Wirtschaft

Die Welt giert nach Beton "Der Bedarf reicht jeden Monat für ein neues Berlin - 40 Jahre lang"

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Die Carolabrücke in Dresden - Symbol des deutschen Investitions- und Betonbedarfs.

Die Carolabrücke in Dresden - Symbol des deutschen Investitions- und Betonbedarfs.

(Foto: picture alliance/dpa)

Deutschland muss bauen. Bahn, Brücken, Wohnungen. Der Investitionsbedarf liegt allein hierzulande bei etwa 600 Milliarden Euro. In vielen Fällen wird Beton zum Einsatz kommen. Egal in welchem Land, kein Baustoff ist wichtiger für eine moderne Infrastruktur: "Mit dem globalen Bedarf könnte man in den kommenden 40 Jahren jeden Monat ein weiteres Berlin bauen", verrät Bauunternehmerin Stefanie Gerhart. Die Betonherstellung ist allerdings auch für 8 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Im "Klima-Labor" von ntv präsentiert Gerhart eine Möglichkeit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Ihr Unternehmen Ecolocked stellt einen Füllstoff her, den die Betonindustrie anstelle von Sand im Beton verwenden kann: Biokohle. "Das ist die dominante Technologie für Kohlendioxid-Entfernung aus der Atmosphäre", sagt Gerhart. Und im Grundstoff für Brücken, Straßen und Wohnungen wäre das CO2 für viele Jahrzehnte sicher weggesperrt.

ntv.de: Ecolocked sagt von sich selbst, dass es "Gebäude in Kohlenstoffsenken verwandelt". Wie geht das bitte?

Steff Gerhart: Wir entwickeln einen CO2-negativen Betonzuschlag. Der wird dem Beton beigemischt, um Kohlenstoff darin einzuschließen. Auf diese Weise kann man CO2 langlebig und stabil dem natürlichen Kreislauf entziehen.

Vielleicht fangen wir vorn an. Beton besteht aus Wasser, Sand und Zement, richtig?

Richtig. Zement ist das "Backpulver", das die ganze Mischung zusammenhält, aber auch der große Bösewicht, denn 90 Prozent der Betonemissionen entstehen seinetwegen.

Weil der Zement bei extrem hohen Temperaturen hergestellt wird?

Auch. Bei der Zementherstellung nimmt man Kalkstein und erhitzt ihn auf 1450 Grad. Diese Hitze wird typischerweise durch fossile Brennstoffe erreicht. Das Hauptproblem ist aber die chemische Reaktion: Wenn sich der Kalkstein zu Klinker aufspaltet, wird CO2 freigesetzt. Solange man diese chemische Reaktion nicht ändert, werden bei der Zementherstellung immer riesige Mengen CO2 freigesetzt. Man kann stattdessen mit anderen Materialien wie Holz arbeiten, aber dafür gibt es natürliche Grenzen.

Und Sie haben eine Lösung gefunden, die chemische Reaktion zu ändern?

Wir setzen woanders an: Wir nutzen Biokohle. Die wird aus Biomasse hergestellt und gehört deswegen zu den "Carbon Removal"-Technologien, mit denen man CO2 aus der Atmosphäre ziehen kann. Biomasse sind Ernterückstände, Abfälle aus der Lebensmittelindustrie, Holzspäne oder andere Reste aus der Forstwirtschaft, in denen etwa durch Fotosynthese Kohlenstoff gespeichert wurde. Wird diese Biomasse zersetzt oder verbrannt, gelangt der Kohlenstoff wieder in die Atmosphäre. Verwandelt man sie stattdessen in Biokohle, wird die Freisetzung verhindert.

Kann man sich Biokohle wie ein schwarzes Kohlebrikett vorstellen und damit CO2-neutral heizen?

Chemisch gesehen ist Biokohle etwas völlig anderes. Je nach Grundstoff kann sie mehr als 95 Prozent reinen Kohlenstoff enthalten, der stabilisiert und langfristig eingeschlossen wird. Würde man die Kohle verbrennen, würde das CO2 wieder freigesetzt. Deswegen ist es wichtig, dass die Kohle irgendwo hinkommt, wo sie für viele Jahrtausende bleibt.

Beton?

Bisher setzt man Biokohle vor allem zum Düngen ein. Das haben die Maya schon vor 4000 Jahren gemacht, denn sie enthält viele Nährstoffe und ist wahnsinnig porös, kann Regenwasser also gut speichern und langsam abgeben. Gleichzeitig ist sie aber auch die dominante Technologie für Kohlendioxid-Entfernung (CDR): 93 Prozent aller gelieferten CDR-Zertifikate stammen aus Biokohle-Projekten.

Zertifikate, die man sonst von Wäldern oder durch Technologien wie Direct Air Capture (DAC) erhält, also diese CO2-Staubsauger?

Ja. Die Biokohle steht zwischen natürlichen Kohlenstoffsenken wie Mooren und Wäldern und Technologien wie DAC: Der Kohlenstoff wird natürlich abgespeichert. Durch eine technologische Anwendung wie unsere kann man anschließend die Freisetzung verhindern. Der Weltklimarat hält Biokohle deswegen für einen der vielversprechendsten Ansätze, um der Atmosphäre CO2 zu entnehmen - und anders als DAC ist die Technologie weit fortgeschritten.

DAC befindet sich noch in der Pilotphase?

