Wirtschaft

VW-Skandal ist nur der Anfang Politik ignoriert Abgas-Betrug seit Langem

Scheidender VW-Chef Martin Winterkorn: Die Politik weiß seit Langem von den Abgas-Tricksereien der Autokonzerne.

Scheidender VW-Chef Martin Winterkorn: Die Politik weiß seit Langem von den Abgas-Tricksereien der Autokonzerne.

(Foto: AP)

VW-Chef Winterkorn ist zurückgetreten, doch der Skandal geht weiter. Lange vor dem Betrug bei Volkswagen war klar: Abgastests haben nichts mit der Realität zu tun. Doch die Regierung tut nichts. Für die Autolobby steht zu viel auf dem Spiel.

Alle geben sich überrascht: Umweltministerin Barbara Hendricks zeigt sich schockiert angesichts des vorsätzlichen Abgas-Betrugs bei Volkswagen in den USA. Dass Deutschlands wichtigster Konzern bewusst Software in seine Autos einbaut, die geschönte Abgas-Ergebnisse liefert, löst bei der SPD-Frau "Verwunderung" aus. Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat sogar eine Untersuchungskommission eingesetzt. VW-Chef Winterkorn ist deswegen sogar zurückgetreten.

Umweltverbände sehen dagegen im VW-Skandal nur die Spitze des Eisbergs. "Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass neben Volkswagen auch andere Konzerne die Abgaswerte manipulieren und das nicht nur in den USA", erklärt der verkehrspolitische Sprecher des Verkehrsclub Deutschland (VCD), Gert Lottsiepen. Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) glaubt, dass andere Autobauer ähnliche Methoden wie VW einsetzen, um Abgaswerte zu manipulieren.

Die Reaktion der Politik ist mehr als scheinheilig. Selbst wenn sie vom gezielten Betrug bei VW nichts wusste, wirft der Skandal ein Schlaglicht auf ein offenes Geheimnis: Längst ist bekannt, dass die realen Abgaswerte vieler Autohersteller meilenweit von den offiziellen Testergebnissen abweichen. Am gefährlichsten ist das bei Diesel-Fahrzeugen. Doch die Politik ignoriert das Problem. Für Europas Autolobby steht zu viel auf dem Spiel.

"Ernsthafte Gefahr für die Bevölkerung"

Schon im Oktober stellte der International Council on Clean Transportation (ICCT) - dasselbe Forschungsinstitut, das den VW-Skandal ins Rollen brachte - in einer Studie fest: die tatsächlichen Stickoxid-Werte moderner Diesel-Autos liegen unter realistischen Fahrbedingungen im Schnitt sieben Mal höher als der zulässige Grenzwert. Getestet wurden 15 Autos von sechs Herstellern.

Nur ein einziger Wagen hielt den zulässigen Grenzwert ein. Beim schlechtesten Auto lagen die Werte sogar 25 Mal höher als erlaubt. Das ICCT warnte, falls keine technischen Maßnahmen ergriffen würden, drohten "ernsthafte Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung". Denn nirgendwo sonst auf der Welt gibt es mehr Diesel-Autos als in Europa.

Intern weiß auch die Bundesregierung seit mindestens einem Jahr von den überhöhten Abgas-Werten. Man habe seit dem Herbst 2014 belastbare Indizien, dass die wirklichen Emissionen mehr als sechs Mal höher als der einzuhaltende Grenzwert seien, schrieb die Regierung im August an die EU-Kommission. Das Verkehrsministerium gibt offen zu, dass die Kontrollen unzureichend sind: "Das Konzept zur Verhinderung von Abschalteinrichtungen" habe "sich in der Praxis bislang nicht umfänglich bewährt", heißt es in der Antwort auf eine Anfrage, die die Grünen-Fraktion kürzlich im Bundestag gestellt hat.

Ingenieure kennen Tests vorher

Um die Testergebnisse zu frisieren, ist vorsätzlicher Betrug im großen Stil wie bei Volkswagen gar nicht unbedingt nötig: Die Probefahrten sind einfach unrealistisch. Sie finden nur im Labor statt. Das Auto steht dabei stationär auf Rollen. Realistische Beschleunigungen oder Stau kommen nicht vor. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 120 km/h. Die Klimaanlage kann abgeschaltet werden. Die Fahrt dauert nur 20 Minuten.

