Wirtschaft

"Absolut beschissene Situation" Warum Norwegen auf die deutsche Dunkelflaute schimpft

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"Der Gewinner ist Statkraft, also der norwegische Staat", sagt Bruno Burger.

"Der Gewinner ist Statkraft, also der norwegische Staat", sagt Bruno Burger.

(Foto: picture alliance / NTB)

Als zwei Dunkelflauten über Deutschland hereinbrechen, explodieren die Preise an den Strombörsen. Deutsche Unternehmen sind wütend, norwegische Verbraucher aber auch, denn sie erleben die höchsten Strompreise seit Jahren. Doch Energieexperte Bruno Burger findet die Beschwerden unehrlich.

Wenn die Dunkelflaute zuschlägt, steigen die Strompreise. Und der Puls. Nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland. Besonders sauer waren im Dezember die Menschen in Norwegen und Schweden, denn beide Länder haben Stromleitungen nach Deutschland. Das Seekabel, das Deutschland mit Norwegen verbindet, heißt Nord-Link. Die Übertragungsleitung nach Schweden ist nach der Ostsee benannt und heißt Baltic Cable.

Die Stromleitungen koppeln die unterschiedlichen Stromnetze miteinander und erlauben den Stromhandel. Das ist logisch und nachvollziehbar: Bläst an der schwedischen Küste so viel Wind, dass die schwedischen Windräder überschüssigen Strom erzeugen, kann sich Deutschland günstig bedienen und umgekehrt.

Denn mit den Stromleitungen hat man nicht nur die Stromnetze von Deutschland, Norwegen und Schweden gekoppelt, sondern auch die Strommärkte, also die Strompreise. Das kann nach hinten losgehen: Steigt die deutsche Nachfrage nach erneuerbarem Strom aus dem hohen Norden, steigen dort ebenfalls die Strompreise. Und damit die Wut auf das deutsche Energiesystem.

Strom für wenige Cent

Anders als Deutschland haben Norwegen und Schweden ihre Stromnetze in mehrere Preiszonen unterteilt. "Die sind extrem lang ausgedehnt", sagte Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Wenn die Stromleitungen nicht genügend Kapazität haben, um ausreichend Strom zu transportieren, teilt man die Länder in mehrere Preiszonen auf." Das Ergebnis: Regionen mit viel erneuerbarer Energie werden mit besonders günstigen Strompreisen belohnt, Regionen mit weniger Erneuerbaren müssen für den Transport bezahlen.

Norwegen hat gleich sechs Preiszonen: Im Norden befindet sich NO4, das riesige Herz der norwegischen Energieversorgung. Dort befinden sich 365 Wasserkraftwerke, die etwa 99 Prozent des heimischen Stroms erzeugen. Im vergangenen Jahr kostete Strom in der Zone im Schnitt 23 Euro je Megawattstunde, das sind 2,3 Cent pro Kilowattstunde.

Bruno Burger forscht am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Im Internet klärt der Ingenieur als "Energy Charts" auf, aus welchen Quellen Strom erzeugt wird, was er wann kostet und wie viele exportiert und importiert wird.

Bruno Burger forscht am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Im Internet klärt der Ingenieur als "Energy Charts" auf, aus welchen Quellen Strom erzeugt wird, was er wann kostet und wie viele exportiert und importiert wird.

(Foto: Fraunhofer ISE)

Weiter südlich folgen die Preiszonen NO3, NO5 und NO1. Im südlichsten Zipfel von Norwegen befinden sich die Zonen NO2NSL und NO2. Dort sind die Strompreise mit fünf Cent je Kilowattstunde für norwegische Verhältnisse hoch. Dort befinden sich ebenfalls die Leitungen nach Deutschland und auch Großbritannien, die am 12. Dezember für Ärger sorgten.

"Absolut beschissene Situation"

Damals brach eine Dunkelflaute über Deutschland herein, zeitweise wurde kaum Strom aus Windkraft erzeugt. Um den Bedarf zu decken, fuhren Energieversorger Kohle- und Gaskraftwerke hoch und zapften über die Seeleitungen die norwegischen und schwedischen "Stromvorräte" an. In Deutschland stiegen die Börsenstrompreise dadurch auf bis zu 936 Euro je Megawattstunde, also 93 Cent je Kilowattstunde. Der deutsche Schnitt ist deutlich niedriger: Er lag 2024 bei acht Cent.

Die meisten deutschen Haushalte bekamen von dieser Preisexplosion nichts mit. Sie besitzen klassische Stromverträge mit Festpreisen. In Norwegen sind dagegen bereits neun von zehn Haushalten mit Smart Metern ausgestattet, also intelligenten Stromzählern, die Strom zum Börsenpreis einkaufen, heißt: Anders als in Deutschland betreffen explodierende Preise fast alle Norweger. Während der Dunkelflaute am 12. Dezember stiegen die Börsenstrompreise in den südlichen Preiszonen auf 35 Cent je Kilowattstunde. Der Raum Oslo meldete den teuersten Strom seit Dezember 2022.

