen 32 Prozent, die Scholz vor eineinhalb Jahren noch als führungsstark einschätzten, sind auf 10 Prozent gefallen. Der Kanzlerbonus, für Amtsvorgängerin Angela Merkel eine Säule jeder Wiederwahl, ist dahin. Und das bei einem Hauptwidersacher Friedrich Merz, der sich weder in der breiten Bevölkerung noch bei den Anhängern von CDU und CSU überbordender Beliebtheit erfreut.
Zentrales Versprechen unerfüllt
Zwei weitere Faktoren stellen eine mögliche Wiederwahl von Scholz infrage. Erstens dürfte der Krieg in der Ukraine wahrscheinlich noch toben, wann immer der nächste Bundestag gewählt wird. Das Blatt droht sich sogar zugunsten Russlands zu wenden. Scholz' Versprechen, Russlands Krieg dürfe sich für Putin nicht gelohnt haben, wackelt damit erheblich. Zumindest kann er für sich beanspruchen, dass es bislang nicht zu einer direkten Konfrontation zwischen NATO und Russland gekommen ist. Zweitens wird die in diesem Jahr schrumpfende Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik auch im kommenden Jahr wohl nur leicht wachsen. Derweil fehlen der Bundesregierung die Gegenmittel. Der auch durch allerlei Klientelpolitik ausgelastete Haushalt bietet kaum noch Spielraum und eine Umgehung der Schuldenbremse ist fast unmöglich geworden. Bleibt die Hoffnung auf einen deutlichen Nachfrageschub aus China, um die deutsche Exportwirtschaft zu beflügeln. Darauf aber hat Berlin noch weniger Einfluss als auf den Verlauf des Krieges in der Ukraine.
Scholz' persönliches Umfragetief ist damit mehr als nur Folge von gut eineinhalb Jahren Dauerstreit in seiner Ampelkoalition. Diese Werte sind Symptom eines Regierungschefs, der sich und seine Koalition in einer Sackgasse wiederfindet. Und der dieses strategische Desaster nicht durch seinen persönlichen Auftritt zu überdecken weiß. Allerdings hatten sich wohl nur die wenigsten seiner Wähler wegen seines Charmes oder seiner begeisternden Reden für Scholz entschieden. Der in seinem Auftreten spröde Hamburger strahlte im Vergleich zu den Kanzlerkandidaten Annalena Baerbock und Armin Laschet am ehesten Solidität aus, war ein Versprechen aus Klugheit, Erfahrung und Verlässlichkeit.
Dieses Versprechen ist unerfüllt geblieben, weil nach zwei Jahren Olaf Scholz Deutschland einerseits vor immensen Problemen steht, ihm andererseits aber die Kraft zu deren Lösung fehlt - politisch, weil die Koalition in grundlegenden Fragen nicht zusammenpasst, und finanziell, weil sie künftig kaum noch Luft für Investitionen hat. Wäre Scholz doch nur der besagte "Klempner", möchte man Friedrich Merz zurufen. Schließlich hatten die Wähler der SPD einen fachkundigen Handwerker der Macht erwartet, der den Laden zusammenhält. Doch der Reparaturbedarf ist nur immer weiter gewachsen, während dem Kanzler sein wichtigstes Werkzeug auf die Füße gefallen ist: die Schuldenaufnahme. Autsch!
Dass sich der Bundeskanzler nicht einmal entschuldigt hat, mit den von ihm konzipierten Schattenhaushalten dem Land so viel Ungewissheit beschert zu haben, ist nicht nebensächlich. So vieles ist in der Regierung schiefgegangen, doch einen Irrtum oder eine persönliche Verantwortung für etwaige Krisenlagen hat Scholz nicht zu erkennen gegeben.
Fast immer hinter der Lage
Immerhin muss Scholz und seinem Umfeld im vergangenen Sommer klar geworden sein, dass es wie bisher nicht weitergeht. So wurde ein Programm geboren, das nicht zwingend viel kostet, aber viel bringen könnte - das Versprechen vom funktionierenden Staat. Egal, ob marode Infrastruktur, langwierige Behördengänge, ein Übermaß an Verwaltungsaufwand für die Wirtschaft oder die schwache Durchsetzung des Aufenthaltsrechts: Die Idee hinter dem Deutschland-Pakt ist so simpel wie gut. Denn natürlich wollen die Menschen sehen, dass ihr Steuergeld sinnvoll ausgegeben wird und Gesetze für alle gelten - auch beim Aufenthaltsrecht. Es wäre ein Rezessionsprogramm für die AfD.
