Französisch oder à la Schäuble? Wie Europa Athen retten will
19.07.2011, 15:00 Uhr
Streik der Taxifahrer in Athen.
(Foto: AP)
Griechenland taumelt, der Markt drängt, die Politik zögert: Vor dem großen EU-Gipfel wird hektisch über das nächste Rettungspaket verhandelt. Experten streiten über die richtige Lösung. Wie können die Staats- und Regierungschef der Eurozone Griechenland retten? Ein Überblick.
Beschneiden, umtauschen oder "freiwillig" verlängern? Die Bandbreite der Vorschläge zum Umgang mit griechischen Staatsanleihen geht weit auseinander. Bis zum der Staats- und Regierungschefs der 17 Euro-Staaten am kommenden Donnerstag muss es einen verbindlichen Ansatz geben, der den Weg aus der Schuldenkrise ebnen soll. Andernfalls dürfte sich die Krise erneut verschärfen.
Vom Krisengipfel in Brüssel erwartet nicht nur die Finanzwelt ein starkes Signal: Griechenland hat derzeit rund 340 Mrd. Euro Schulden. Das neue Hilfspaket für Athen könnte einen Umfang von bis zu 120 Mrd. Euro haben. Bereits im Mai 2010 war Griechenland mit einem Hilfspaket von 110 Mrd. Euro vor der Staatspleite gerettet worden. Nun zeichnet sich aber schon länger ab, dass Griechenland nicht wie geplant 2012 wieder an den Finanzmarkt zurückkehren kann. Neben Griechenland hängen auch Irland und am internationalen Finanztropf. An Spanien und wird gezweifelt. Schulden haben auch Belgien, Frankreich und Deutschland. Um eine Zuspitzung der Krise in anderen hoch verschuldeten Ländern zu verhindern, arbeiten die Euro-Minister hinter den Kulissen unter Hochdruck an konkreten Lösungsvorschlägen. Im Kern geht es darum, wie Griechenland geholfen werden kann, ohne neue Unsicherheiten an den Märkten auszulösen.
Der Balanceakt zur Rettung Griechenlands gilt als extrem kompliziert. Sicher sind sich die Beobachter bislang nur in einem Punkt: Sollte Europa bei dem anstehenden Gipfel nicht mit einer klaren Lösung aufwarten, sind empfindliche Reaktionen an den Märkten vorprogrammiert. Seit Tagen schon stehen die Aktienkurse, Ölpreise und Devisennotierungen weltweit unter Druck. Wenig hilfreich dabei ist, dass mit der Hängepartie im ein weiterer, erheblicher Unsicherheitsfaktor droht. Bis zum Gipfel müssen zumindest die Eckpunkte des zweiten Hilfspakets für Griechenland stehen. Andernfalls steht den Staats- und Regierungschefs am Donnerstag ein Verhandlungsmarathon bis tief in die Nacht bevor - und möglicherweise ein böses Markterwachen am Freitag. Die Positionen scheinen verhärtet: Regierungen und Ratingagenturen, Investoren und Währungshüter fühlen sich an jeweils ganz eigene Interessen oder Verpflichtungen gebunden. Dahinter stehen die Bürger im gemeinsamen Währungsraum: Das ist schon jetzt schwer erschüttert.

Ein Gefühl in der Magengrube wie vor dem Start der Achterbahn: Argwöhnisch verfolgen Börsianer die Debatte.
(Foto: REUTERS)
Der kritische Punkt aus der Sicht der Politik: Wie lassen sich die privaten Gläubiger - also Banken, Versicherer und andere Großinvestoren - an der Rettung Griechenlands beteiligen, ohne die Märkte zu verunsichern und ohne den Steuerzahler zu belasten? Einfach wird das nicht: Deutsche Banken und Versicherer halten Griechenland-Anleihen im geschätzten Volumen von 15 bis 20 Mrd. Euro. Der größte Teil liegt in den staatlich gestützten "Bad Banks" von Häusern wie zum Beispiel der (HRE) oder einzelnen . Wie kann Griechenland gerettet werden? Dazu liegen mittlerweile mehrere Vorschläge auf dem Tisch. Die meisten laufen auf eine Umschuldung hinaus. Selbst Bundeskanzlerin hatte einen solchen Schritt zuletzt nicht mehr ausgeschlossen. Die Voraussetzung für alle Konzepte ist, dass Griechenland weiter massiv spart und umfangreich Staatseigentum privatisiert. Wer sagt was?
Das Modell "Schäuble"
Bundesfinanzminister hatte bereits vor einigen Wochen vorgeschlagen, die in Umlauf befindlichen griechischen Staatsanleihen in neue Papiere mit einer um sieben Jahre verlängerten Laufzeit umzuwandeln. Das sollte Druck vom griechischen Staatshaushalt nehmen und die Lage entspannen. Von zusätzlichen Anreizen für die Halter der Anleihen war in einem Brief an seine europäischen Minister-Kollegen nicht die Rede.
Die Beteiligung an dem Umtausch-Programm sollte für die Banken und Versicherungen freiwillig sein. Allerdings haben die Ratingagenturen klargemacht, dass sie Griechenland dennoch einen Zahlungsausfall attestieren würden - denn die ursprünglichen Bedingungen für die Investoren würden sich nachträglich ändern. Damit weist das Schäuble-Modell eine wesentliche Schwäche auf. Für Beobachter erschien das zunächst verwunderlich: Der Vorschlag aus dem Berliner Finanzministerium folgt Berichten zufolge in den Eckpunkten .
Die "französische" Lösung
Französische Banken hatten dagegen unter Vermittlung von Staatspräsident einen Vorschlag erarbeitet, der den freiwilligen Tausch griechischer Anleihen am Ende ihrer ursprünglichen Laufzeit vorsieht. Demnach werden sofort 30 Prozent getilgt, die restlichen 70 Prozent wieder angelegt.

