Migration, Korruption, Proteste Mit diesen Problemen kämpft Polen nach der PiS-Regierung


Polens neuer Ministerpräsident Donald Tusk (r.) wird eine völlig andere EU-Politik als zuvor die rechtsnationale PiS unter Jarosław Kaczyński betreiben.
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Mit dem neuen Ministerpräsidenten Donald Tusk weht politisch ein anderer Wind in Warschau. Das freut vor allem Berlin und Brüssel. Die Vorgängerregierung der rechtsnationalen PiS hat viele Fehler gemacht. Sie zu korrigieren, ist Tusks größte Herausforderung. Ein Überblick über die drängendsten Fragen.
1. Polens Beziehung zu Deutschland und der EU hat unter der PiS gelitten
Tusk scheint prädestiniert dafür, als neuer Staatschef einen Kontrapunkt zur nationalistischen Politik zu setzen, mit der die PiS viele europäische Partner vor den Kopf stieß, als sie an der Macht war. Der Jubel in Brüssel und Berlin war groß, als klar wurde, dass Tusk in Warschau die Rechtsnationalen unter Jarosław Kaczyński ablösen wird. Schließlich war Tusk zwischen 2014 und 2019 Präsident des Europäischen Rates. Zuvor hatte er das Amt als polnischer Ministerpräsident bereits sieben Jahre lang inne, wobei er gute Verbindungen zu Deutschland pflegte.
Diese pro-europäische, pro-deutsche Haltung versuchte die PiS im Wahlkampf zu Tusks Nachteil auszulegen. Mit verschwörungstheoretischem Geraune stellte sie ihn als Agenten der EU und der Bundesregierung dar, der angeblich die nationale Souveränität Polens zu untergraben versuche. Durch diese Taktik konnte sich die PiS allerdings bei den Wahlen keine regierungsfähige Mehrheit sichern. Die polnische Bevölkerung strafte die Partei wohl auch ab, weil deren Politik dafür sorgte, dass die EU insgesamt etwa hundert Milliarden Euro an Fördergeldern einfror.
Nun stehen die Zeichen auf Entspannung. Bereits vor Tusks offiziellem Amtsantritt Mitte Dezember gab die EU-Kommission mehr als fünf Milliarden Euro als Vorfinanzierung aus dem Corona-Konjunkturprogramm RePowerEU frei. Bei einem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte Tusk, dass er nicht nur die Freigabe weiterer Gelder erreichen, sondern auch dafür sorgen wolle, dass Polen wieder eine "Hauptrolle" in der EU spielt.
"Tusk hat erkannt, wie fatal es war, dass die polnische Expertise in der Ukraine-Politik der EU in den vergangenen Jahren kaum eine Rolle gespielt hat. Das lag an der Politik der PiS, die dafür sorgte, dass Polen in der EU isoliert war", sagt Dagmara Jajeśniak-Quast, Direktorin des Viadrina Center of Polish and Ukrainian Studies, im Gespräch mit ntv.de. Tusk wolle Polen wieder groß machen, jedoch nicht im Sinne der Strategie, die Donald Trump zu seiner Amtszeit als US-Präsident unter seinem Credo "Make America Great Again" verfolgte. Es gehe vielmehr um einen "osteuropäischen Fokus auf die europäische Integration", sagt Jajeśniak-Quast. Dieser sei momentan besonders wichtig, da die EU grünes Licht für den Start der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine gegeben hat.
2. Die PiS befeuerte Korruption und baute den Rechtsstaat ab
Die EU-Kommission fror die Fördergelder ein, weil die PiS-Regierung mit ihrem Feldzug gegen den Rechtsstaat gegen demokratische Prinzipien verstoßen hatte - und auch ansonsten alles tat, um Korruption in Polen zu fördern. Tusk beeilt sich damit, erste Gesetze auf den Weg zu bringen, um diese Entwicklungen rückgängig zu machen. So verabschiedete das Parlament bereits eine Woche nach dem Machtwechsel einen Entschluss zur Wiederherstellung der politischen Neutralität öffentlich-rechtlicher Medien, die unter der PiS zu Propaganda-Apparaten mutiert waren.
Zudem machte die neue Mehrheit im polnischen Parlament einen ersten Schritt zur Wiederherstellung des Rechtsstaats. Die Abgeordneten ernannten ihre vier Vertreter im Nationalen Justizrat (KRS), der für die Ernennung von Richtern und die Überwachung von deren Unabhängigkeit zuständig ist. Damit ersetzten sie die von der PiS ernannten Mitglieder. Die Rechtsnationalen hatten durch eine Justizreform 2017 dafür gesorgt, dass ihre Gefolgsleute den KRS dominierten, was laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) dazu führte, dass der Rat seine Unabhängigkeit verlor.
Doch der Weg hin zu einem funktionierenden Rechtsstaat ist lang. Durch die vom neuen Parlament ernannten Vertreter verändern sich die Mehrheitsverhältnisse im KRS nur marginal - er wird faktisch weiter von PiS-Mitgliedern kontrolliert. Zudem stellt sich die Frage, wie die vom KRS ernannten Richter aus dem Amt entfernt werden sollen, ohne dass die Justiz zusammenbricht. Erschwerend kommt hinzu, dass Staatspräsident Andrzej Duda, ein ehemaliges PiS-Mitglied, Vetorechte im Gesetzgebungsprozess hat. "Duda von ihren Anliegen zu überzeugen, wird eine der größten Herausforderungen für Tusks Regierung, zumindest bis Dudas Präsidentschaft 2025 endet", sagt Jajeśniak-Quast.
