Warnung eines Energieversorgers "Wir haben Bezahlbarkeit der Energiewende aus den Augen verloren"
28.12.2024, 05:18 Uhr (aktualisiert)
"80 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 sind machbar. Aber wir müssen uns über den sinnvollsten Weg dorthin unterhalten."
(Foto: picture alliance / ZB)
Erneut bricht vergangene Woche in Deutschland Strom aus Wind und Sonne weg, an der Strombörse explodieren die Preise. Für Thomas Kusterer sind die Gründe schnell ausgemacht: Die Ziele der Energiewende sind richtig, sagt der Finanzvorstand des Energieversorgers EnBW im "Klima-Labor" von ntv. Aber Deutschland habe die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit aus den Augen verloren. "Es ist jetzt wirklich Zeit, wasserstofffähige Gaskraftwerke zu bauen, statt den maximalen Ausbau der erneuerbaren Energien zu forcieren." Fossile Kraftwerke sind das Sicherheitsnetz für Dunkelflauten. Doch der Bestand wird Kusterer zufolge älter, ineffizienter, teurer und auch unzuverlässiger. In der Bevölkerung sinke die Akzeptanz für die Energiewende, konstatiert der EnBW-Manager. "Aber ohne grundsätzliche gesellschaftliche Akzeptanz werden wir nicht erfolgreich sein."
ntv.de: 2024 neigt sich dem Ende zu. Was nehmen Sie aus den vergangenen zwölf Monaten mit?
Thomas Kusterer: Wir sind beim Ausbau und Einsatz der erneuerbaren Energien gut unterwegs. Dieses Jahr werden etwa 60 Prozent des erzeugten Stroms erneuerbar sein. Gleichzeitig gehen die deutschen Treibhausgasemissionen deutlich zurück - verglichen mit dem Stand von 1990 wahrscheinlich bereits um 50 Prozent. Das ist positiv. Sorgen bereitet mir, dass wir uns in den vergangenen Jahren berechtigterweise stark mit "Klimaschutz" auseinandergesetzt, aber zwei Themen dabei vielleicht zu stark aus den Augen verloren haben: die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit. Das ist kein Plädoyer für weniger Klimaschutz, aber spätestens seit dem Ukraine-Krieg sieht man: Das sind keine Selbstverständlichkeiten.

Steuern EnBW durch die Energiewende: Vorstandschef Georg Stamatelopoulos (l.) und Finanzvorstand Thomas Kusterer.
(Foto: picture alliance/dpa)
Was bereitet Ihnen mehr Sorgen, die Versorgungssicherheit oder die Bezahlbarkeit?
Die Bezahlbarkeit. Wenn wir den Umbau des Energiesystems nicht kosteneffizient umsetzen, verlieren wir die Akzeptanz für die Energiewende. Aber ohne grundsätzliche gesellschaftliche Akzeptanz werden wir nicht erfolgreich sein. Wie es um die Versorgungssicherheit bestellt ist, haben wir vergangene Woche und Anfang November bei der Dunkelflaute gesehen: Der Strompreis ist auf mehr als 900 Euro pro Megawattstunde gestiegen. Das war nur in einer Stunde so und es drohte auch kein Blackout, aber man sieht: Das System ist im Grenzbereich unterwegs.
Wie kommen diese enorm hohen Preise zustande? Reservekraftwerke greifen auch in anderen Zeiten ein, ohne dass Strom so teuer wird.
Wir haben momentan Winter, wenig Sonne und wenig Wind. Die erneuerbaren Energien, die normalerweise einen hohen Anteil des Stroms erzeugen, sind in dieser Zeit deutlich seltener verfügbar. In der Folge setzen wir Backup-Kraftwerke ein, die für solche Situationen vorhanden sind. Wir als EnBW hatten vergangene Woche sämtliche verfügbaren Kraftwerke am Netz, zusätzlich gab es Stromimporte aus dem Ausland. Der Markt hat genau das getan, was er tun soll. Aber die letzten Reservekraftwerke, die eingesetzt wurden, waren ineffizient und teuer.
Ineffizient? Der Nachteil von Kohle- und Gaskraftwerken ist doch, dass sie schmutziger sind als Solar- und Windenergie, nicht unbedingt teurer.