Einiges ist seither angegangen worden, vor allem die Maßnahmenpakete zur Entbürokratisierung werden als vielversprechend eingeschätzt. Die Umsetzung aber braucht einen langen Atem. Ähnlich des Effekts der Hartz-Reformen könnte ein für alle sichtbares Ergebnis noch Jahre brauchen, die die Ampel vielleicht nicht mehr hat. Zugleich schlägt die Haushaltskrise auf die Infrastruktur-Vorhaben durch, insbesondere bei der Bahn. Und beim Umgang mit Flüchtlingen hat sich Scholz von Merz in einen Ankündigungswettbewerb treiben lassen, der einerseits völlig unrealistische Erwartungen an das Sinken der Zuwanderungszahlen geweckt hat, andererseits Teile der eigenen Partei vor den Kopf stieß. Der Parteinachwuchs wird auf dem Parteitag am Wochenende seinem Unmut Luft machen über die als asylrechtsfeindlich wahrgenommenen Aussagen des Bundeskanzlers.
Der im Sommer erhoffte Befreiungsschlag ist jedenfalls nicht geglückt. Scholz ist wieder hinter die Lage geraten. Wie schon beim Streit ums Heizungsgesetz, als er wochenlang den Konflikt zwischen Grünen und FDP eskalieren ließ. Oder bei den Energiepreisbremsen, als die Koalition den Sommer 2022 über untätig blieb, um dann eine eiligst aus der Taufe gehobene Kommission so etwas wie eine Lösung flickschustern zu lassen. Oder bei der von ihm befürworteten Corona-Impfpflicht, die erst das Land spaltete und dann krachend scheiterte. Und nicht zuletzt bei den Ukraine-Hilfen: Als Kiew im Sommer endlich seine Frühlingsoffensive starten konnte, hatten sich die russischen Besatzer längst eingegraben und einen beispiellosen Minengürtel durchs Land gelegt, während die Ukraine noch immer nicht über genügend Waffen und Munition verfügte.
Durchmerkeln reicht nicht mehr
Zu selten ging in diesen zwei Jahren ein Impuls vom Kanzleramt aus, und wenn doch, ging er zu häufig schief. Es mag für Scholz' Charakter sprechen, dass er nie den Versuch gewagt hat, seine komplizierte Regierungskoalition für alle sichtbar von vorn zu führen. Aber weil es ihm auch sonst an Sinn für Symbolik fehlt, ist das Bild eines führungsschwachen Kanzlers entstanden, von dem kaum wer weiß, wo er eigentlich hin will, seit er seinen Jugendtraum vom Kanzlersein verwirklicht hat. In Zeiten voller Kassen reichte es, das Land vor allem zu verwalten. Aber nach Jahren der Corona-Krise, des Krieges in der Ukraine, wirtschaftlicher Abstiegsängste, realer Einkommensverluste und einer durch Klimawandel und Überalterung ungewissen Zukunft braucht das Land womöglich eine andere Ansprache durch seinen Regierungschef - jemanden, der jenseits der Faktenlage anpackende Zuversicht verströmt und seine Politik zu vermitteln weiß.
Das mag viel verlangt sein in denkbar komplizierten Zeiten. Und es ist ja auch niemand in Sicht, der diese Anforderungen sicher erfüllen könnte. Doch diese vermeintliche Alternativlosigkeit sollte Scholz nicht in Selbstgewissheit wiegen. Zwei weitere Jahre Olaf Scholz als Bundeskanzler bedürfen schon einer besseren Begründung. Zu viele Menschen haben sich schon von der Politik gänzlich abgewendet und verzichten gleichermaßen darauf, sich zu informieren und ihr Wahlrecht wahrzunehmen. Und zu viele andere Menschen haben sich längst den ewiggestrigen Heilsversprechern der AfD zugewandt. Es wäre essenziell wichtig, wenn der Regierungschef den Ernst der Lage - im Land und der Koalition - nach außen erkennbar reflektiert. Olaf Scholz muss in diesen Tagen nicht nur darüber nachdenken, wie er seine Amtszeit rettet, sondern vor allem auch: wozu?
Quelle: ntv.de