Der Kriegstag im Überblick Russen sollen auf Gelände von Asowstal sein - Habeck schließt Benzin-Engpässe im Osten nicht aus
04.05.2022, 21:30 Uhr
Das Stahlwerk von Mariupol - auf dem Gelände soll weiterhin gekämpft werden.
(Foto: AP)
Während die russischen Streitkräfte offenbar westliche Waffenlieferungen erschweren wollen, bleibt die Lage in der südukrainischen Stadt Mariupol unübersichtlich: Am Abend heißt es von ukrainischer Seite, dass Russen auf das umkämpfte Gelände des Asow-Stahlwerks vorgedrungen seien. Derweil will die Europäische Union den Kreml mit weiteren Sanktionen unter Druck setzen. Der 70. Kriegstag im Überblick.
Russland beschießt Bahnhöfe
Sowohl Russland als auch die Ukraine haben im Laufe des Tages schweren Raketenbeschuss auf Bahnhöfe, Haltestellen und Umspannwerke gemeldet. Es handele sich um Strecken, auf denen Transporte von Waffen und Munition aus den USA und europäischen Ländern für ukrainische Truppen im Donbass liefen, erklärte das russische Verteidigungsministerium. Moskau meldete zudem Artilleriebeschuss auf rund 500 Ziele an der Front in der Ostukraine. Mehr als 300 ukrainische Soldaten seien getötet worden. Zudem habe die russische Armee das Nachbarland insgesamt 77 Mal aus der Luft angegriffen.
Der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, erklärte auf Telegram, die Angriffe auf Bahnanlagen hielten den Nachschub an Rüstungsgütern nicht auf. "Es kommt alles an." Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wertete die Raketenangriffe als Schwäche Moskaus. Er berichtete von Raketen auf die Städte Lwiw, Winnyzja und Odessa, das Kiewer Gebiet und das Umland von Dnipro.
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu sprach von Gebietsgewinnen in den ostukrainischen Separatistengebieten Luhansk und Donezk, nannte aber keine Details. Auch darüber hinaus gab es nur wenige Berichte über das Kriegsgeschehen in diesem Teil des Landes. Westliche Militärexperten sind der Einschätzung, dass die russische Offensive im Donbass seit Kriegsbeginn am 24. Februar eher schleppend läuft.
Dorthin hatte Moskau seine Truppen unter anderem aus dem Zentrum der Ukraine für eine Großoffensive abgezogen. Mehr als einen Monat nach dem Abzug aus der Umgebung von Kiew werden dort beinahe täglich weitere Leichen von Zivilisten gefunden. Bis heute seien insgesamt 1235 ermordete Zivilisten entdeckt worden, teilte der Chef der Gebietsverwaltung, Olexander Pawljuk, auf Telegram mit.
Plant Russland eine Parade in Mariupol?
Nach der Evakuierung von rund 150 Menschen aus dem Asow-Stahlwerk im südukrainischen Mariupol halten sich in der Anlage weiterhin ukrainische Kämpfer und wohl auch eine größere Zahl von Zivilisten verschanzt. Bürgermeister Wadym Boitschenko berichtete von "heftigen Kämpfen" auf dem Gelände. Der Kreml hatte kurz zuvor einen Großangriff dementiert.
Nach ukrainischen Angaben vom Abend sind russische Truppen mittlerweile auf das Gelände des belagerten Stahlwerks vorgedrungen. Man stehe weiter in Kontakt mit den Verteidigern, sagte der Abgeordnete David Arachamia dem Sender Radio Free Europe/Radio Liberty.
Unterdessen berichtete der ukrainische Militärgeheimdienst von Informationen, wonach Russland für den 9. Mai eine Militärparade in der nahezu zerstörten Hafenstadt plant. Der stellvertretende Leiter der Moskauer Präsidialverwaltung, Sergej Kirijenko, sei in Mariupol eingetroffen, um die Feierlichkeiten vorzubereiten, hieß es. Die zentralen Straßen der Stadt würden derzeit "von Trümmern, Leichen und nicht explodierten Sprengkörpern gesäubert". Am 9. Mai feiert Russland traditionell den Sieg über Nazi-Deutschland mit einer Militärparade und einer Rede von Kreml-Chef Wladimir Putin in Moskau.
EU verkündet weitere Sanktionen
Die Europäische Union will derweil mit einem Ölembargo den Druck auf Russland erhöhen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlug den EU-Staaten ein sechstes Sanktionspaket mit einem schrittweisen Importstopp für Rohöl und Ölprodukte bis zum Jahresende vor. Allerdings spalten die geplanten Strafmaßnahmen die Mitgliedsländer. Nicht nur Ungarn meldete umgehend Vorbehalte an, auch die Slowakei und Tschechien pochten auf Nachbesserungen. Das Problem: Die EU-Staaten können die Sanktionen nur einstimmig billigen.
Ein Ölembargo, sollte es kommen, bliebe nicht ohne Folgen für die Menschen in Europa. Eine brenzlige Situation trete ein, wenn regional zu wenig Öl da sei, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in der Sendung "RTL Direkt". Das sei für den ostdeutschen Raum und den Großraum Berlin nicht auszuschließen, weil sie von der Großraffinerie Schwedt versorgt würden, die nur russisches Öl verarbeite. "Es ist nicht auszuschließen, das muss ich leider sagen, dass es tatsächlich zu Knappheiten kommt. Wir werden die lösen können. Aber es kann passieren, dass für eine begrenzte Zeit zu wenig Öl und damit zu wenig Benzin verfügbar ist. Das ist nicht ausgeschlossen." Man arbeite aber an Lösungen, damit dies nicht passiere.
Ebenfalls von Europa sanktioniert werden könnte bald das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt: Patriarch Kirill soll wegen seiner Unterstützung für den Angriffskrieg gegen die Ukraine auf die Sanktionsliste der EU kommen. Wie mehrere Diplomaten in Brüssel bestätigten, haben der Europäische Auswärtige Dienst und die EU-Kommission den Mitgliedstaaten einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet.
Scholz erwartet Entgegenkommen von Kiew
In Deutschland wird unterdessen weiter über die Frage eines möglichen Ukraine-Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz diskutiert. Der hatte seine Zurückhaltung zuletzt damit begründet, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im April kurzfristig von der ukrainischen Seite ausgeladen worden war.
Nun forderte Scholz die ukrainische Regierung auf, auf den Bundespräsidenten zuzugehen. Angesichts der Verstimmungen um Steinmeiers Ausladung sei er der Auffassung, "dass jetzt die Ukraine auch ihren Beitrag leisten muss im Gespräch mit dem Bundespräsidenten", so Scholz zum Abschluss der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg.
Während ein Besuch des Kanzlers in der Ukraine wohl zuallererst symbolischen Charakter hätte, hofft die Ukraine weiterhin auf militärische Unterstützung im Kampf gegen Russland. Und tatsächlich plant die Bundesregierung offenbar die Lieferung von Hightech-Radar- und Aufklärungssystemen an das Land. Das berichteten das "Handelsblatt" und die "Welt" unter Berufung auf Militärkreise.
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Quelle: ntv.de, mbe/dpa/AFP/rts