Stromversorgung bei Dunkelflaute "Bei tiefen Temperaturen darf nicht mehr viel schiefgehen"
14.11.2024, 16:20 Uhr Artikel anhören
Woher kommt unser Strom, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht?
(Foto: picture alliance / imageBROKER)
Über das Jahr hinweg erzeugen erneuerbare Energien etwa 65 Prozent des deutschen Stroms. Doch im November schlägt die Dunkelflaute zu, Solar und Wind brechen als Stromquelle fast vollständig weg. In Haushalten mit dynamischen Tarifen steigen die Preise auf einen Euro pro Kilowattstunde. Ist die deutsche Stromversorgung in diesem Winter gefährdet? Nein, sagt Bruno Burger im "Klima-Labor" von ntv. Allerdings warnt der Energieexperte des Fraunhofer-Instituts für Solare-Energiesysteme (ISE) davor, weitere Kohlekraftwerke abzuschalten: "Ich bin Ingenieur für Elektrotechnik, Versorgungssicherheit ist für mich das höchste Gut", sagt Burger. Wo droht die größte Gefahr? Bei fallenden Temperaturen und wenn die Atomnation Frankreich ihre Heizungen aufdreht.
ntv.de: Was zahlen Sie aktuell für Ihren Strom?
Bruno Burger: Das weiß ich nicht genau. Ich habe einen normalen Stromvertrag mit einem lokalen Stadtwerk.
Dann müssen Sie anders als Menschen mit dynamischen Stromtarifen derzeit nicht aufpassen, wann Sie Waschmaschine, Herd und Staubsauger benutzen.
Die sehen aktuell sehr flexible Strompreise. Wir sind schon halb im Winter, die Tage werden kürzer, es ist bewölkt oder neblig, die Solarstromerzeugung geht zurück. Gleichzeitig haben wir aktuell sehr wenig Wind und somit wenig Erneuerbare, die die Strompreise nach unten drücken. Stattdessen treiben fossile Kraftwerke und Stromimporte die Preise nach oben.
Das ist die klassische Dunkelflaute, vor der Skeptiker der erneuerbaren Energien warnen?
Ja. Die kommt jedes Jahr vor und ist in allen Energieszenarien eingeplant. Es ist nicht so, dass sie uns auf dem falschen Fuß erwischt.
Welche Preise müssen denn Menschen mit dynamischen Tarifen derzeit zahlen?
Bei dynamischen Tarifen wird der Day-Ahead-Börsenstrompreis durchgereicht. Der ist vergangene Woche auf mehr als 800 Euro pro Megawattstunde (MWh) gestiegen. Das sind 80 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Und das ist nur der Einkaufspreis. Dazu kommen Netzentgelte und Steuern in Höhe von etwa 20 Cent/kWh.
Deswegen ist es so wichtig, dynamische Tarife mit einem Heimspeicher zu kombinieren?
Genau. Die Strompreise sind nicht den ganzen Tag so hoch, sondern nur in einzelnen Stunden. Die erste Verbrauchsspitze gibt es morgens zwischen 7 und 9 Uhr, bevor die Leute zur Arbeit gehen, weil die Sonne noch nicht scheint. Eine zweite Spitze gibt es abends, wenn die Sonne untergegangen ist und die Leute zu Hause kochen. Dazwischen sinken die Preise, denn etwas Solarstrom wird auch im Winter erzeugt.
Kommen diese extremen Preisausschläge häufiger vor oder ist die Dunkelflaute dieses Jahr besonders ausgeprägt?
Im Sommer so gut wie gar nicht. Auch wenn es bewölkt ist, wird viel Solarstrom erzeugt, weil Solarzellen auch bei Streulicht funktionieren. In dieser Zeit ist die Stromerzeugung gut gesichert. Im Winter benötigen wir dagegen Wind, aber der weht eben nicht täglich, sondern in einem gewissen Rhythmus: fünf oder sechs Tage stark, dann vier oder fünf Tage kaum. Diese Lücken sind so lang, dass wir sie nicht mit Batteriespeichern und Pumpspeicherkraftwerken überbrücken können. Dafür benötigen wir konventionelle Kraftwerke. Die werden heute noch mit Kohle und Erdgas betrieben. Wenn wir aus der Kohle ausgestiegen sind, nutzen wir nur noch Gaskraftwerke. Die sollen später von Erdgas auf erneuerbaren Wasserstoff umgestellt werden.
