Showdown im Bundestag Wie die Union Scholz und der AfD jetzt Druck machen will


Merz und CSU-Landesgruppenchef Dobrindt forderte SPD und Grüne auf, den Unionsanträgen und dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
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CDU und CSU verlangen schon länger einen deutlicheren Kurswechsel in der Migrationspolitik. Nach dem Doppelmord in Aschaffenburg erst recht. Mit zwei Anträgen und einem Gesetzentwurf will sie im Bundestag Fakten schaffen. Und sich mit einem Trick die AfD vom Leib halten.
Es wird mal wieder spannend im Bundestag: An diesem Mittwoch gibt Bundeskanzler Olaf Scholz seine letzte Regierungserklärung in dieser Legislaturperiode ab, vielleicht seine letzte überhaupt. Das allein ist noch kein Grund, den Blutdruck steigen zu lassen. Interessant wird es, weil CDU und CSU zwei Anträge zur Migrationspolitik zur Abstimmung bringen wollen. Darin geht es zum einen um den Fünf-Punkte-Plan, den Unionsfraktionschef Friedrich Merz bereits vorgestellt hat.
Der Kern: mehr Grenzkontrollen inklusive sofortige Zurückweisungen, mehr Abschiebehaft, mehr Abschiebungen, insbesondere von Straftätern. Im zweiten Antrag stehen außerdem ausführlicher Forderungen zur inneren Sicherheit: Etwa mehr Befugnisse für Ermittler, auch durch eine Lockerung des Datenschutzes. Auch "Bundesausreisezentren" und härtere Strafen nach Angriffen auf Polizisten zählen dazu.
Hinzu kommt am Freitag ein Gesetzentwurf. Die Union holt noch einmal das "Zustrombegrenzungsgesetz" aus der Schublade, das sie schonmal im vergangenen Herbst ins Plenum einbrachte. Den Gesetzentwurf hatte die Union nach dem Anschlag von Solingen im August vergangenen Jahres ausgearbeitet. Drei Menschen starben und ähnlich wie jetzt entbrannte eine Debatte über die Zuwanderungspolitik. Der Gesetzentwurf sieht beispielsweise vor, den Familiennachzug von Personen mit eingeschränktem Schutzstatus zu stoppen.
Wie sich die Union von der AfD distanziert
Der Entwurf scheiterte am Morgen des 6. Novembers im Innenausschuss an der Mehrheit der Ampelparteien. Am Abend des gleichen Tages brach die Koalition auseinander. Jetzt ist die Lage allerdings eine völlig andere: Nach dem Doppelmord von Aschaffenburg ist der Handlungsdruck hoch. Außerdem sind jetzt Mehrheiten gegen die verbliebene rot-grüne Regierung möglich.
Da fängt es an, interessant zu werden. Merz nimmt offen in Kauf, dass die AfD den eigenen Anträgen und dem Gesetzentwurf zustimmt. Ihm sei es egal, wer zustimme, sagte er unmittelbar nach den Morden. SPD und Grüne warfen ihm daraufhin vor, die Brandmauer zur AfD einzureißen. Merz weist das zurück. Das Richtige werde nicht falsch, wenn die Falschen zustimmten, sagt er seitdem bei jeder Gelegenheit. Es gebe keine Zusammenarbeit. Mit der AfD werde nicht geredet oder verhandelt.
Im Antrag zum Fünfpunkteplan distanzieren sich die Unionsparteien außerdem ausdrücklich von der AfD. "Die AfD nutzt Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen", heißt es darin. Sie wolle, dass Deutschland aus EU und Euro austrete und sich stattdessen der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion zuwende.
Schmuddelfaktor ist hoch
Das soll wohl auch die AfD davon abhalten, dem Antrag zuzustimmen. Denn dann könnten ihr CDU und CSU bei jeder Gelegenheit vorhalten, sie habe selbst eingeräumt, Fremdenfeindlichkeit zu schüren, und wolle Verschwörungstheorien in Umlauf bringen. Geht die Rechnung auf, schlägt die Unionsfraktion zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie hält die AfD auf Distanz und drängt Kanzler Scholz und die rot-grüne Restampel in die Defensive.