Wir hatten in der Vergangenheit ein System mit einer hohen Grundlast, also Kraftwerksleistung, die rund um die Uhr zur Verfügung stand. Es gab Kohlekraftwerke, Kernenergie und auch Gaskraftwerke. Aus der Kernenergie sind wir ausgestiegen, Kohle schalten wir ebenfalls ab. Es bleiben zunehmend ältere Kraftwerke übrig. Die werden aber nicht jünger, deren Effizienz und Verfügbarkeit nehmen ab. Wenn man sie braucht, ist der Einsatz letztlich sehr teuer. Aber das ist eine Ausnahmesituation, die eintritt, wenn keine Erneuerbaren da sind und der Stromverbrauch gleichzeitig wegen niedriger Temperaturen hoch ist.
Kann es passieren, dass in den nächsten Monaten oder Jahren eine Dunkelflaute über Deutschland hereinbricht und unsere fossile Reserve nicht mehr anspringt?
Es werden nicht alle ausfallen, aber natürlich, je älter ein Kraftwerk wird, desto anfälliger ist es. Entsprechend sind wir zunehmend auf Importe aus dem Ausland angewiesen.
Lassen sich solche Ausreißer mit zusätzlichen Batteriespeichern verhindern?
Das ist eine Möglichkeit. Je mehr Strom wir aus erneuerbaren Quellen beziehen, desto mehr Strom müssen wir auf Abruf zur Verfügung stellen, um wetterbedingte Schwankungen bei der Erzeugung mit dem tatsächlichen Bedarf in Einklang zu bringen. Das nennt sich disponible Leistung. Neben Speichern benötigen wir vor allem neue, wasserstofffähige Gaskraftwerke. Für den Bau und unsere Investitionen ist ein stabiler gesetzlicher Rahmen notwendig. Das Kraftwerkssicherheitsgesetz wurde lange diskutiert, wird aber in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet.
Der Energieexperte Bruno Burger sagt, für den Notfall sollten wir ein komplettes zweites Versorgungsnetz nur mit Gaskraftwerken bauen. Ist das nicht unfassbar teuer, wenn sie schlimmstenfalls nur wenige Stunden im Jahr laufen?
Er hat recht, wir benötigen dieses Backupsystem. Gaskraftwerke sind teuer, aber nicht vergleichbar mit dem Ausbau der Netzinfrastruktur oder der erneuerbaren Energien. Im Entwurf des Kraftwerkssicherheitsgesetzes spricht die Bundesregierung in einem ersten Schritt von einem Zubau von zehn Gigawatt.
Das ist nicht besonders viel. In Spitze haben wir im Winter einen Stromverbrauch von ungefähr 70 Gigawatt.
Ja, die Spitzenlast liegt im Winter zwischen 70 und 80 Gigawatt. Wir gehen davon aus, dass wir für ein funktionierendes Reservesystem 20 Gigawatt an neuen Gaskraftwerken hinzubauen müssen. Es gibt ja noch existierende.
Und dieser Zubau hält sich preislich in Grenzen? An welchem Punkt wird die Bezahlbarkeit der Energiewende fraglich?
Für ein Megawatt installierte Leistung zahlt man etwa eine Million Euro. Wenn Sie diese Größenordnung hochrechnen, landen Sie für Gaskraftwerke mit einer Kapazität von 20 Gigawatt bei 20 Milliarden Euro. Der wirklich teure Punkt ist der Ausbau der Netzinfrastruktur und der Erneuerbaren: Studien rechnen bis 2030 mit einem Investitionsbedarf von 700 Milliarden Euro und bis 2035 von weiteren 500 Milliarden Euro.
Hat man die Energiewende falsch geplant?
Für uns in der Energiewirtschaft war absehbar, dass es teuer wird. Politisch sollte man auf jeden Fall schauen, wie effizient der Ausbau der Netzinfrastruktur vonstattengeht. Das ist ein wesentlicher Kritikpunkt: Wir dürfen nicht immer alles maximal komplex machen. Bei den Transportnetzen kostet die Erdverkabelung vorsichtig geschätzt doppelt so viel wie die Freileitung, vielleicht auch dreimal so viel. An diesem Punkt kann man ansetzen, wenn man das Gesamtsystem günstiger bauen will.
Auch die Erdkabel waren allerdings eine Frage der Akzeptanz. Gerade in Süddeutschland wollte man diese großen Stromtrassen nicht an der Oberfläche sehen.