Wie sieht der aktuelle Strommix aus? Wie groß ist der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung?
Übers Jahr haben die Erneuerbaren einen Anteil von etwa 65 Prozent an der Stromerzeugung. Beim Verbrauch sind es 56 Prozent. Vergangene Woche ist der Anteil am Verbrauch teilweise auf 16 Prozent zusammengeschrumpft. Speziell am Mittwoch und Donnerstag gab es ganz wenig Solarenergie und so gut wie keinen Wind. Die erneuerbare Erzeugung hat sich an diesen Tagen auf Wasserkraft und Biomasse konzentriert.
Das bedeutet umgekehrt aber auch, dass wir im Notfall über genügend Kohle- und Gaskapazitäten verfügen, um solche Dunkelflauten auszugleichen?
Noch haben wir genügend Kraftwerkskapazitäten, aber es werden immer mehr Kraftwerke abgeschaltet. Das ist ein Problem, davon bin ich kein Freund. Für eine gesicherte Stromversorgung sollten wir zuerst Erneuerbare zubauen, bevor wir fossile Kraftwerke abschalten. Das war ein Problem der Bundesregierungen unter Angela Merkel: Die haben Pläne für die Abschaltung der Kernkraftwerke bis 2022 und für den Kohleausstieg bis 2038 gemacht, aber keinen für den Einstieg in die erneuerbaren Energien. Deswegen hängen wir den Ausbauzielen hinterher.
Was wird denn konkret benötigt? Am Ausbau der Solarenergie hapert es nicht, dort liegen wir über dem Soll. Und mehr Windkraftanlagen helfen doch nicht, wenn im Winter gar kein Wind weht.
Das stimmt. Trotzdem hängen wir unseren Plänen bei der Windenergie deutlich hinterher. Das große Defizit gibt es aber bei Batteriespeichern. Die hätten wir viel früher ausbauen sollen. Viele Privathaushalte besitzen welche und können deswegen ihren Solarstrom vom Mittag am Abend nutzen. Aber wir benötigen große Batteriespeicher im Netz. Die werden erst jetzt gebaut, obwohl es schon vor Jahren eine EU-Direktive gab, dass Batteriespeicher nicht mit doppelten Netzentgelten belegt werden dürfen. Leider hat der damalige Wirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier diese EU-Direktive nicht in nationales Recht umgesetzt. Das wurde erst jetzt nachgeholt. Jetzt kündigen viele Energieversorger den Bau großer Batteriespeicher an. In den nächsten Jahren werden wir einen Run sehen.
Bis dahin besteht aber die Gefahr, dass der Strom im Winter knapp werden könnte, wenn wir weiter Kraftwerke abschalten?
Das sehe ich nicht. In der Spitze haben wir im Winter ungefähr einen Stromverbrauch von 75 Gigawatt. Ohne Wind und Solar verfügen wir ungefähr über 100 Gigawatt an installierter Kraftwerkskapazität. Davon sind aber auch einige Kraftwerke in Reserve. Die müssen dann betriebsbereit sein.
Ein schmaler Grat, falls es eine längere Dunkelflaute geben sollte?
Es darf nicht mehr viel schiefgehen, vor allem bei tiefen Temperaturen. Im europäischen Stromverbund könnte uns eigentlich das Ausland helfen. Aber Frankreich hat im Winter einen doppelt so hohen Stromverbrauch wie im Sommer. Mit jedem Grad unter null, was es kälter wird, benötigt Frankreich 2,5 Gigawatt mehr Strom. Das schaffen die französischen Kernkraftwerke nicht. Deshalb kam es in kalten Wintern schon öfter vor, dass Frankreich zum Stromsparen aufruft und wir fossilen Strom für Frankreich produzieren.