3. Die Polen stehen Migration und dem EU-Asylpakt teilweise skeptisch gegenüber
Eines vorweg: Wenn es um die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge geht, zeigt sich Polen so solidarisch wie kaum ein anderer EU-Mitgliedstaat. Polen nahm nach Angaben des UNHCR knapp eine Million Geflüchtete auf. Innerhalb der EU bot demnach nur Deutschland mehr Menschen aus der Ukraine Zuflucht, nämlich mehr als 1,1 Millionen. Allerdings begegnen die Polen Migranten aus anderen Kulturkreisen teilweise mit größerer Skepsis. Das führte in den vergangenen Jahren in Brüssel wiederholt zu Spannungen, insbesondere bei den Verhandlungen rund um den EU-Asylpakt. Dieser sieht bei der Verteilung von Migranten mehr Solidarität unter den Mitgliedstaaten vor, wogegen neben den Polen unter der PiS-Regierung auch die Ungarn energisch protestierten.
Am Mittwoch verkündeten der Europäische Rat und das Europäische Parlament, dass sie eine Einigung erzielt haben, um den Asyl-Kompromiss auf den Weg zu bringen. Wenn die entsprechenden Gesetze in Kraft treten, sollen jährlich mindestens 30.000 Migranten aus den Staaten, in denen sie ankommen, innerhalb der EU auf andere Länder umverteilt werden. Nicht aufnahmewillige Staaten können sich mit 20.000 Euro pro Migrant freikaufen oder Projekte in Drittländern finanzieren.
Inwiefern Tusk diesen Kompromiss angesichts der Stimmung in der polnischen Bevölkerung gutheißen wird, ist offen. Konfrontiert mit dem Vorwurf der PiS, die neue Regierung wolle die Grenzen nicht schützen, versprach der Politiker: "Polens Grenze wird dicht sein. Man kann die Grenze schützen und zugleich menschlich sein." Sein Land könne "der sicherste Ort auf der Welt sein, wenn es mit seinen Verbündeten zusammenarbeitet und seine Grenzen schützt". Jajeśniak-Quast ist davon überzeugt, dass Tusk momentan drängendere Probleme als den EU-Asylpakt hat. "Die meisten Migranten wollen sowieso nicht in Polen bleiben. Wenn sie ankommen, ziehen sie weiter in reichere EU-Mitgliedstaaten", sagt sie.
4. Frustrierte Bauern und LKW-Fahrer sorgen für Spannungen mit der Ukraine
Innerhalb der EU erkannte Polen wesentlich früher als andere Länder, was Europa nach Russlands Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 drohte. Kurz bevor er vom polnischen Ministerpräsidenten zum Präsidenten des Europäischen Rates wurde, warnte Tusk Deutschland und andere europäische Nachbarn eindringlich vor der Abhängigkeit von russischem Gas. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im vergangenen Jahr wirken Tusks Worte wie eine Prophezeiung.
Deshalb ist es keine Überraschung, dass Tusk sich nun dazu verpflichtet fühlt, die kriegsmüden westlichen Verbündeten der Ukraine wachzurütteln. Angesichts der Diskussionen im US-Kongress um die Freigabe weiterer Ukraine-Hilfen und ähnlicher Debatten in der EU hat sich Tusk dem Ziel verschrieben, "die volle Mobilisierung des Westens zur Unterstützung der Ukraine zu fordern", wie er sagt.
Allerdings sorgen die Proteste polnischer Lastwagenfahrer und Bauern an der Grenze zur Ukraine für Spannungen im Verhältnis zum kriegsgebeutelten Nachbarland. Sie demonstrierten, indem sie die Straßen an den Grenzübergängen blockierten, was von der PiS gebilligt wurde. Beide Berufsgruppen klagen über Wettbewerbsnachteile durch billigere Produkte und Dienstleistungen aus der Ukraine, nachdem die EU nach Beginn des russischen Angriffskriegs sogenannte Solidaritätskorridore ins Leben gerufen hatte, um Kiew beim Transport von Getreide zu helfen.
Tusk kündigte zwar an, die Grenzblockade aufzuheben und die Spannungen abzubauen. Bislang gestaltet sich das jedoch schwierig. Jajeśniak-Quast hält es für sinnvoll, in der EU über Entschädigungen für die protestierenden Berufsgruppen zu sprechen. "Die Lastwagenfahrer und Bauern aus der Ukraine haben durch die Solidaritätskorridore faktisch Zugang zum EU-Binnenmarkt, müssen sich aber nicht wie ihre polnischen Kollegen an die Regeln dieses Binnenmarkts halten. Das führt zu Wettbewerbsverzerrungen", sagt sie. Die Finanzierung dieser Entschädigungen wäre leichter, wenn die Kommission die eingefrorenen Fördergelder wieder freigäbe, nachdem Tusks Regierung die Fehler der PiS korrigiert habe, fügt sie hinzu.
Quelle: ntv.de