Aber die Rechnung wird nicht aufgehen: AfD-Chefin Alice Weidel sagte RTL/ntv, man könne mit solchen Spitzen gegen die AfD sehr gut umgehen, das sei man gewohnt. "Einer seriösen Migrationspolitik werden wir natürlich auch zustimmen." Auch FDP-Chef Christian Lindner ist offen für die Anträge. Das BSW will ihnen hingegen nicht zustimmen. Damit steht eine Mehrheit infrage.
Abgesehen von den Freien Demokraten wäre der Schmuddelfaktor für CDU und CSU ohnehin hoch. Egal wie wichtig man das Anliegen selbst findet - die Populisten von Links und Rechts sind nicht die Gesellschaft, die die Unionsparteien haben möchten. Neu wäre daran, dass die AfD-Stimmen für eine Mehrheit erforderlich wären. Das ist noch einmal etwas anderes, als wenn die AfD einem Vorhaben zustimmt, das auch ohne sie angenommen würde. SPD und Grüne würden die Union dafür scharf angreifen. Damit haben sie auch schon angefangen. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar könnte das Stimmen in der Mitte kosten. Forsa-Chef Peter Matuschek hält das Vorgehen der Union daher für "fatal". Wenn CDU und CSU das Gefühl gehabt hätten, nach Aschaffenburg ein Zeichen setzen zu müssen, dann sei das eine Fehleinschätzung.
Den Auftakt für den Showdown im Bundestag machen am Mittwoch die beiden Anträge der Unionsfraktionen. In ihrer Bedeutung bleiben sie hinter einem Gesetzentwurf zurück. Dafür haben sie hohen symbolischen Wert. Bekommen sie eine Mehrheit, heißt es: Das hat der Bundestag so beschlossen. Der Haken: Gesetzeskraft haben Anträge nicht. Für die Regierung sind sie auch nicht verbindlich. Das heißt: Nur weil der Bundestag etwas beschließt, muss die Regierung keinen Finger rühren.
Trendbarometer enttäuschend für CDU/CSU
Dennoch sind Anträge ein Signal nach draußen ins Land, sie sind ein Anlass zur Debatte und helfen damit bei der Meinungsbildung. Seit dem Ampel-Aus sind Anträge besonders spannend. Denn erstmals überhaupt gibt es im Bundestag keine klaren Mehrheiten mehr. Normalerweise lehnt die Regierungskoalition Anträge der Opposition routiniert ab und das war es dann. Jetzt kann es aber eine Mehrheit dafür geben.
Eben genau wie beim "Zustromsbegrenzungsgesetz". Nimmt der Bundestag es an, wäre das eine Sensation. So etwas hat es noch nie gegeben: Noch nie haben Oppositionsfraktionen gegen die Kanzlerkoalition etwas durchsetzen können. Und Stand jetzt sieht es nach einer Mehrheit aus - AfD, FDP und BSW wollen zustimmen. Auch wenn das Gesetz voraussichtlich im Bundesrat scheitern würde, peinlich wäre es für Kanzler Scholz allemal. Für die Union wäre der Preis aber hoch. Noch nie beschloss sie im Bundestag ein Gesetz mit der AfD, das ohne die Partei nicht zustande gekommen wäre. Dann würde die Brandmauerdebatte erst so richtig auflodern. Merz bräuchte jedenfalls einen ziemlich großen Feuerlöscher.
Merz und seine Mitstreiter in der Union geben sich maximal überzeugt, das Richtige zu tun. Der CDU-Chef äußerte sich nach dem Anschlag in Aschaffenburg selbst für seine Verhältnisse emotional. Ob die möglichen Wähler von CDU und CSU das genauso sehen, ist die andere Frage. Das jüngste Trendbarometer von Forsa im Auftrag von RTL und ntv ist jedenfalls wenig ermutigend. Die Unionsparteien sackten auf 30 Prozent ab.
Quelle: ntv.de