Das ist richtig, aber wir müssen abwägen: Ist die lokale Akzeptanz von Stromleitungen wichtiger als die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende? Darauf gibt es keine gute Antwort, aber man sollte darüber nachdenken, ob man die Energiewende maximal teuer macht. Es geht auch um den Anschluss der erneuerbaren Energien: Wie viel Kabel muss man legen, um einen Solarpark anzuschließen? Je näher ich an einem Netzanschlusspunkt bin, desto geringer sind die Kosten. Für den nahen Bau gibt es aber keinen Anreiz, weil der Netzbetreiber dem Solarpark 100 Prozent Einspeiseleistung garantieren und die Kabel überall verlegen muss. Diese Kosten werden über die Netzentgelte auf alle Kunden umgelegt. Wenn man stattdessen 80 Prozent garantiert und zusätzlich eine Batterie verlangt, ist weniger Netzausbau notwendig und man leistet gleichzeitig einen Beitrag zur Versorgungssicherheit.
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Hat sich Deutschland zu hohe Ziele gesteckt? Man kennt die Diskussion über die Laufzeiten der Atomkraftwerke zur Genüge. Ähnlich wird derzeit über den Kohleausstieg gesprochen. Sind das Fehler?
Die Zielsetzung ist richtig, und 80 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 sind machbar. Aber wir müssen uns über den sinnvollsten Weg dorthin unterhalten. Das war tatsächlich eine Frage der Reihenfolge. Kernenergie ist erledigt. Stattdessen verlassen wir uns im Moment stark auf immer älter werdende Kohlekraftwerke. Es ist jetzt wirklich Zeit, wasserstofffähige Gaskraftwerke zu bauen, statt den maximalen Ausbau der erneuerbaren Energien zu forcieren. Denn dafür muss man auch die Netzinfrastruktur maximal ausbauen. Wenn ich dagegen systemisch denke und überlege, wo neue Gaskraftwerke am netzdienlichsten wären, benötige ich weniger erneuerbare Energien und weniger Leitungen von Nord- nach Süddeutschland.
Ist Kernenergie wirklich erledigt? In der Union gibt es wichtiges Personal, das vom Wiedereinstieg träumt.
Kurz- bis mittelfristig ist die Kernenergie in Deutschland vorbei. Diese Diskussion handelt faktisch vom Neubau von Atomkraftwerken. Wenn man das möchte, kann man das politisch entscheiden. Dann muss man aber auch den Rahmen dafür schaffen, das Risikoprofil und die Wirtschaftlichkeit prüfen. Aber um es deutlich zu sagen: Das hat frühestens in 20 Jahren Relevanz.
Kurzfristig hilft Atomkraft weder bei der Versorgungssicherheit noch bei der Bezahlbarkeit?
So ist es.
Der alleinige Ausbau der Erneuerbaren aber auch nicht?
Nein, denn egal, wie viel Erneuerbare wir zubauen, es wird trotzdem weiter Dunkelflauten geben.
Und Speichertechnologien wie Batterien oder Pumpspeicherkraftwerke sind ebenfalls keine Hilfe?
Unsere Kapazitäten für Pumpspeicherkraftwerke sind ausgeschöpft. In dem Bereich gibt es in Deutschland kaum weitere Möglichkeiten. Batteriespeicher helfen für ein paar Stunden, vielleicht auch einen Tag lang. Aber was machen Sie, wenn die Dunkelflaute zwei Tage oder sogar eine Woche dauert?
Aber wir haben doch ein europäisches Stromnetz und könnten notfalls aus Spanien, Frankreich oder Italien mit erneuerbaren Energien versorgt werden.
Das passiert schon. Aber Frankreich heizt im Winter mit Strom. Wenn es sehr kalt ist, benötigt Frankreich die gesamte Kraftwerksleistung, die zur Verfügung steht, selbst. Darauf können wir uns nicht verlassen. Wenn Sie Strom aus Spanien beziehen wollen, müssen Sie wieder Transportnetze bauen. Das wird teuer. Und letzten Endes muss die Dunkelflaute auch nicht auf Deutschland begrenzt sein, sie kann gleichzeitig andere Teile Europas erfassen. Wir werden um Backup-Kapazitäten nicht herumkommen.
Mit Thomas Kusterer sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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(Dieser Artikel wurde am Donnerstag, 19. Dezember 2024 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de