Kritiker monieren seit Langem, dass dieser sogenannte Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ) nicht das typische Fahrverhalten widerspiegelt. Einerseits liegt das in der Natur der Sache: Jeder Test braucht einen künstlichen Maßstab. Damit die Ergebnisse verschiedener Modelle vergleichbar sind, muss ein einheitliches Fahrprofil für alle Autos festgelegt werden.

Andererseits können die Entwickler ihre Motoren deshalb immer besser auf den Test einstellen. Denn sie kennen schon vorher genau die Geschwindigkeitszyklen, die sie absolvieren müssen. Es ist ein wenig wie bei Investmentbanken vor der Finanzkrise: Sie wussten genau, wie ihre Produkte gebaut sein mussten, damit die Rating-Agenturen ihnen das beste Rating geben. Denn die hatten die Anforderungen vorher veröffentlicht.

Zudem ist die Motorsteuerung moderner Autos hochkomplex. Der Stickoxid-Ausstoß lässt sich zum Beispiel im Test legal verringern, indem Abgase in den Motor zurückgeführt werden. Das steuert die Software, indem sie Geschwindigkeit, Drehzahl und andere Parameter erfasst und den Abgas-Ausstoß optimiert. Verboten ist es jedoch, wenn das Programm diese Messungen dann nutzt, um zu erkennen, ob es sich auf einem Prüfstand befindet und daraufhin in einen optimierten Testmodus schaltet, der mit der Realität nichts mehr zu tun hat. Die Grenzen sind zwischen Betrug und Optimierung sind also fließend.

Regierung schützt Auto-Lobby

Die Regierung hat kaum Interesse, diese Abgas-Trickserei zu beenden: Gemeinsam mit der Autoindustrie setzt sie massiv auf die Diesel-Technologie, um ihre Klimaziele zu erreichen. Denn Diesel-Autos haben einen viel geringeren Verbrauch und sind deshalb klimafreundlicher als Benziner. Dafür sind sie umso gesundheitsschädlicher, weil sie viel mehr Stickoxide ausstoßen, die zu Atemwegserkrankungen führen können.

Die Stickoxid-Belastung ist in vielen Städten regelmäßig höher als erlaubt. Trotzdem sind die zulässigen Abgas-Grenzwerte für Diesel-Autos selbst nach der neuen Euro-6-Norm, die seit rund einem Jahr gilt, immer noch etwa doppelt so hoch wie in den USA, wo Diesel faktisch keine Rolle spielt. Und trotzdem wird Diesel steuerlich subventioniert und ist deshalb viel billiger als Benzin. Deutschland erlebe deshalb einen regelrechten "Diesel-Boom", der politisch verursacht sei, kritisierte der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöfer schon 2013.

Inzwischen ist laut Kraftfahrzeug-Bundesamt rund jeder zweite deutsche Neuwagen ein Diesel. In Spanien und Frankreich liegt die Dieselquote laut dem europäischen Autoherstellerverband ACEA sogar bei über 60 Prozent, in Irland bei über 70 Prozent. In der EU ist inzwischen mehr als jedes zweite neu zugelassene Auto ein Diesel. In den USA sind es gerade mal drei Prozent.

Gründe für die Untätigkeit der Regierung gibt es also genug. Die Autoindustrie ist die Herzkammer der deutschen Wirtschaft. Hunderttausende Jobs hängen von Volkswagen, BMW und Daimler ab. Die Firmen haben Milliarden in effiziente Diesel-Autos und die entsprechende Technik investiert. Und sorgen für die Vertretung ihrer Interessen: 2013 intervenierte das Kanzleramt direkt in Brüssel, um strengere Abgasnormen für die deutschen Autobauer zu verhindern. Bei allen Notwendigkeiten, im Umweltschutz voranzukommen, müsse man "darauf achten, dass wir nicht die eigene industrielle Basis schwächen", sagte Angela Merkel damals. Im gleichen Jahr spendete der Quandt-Clan, größter Einzelaktionär des Autobauers BMW, 690.000 Euro an die CDU.

Quelle: ntv.de

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