Und ist wahnsinnig teuer, energieineffizient und elitär. DAC wird sehr lange Zeit reichen Staaten vorbehalten bleiben, Biokohle dagegen schon jetzt von Kleinstbauern in Afrika hergestellt. Dafür benötigt man kein teures Equipment. Abfälle wie Reisschalen, Kokosnussschalen, Klärschlamm oder Dünger gibt es überall. Man muss diese Biomasse nur unter Ausschluss von Sauerstoff auf 300 bis 700 Grad erhitzen. Dafür sind moderne Öfen besser geeignet als ältere. Die fertige Biokohle kann erhebliche Qualitätsunterschiede haben, aber grundsätzlich kann das wirklich jeder machen. Was der Industrie bisher gefehlt hat, war eine skalierbare Endanwendung.

An dieser Stelle kommt Ecolocked ins Spiel?

Wir möchten die Probleme verbinden: Der Biokohle fehlt eine Endanwendung. Die Bauindustrie hat große Schwierigkeiten, ihre "grauen" Emissionen zu reduzieren, denn die entstehen zu 80 Prozent schon vor der eigentlichen Bauphase bei der Zementherstellung.

Und die Anwendung spricht einen globalen Markt an, weil speziell in Südostasien und China nach wie vor viel gebaut wird?

Es wird prognostiziert, dass sich die Nachfrage nach Beton zwischen 2020 und 2060 weltweit verdoppelt. Mit dieser Betonmenge könnte man in den kommenden 40 Jahren jeden Monat ein weiteres Berlin bauen. Und ja, diese Projekte befinden sich insbesondere im Globalen Süden. Dem möchten wir nichts wegnehmen. Deswegen ist die Technologie so toll: Sie ist nicht wenigen Reichen vorbehalten, sondern kann lokal und dezentral eingesetzt werden. Es gibt überall Bauprojekte und überall Biomasse-Rückstände. Das ist unsere Botschaft an Investoren: Es gibt wahnsinnig viele ungenutzte Abfälle und gleichzeitig mit der Baubranche einen Markt, der diese Biokohle in großen Mengen abnehmen wird.

Wie kommt die Biokohle eigentlich in den Beton hinein?

Wir stellen weder Biokohle noch Beton her, sondern arbeiten als Vermittler mit unterschiedlichsten Biokohle-Produzenten zusammen. In unseren Datenbanken werden die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Biokohle erfasst und auch die Betonanwendungen, für die sie infrage kommen. Denn in Europa ist Biokohle eher holzbasiert. Im Nahen Osten gibt es keine Wälder, dort besteht sie aus anderen Rohstoffen. Beton ist auch nicht Beton. Je nachdem, ob ich Haus, Brücke oder Straße baue, sind die Ansprüche unterschiedlich. Bei uns wird die Biokohle analysiert und in einer Produktionsstraße in einen Betonzuschlag umgewandelt, der dann beim Betonproduzenten unkompliziert in den Beton integriert werden kann.

Der Beton erhält eine andere Rezeptur?

Genau. Aktuell ist unser Material vorwiegend ein Füllstoff, mit dem man Sand ersetzen kann. Den bekommt man auch nicht mehr so leicht. Gleichzeitig können wir die Zementmenge reduzieren und auf diese Weise ebenfalls die Emissionen senken.

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

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Welche Reduzierung ist im besten Fall möglich?

Das kommt auf den Beton an und die Frage, wie viel unseres Materials bei der Herstellung hinzugegeben wird. Man kann unsere Technologie aber auch mit anderen kombinieren. Wenn etwa Ultraschall-Mischanlagen oder Flugasche anstelle von Zement eingesetzt werden, schrumpft der CO2-Fußabdruck von Beton idealerweise bereits um 30 bis 50 Prozent. Wir können mit der Biokohle die letzten 50 Prozent liefern.

Auch zu einem vernünftigen Preis? Denn Beton ist auch deshalb so beliebt, weil er so günstig ist.

Unser Produkt ist deutlich teurer als der Sand und auch deutlich teurer als der Zement, den wir ersetzen. Aber aus unserer Perspektive ergibt es keinen Sinn, uns mit anderen Füll- oder Bindemitteln zu vergleichen. Wir sind eine Dekarbonisierungs-Methode und als solche im Vergleich mit anderen sehr günstig. Wenn Sie eine Tonne CO2 mit Biokohle abscheiden, kostet es ungefähr 120 Euro pro Tonne. Bei Direct Air Capture zahlen Sie bis zu 1000 Euro. Man darf auch nicht vergessen: Beton ist nicht der Kostentreiber von Bauprojekten. Selbst wenn der Beton durch uns zwischen 10 und 30 Prozent teurer wird, kostet das Bauprojekt am Ende nur ein oder zwei Prozent mehr.

Wird das Produkt in Deutschland angenommen?

Wir haben eine große Nachfrage, aber unsere Kunden sind natürlich Pioniere, die sich über die Nachhaltigkeit ihrer Projekte verkaufen. Unser Beton landet nicht im Hinterhof, sondern als Alleinstellungsmerkmal im neuen Eingangsbereich.

Wer möchte sich das bereits leisten?

Einer der größten Käufer ist die öffentliche Hand. Kommunen, Städte oder der Bund, die Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Straßen und Brücken bauen. Das sind viele Projekte. Die Ausschreibungsverfahren sind kompliziert, aber wenn eine nachhaltige Lösung gesucht wird, kann unser Beton mit Biokohle ein großer Hebel sein. Denn in Baden-Württemberg oder Ländern wie Dänemark wird das enthaltene CO2 bereits eingepreist. Die CO2-ärmere Variante erhält eine Gutschrift.

Mit Stefanie Gerhart sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?

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Quelle: ntv.de

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