Der norwegische Energieminister Terje Aasland nahm kein Blatt vor den Mund. Er sprach in der "Financial Times" von einer "absolut beschissenen Situation". Der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Store blieb diplomatisch: "Europa muss darüber diskutieren, wie das System erneuerbare Energien verteilt", gab er zu Protokoll. "Die Versorgung muss gesichert bleiben und die Strompreise stabil."

In Schweden war die Reaktion ähnlich. Sie sei "wütend", sagte die schwedische Energieministerin Ebba Busch. So wütend, dass sie damit droht, den Bau einer zweiten Seeleitung zu stoppen, wenn Deutschland sich nicht ans nordische Modell anpasst und für Norddeutschland eine eigene Preiszone einführt, um die Preise im Zaum zu halten.

"Das ist der eigentliche Streit"

Das Ausland determiniert zu bestimmten Zeiten den europäischen Stromhandel, das ist die Krux eines gemeinsamen Strommarktes. Theoretisch jedenfalls. Bruno Burger findet etwa die norwegischen Beschwerden nicht ganz ehrlich. Die norwegische Regierung hat die Preise nämlich bei sieben Cent je Kilowattstunde gedeckelt. Alles, was darüber liegt, wird zu 90 Prozent bezuschusst.

"Aber 90 Prozent sind eben nicht 100 Prozent", sagt der Energieexperte. "Das ist der eigentliche Streit: Die Opposition verlangt, dass alle Mehrkosten bezuschusst werden." Anders gesagt: Die höchsten Strompreise seit 2022 haben norwegische Verbraucher wenige Cent zusätzlich gekostet.

Dazu kommt, dass Norwegen das ganze Jahr über mehr erneuerbaren Strom erzeugt als verbraucht. Seit vielen Jahren stellen sie zuverlässig etwa 110 Prozent des Stromverbrauchs bereit. Es wäre verschenktes Geld, diesen überschüssigen Strom nicht nach Deutschland und Großbritannien zu verkaufen und mit den Einnahmen die heimischen Strompreise zu subventionieren. "Die Gewinner sind der Stromversorger Statkraft über die Strompreise und der norwegische Staat über Steuern und Abgaben. Als Staatsbetrieb verdient Statkraft quasi mehrfach", sagt Burger.

"Der Stahlbetrieb erwähnt aber nicht, ... "

Der Energieexperte stört sich noch an einer anderen Tatsache: Die Seeleitung von Norwegen nach Deutschland hat eine Kapazität von nur 1,4 Gigawatt. Das sind etwa fünf Prozent der Leistung, die Norwegen täglich aus Wasserkraft und Wind erzeugt. Diese Leistung fließt maximal nach Deutschland, egal ob Dunkelflaute herrscht oder nicht. Egal, wie günstig oder teuer der Strom ist. Einzige Ausnahme: Deutschland erzeugt selbst mehr Strom, als benötigt wird, und ist nicht auf günstige norwegische Lieferungen angewiesen. Dann dreht sich die Stromrichtung um und Deutschland liefert Strom nach Norwegen.

Darüber ärgert sich der Energieexperte am meisten. "Alle jammen herum, wenn die Börsenstrompreise hoch sind", sagt Burger mit Verweis auf den Stahlbetrieb aus Riesa, der seine Produktion einstellen musste. "Das passiert ein paar Stunden an drei oder vier Tagen im Jahr. Der Stahlbetrieb erwähnt aber nicht, dass der Strompreis durch die Erneuerbaren 459 Stunden im Jahr bei null liegt oder sogar negativ ist und er den Strom in diesen Stunden geschenkt bekommt."

Deutsch-norwegischer Stromhandel

2024 flossen 7,4 Terawattstunden (TWh) Strom von Norwegen nach Deutschland und 1,6 TWh von Deutschland nach Norwegen. Im Saldo hat Deutschland 5,8 TWh oder drei Prozent der norwegischen Erzeugung importiert.

Wichtig ist Burger zudem: Dir Börsenstrompreise waren 2024 16 Prozent niedriger als 2023 und sogar 18 Prozent als 2021 - also vor dem Ukraine-Krieg und dem deutschen Atom-Aus.

Warnung an Norwegen

Ist die Dunkelflaute eine Scheindebatte? Nein, aber ziemlich oft eine populistische. Denn durch den Ausbau der erneuerbaren Energien gibt es viel häufiger sehr niedrige Strompreise als extrem hohe - sowohl für deutsche Unternehmen als auch für norwegische Verbraucher.

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Das sieht auch die belgische Energieministerin so. "Wir sollten die Debatte wieder auf das Wesentliche konzentrieren", sagte Tinne van der Straeten dem europäischen Nachrichtenportal Euractiv. Für stabile Strompreise brauche es nicht weniger Seeleitungen und Verteilnetze, sondern mehr, sagt sie. Dies reduziere die Preisschwankungen.

Speziell Norwegen sollte sich ihr zufolge auch gut überlegen, ob die Beschwerden im eigenen Interesse sind. Sie weist darauf hin, dass die Wasserstände der norwegischen Stauseen speziell im Sommer durch den Klimawandel sinken könnten und die Wasserkraftwerke dann womöglich nicht mehr in der Lage sind, 99 Prozent des norwegischen Stroms zu erzeugen. Was dann? Eventuell müsste Norwegen Strom aus Deutschland importieren.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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Quelle: ntv.de

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