Weil viele Franzosen mit Elektroheizungen heizen, schnellt der Stromverbrauch an kalten Tagen in die Höhe?
Richtig, die haben fast keine Wärmepumpen. Die hätten einen Effizienzgewinn durch die Nutzung von Umweltwärme mit einem Faktor von drei oder so. Stattdessen nutzt Frankreich Elektrodirektheizungen. Das Motto war: Wir machen günstigen Atomstrom und heizen alles elektrisch. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen.
Aber jetzt beginnt der große Zubau an Batteriespeichern und in wenigen Jahren kann uns die Dunkelflaute egal sein?
Das wird noch dauern. Diese Batteriespeicher haben Speicherkapazitäten für ein paar Stunden. Das ist perfekt für den Sommer, um die Solarspitze vom Mittag in den Abend zu retten. Für den Winter benötigen wir auf jeden Fall Gaskraftwerke.
Wie lange denn noch?
Auch wenn die Energiewende wie geplant 2045 beendet ist, werden wir nicht ohne Gaskraftwerke auskommen. Wir können nicht so viel Windenergie und Batteriespeicher installieren, dass wir im Winter auf Ersatzkraftwerke verzichten könnten.
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Wir benötigen Gaskraftwerke nur für die Dunkelflaute im Winter?
Ja. Die Lücken ohne Wind sind einfach zu lang. Wir rechnen die Energiewende von heute bis 2045 im Stundentakt in unserer REMod-Studie durch und greifen für die Prognosen auf historische Wetterdaten zurück. Nach unseren Berechnungen benötigen wir mehr oder weniger eine Parallelstruktur für den Notfall. In unserer neuesten Ausgabe kommen wir in Summe für 2045 auf eine Kapazität von 110 Gigawatt an Gaskraftwerken. Diese Gaskraftwerke sollen später auf Wasserstoff umgestellt werden, dann könnten wir auch Kraft-Wärme-Kopplung nutzen, also die Wärme der Kraftwerke auskoppeln und in ein Fernwärmenetz einspeisen. Aber meiner Meinung nach ist der aktuell geplante Zubau eher das Minimum dessen, was wir benötigen.
Wir müssen noch viel mehr Gaskraftwerke bauen?
Nach unseren Berechnungen ja. Ich bin Ingenieur für Elektrotechnik. Versorgungssicherheit ist für mich das höchste Gut. Die muss gewahrt bleiben. Deshalb sollten wir ein fossiles Kraftwerk lieber zu spät abschalten als zu früh. Und wenn es nur wenige Stunden pro Jahr läuft, sind die Emissionen gering und tun uns nicht weh. Andere Baustellen wie der Verkehr oder der Wärmesektor sind wichtiger. Dort kann man mit weniger Aufwand mehr CO2 einsparen.
Sehen Sie Deutschland denn trotz des Ampelchaos auf dem richtigen Weg?
Ja. Wir haben die Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohle kräftig reduziert. Vergangenes Jahr lag der Anteil noch bei 26 Prozent. Das ist das niedrigste Niveau seit 1959. Dieses Jahr wird es noch weniger. Selbst im Zweiten Weltkrieg haben wir mehr Braunkohle gefördert als heute. Das sind gewaltige Fortschritte. Diesen Weg müssten wir eigentlich weitergehen, aber ich befürchte, dass die Erneuerbaren nach den Neuwahlen von der Union ausgebremst werden, denn die setzt wieder auf Kernkraftwerke und Kernfusion. Unser Stromverbrauch wird sich in den kommenden Jahren unter anderem durch E-Mobilität und das elektrische Heizen von 550 auf 1600 Terawattstunden pro Jahr (TWh) verdreifachen. Bis 2045 wird aber kein Fusionskraftwerk am Netz sein und wenn wir diesen Stromverbrauch mit Kernkraftwerken decken wollen, müssten wir 160 neue AKW bauen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Es gibt keine Alternative zu einer Energiewende mit erneuerbaren Energien.
Mit Bruno Burger sprach Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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Quelle: ntv.de