Getriebene Gestalter: Politiker wie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy entscheiden über das Schicksal des Euro.
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Ein Anteil von 50 Prozent des ursprünglichen Volumens geht gemäß des französischen Vorschlags in neue Hellas-Bonds mit 30-jähriger Laufzeit und einem Zins von bis zu 8 Prozent. Darin enthalten ist ein Zinsbonus abhängig vom künftigen Wachstum der griechischen Wirtschaft. Die restlichen 20 Prozent fließen in eine Zweckgesellschaft, die damit erstklassig bewertete Papiere ("AAA") kauft. Diese sollen als Sicherheit dienen für den Fall, dass Griechenland tatsächlich zahlungsunfähig wird. Damit stehen für die Gläubiger lediglich nur noch rund 50 Prozent ihres ursprünglichen Investments im Feuer. Zahlungsfähig kann Griechenland allerdings eigentlich nur werden, wenn die Eurozone ihre Unterstützung aufgibt.
Auch dieses Modell geht nach Ansicht der Ratingagentur Standard & Poor's mit einem teilweisen Zahlungsausfall, dem sogenannten "selective default" einher. Aus der Sicht der Europäischen Zentralbank (EZB) ist dieser Vorschlag damit so gut wie verbrannt. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hatte sich ausdrücklich gegen ein solches Vorhaben gewandt. Europas Kreditinstitute könnten griechische Anleihen im Default-Fall keinesfalls mehr als Sicherheit bei der Zentralbank hinterlegen. Den Banken ginge damit eine ihrer wichtigsten Finanzierungsquellen verloren. Zumindest einzelne griechische Häuser wären faktisch sofort pleite. " ", hatte Trichet seine Haltung zusammengefasst.
Der Vorschlag der Versicherer
Wochen nach den Vorstößen aus Berlin und Paris hat auch Europas größter Versicherungskonzern einen viel beachteten Lösungsvorschlag vorgelegt. Das Modell des Versicherungsriesen kreist um das Angebot, alte griechische Anleihen aus den Depots der privaten Gläubiger mit einem Abschlag von 25 Prozent freiwillig in neue zehnjährige Papiere zu tauschen. Die neuen Papiere könnten mit einer Garantie des Eurorettungsschirms EFSF versehen werden, heißt es in dem Allianz-Vorschlag. Ein weiterer Vorteil aus der Sicht des Versicherers: Die neuen Anleihen könnten zudem auch über eine neue Staatsanleihen-Versicherung abgesichert werden.

Am Geldautomat in Athen: "Default" heißt für Griechenland wohl umgehend "Bankpleite". Geld für neue Stützungsaktionen gäbe es nicht.
(Foto: dpa)
Die Verschuldung Griechenlands könnte so um 50 Mrd. Euro sinken, rechnen Allianz-Experten vor. Davon kämen 35 Mrd. Euro von den privaten Gläubigern, der Rest von der ebenfalls involvierten EZB. Kritiker sehen in dem Vorschlag vor allem Vorteile für die Gläubigerseite. Griechische Anleihen werden schon jetzt mit erheblichen Abschlägen gehandelt. Nach Ansicht von Experten sind darin die Erwartungen eines möglichen Schuldenschnitts bereits enthalten. Ein Tausch alter Anleihen in neue Hellas-Bonds mit Europa-Garantie könnte sich damit für finanzstarke Investoren mit langem Atem als Riesengeschäft erweisen - wenn sie jetzt günstig alte Bonds zu aktuellen Konditionen aufkaufen, um sie anschließend "freiwillig" in garantierte Langläufer umzutauschen.
Das Modell der Commerzbank
Der Vorschlag der Allianz ist nicht der einzige Ansatz aus der Privatwirtschaft. Commerzbank-Chef hatte sich zuvor bereits für einen teilweisen Forderungsverzicht der privaten Gläubiger ausgesprochen. Demnach könnten die Gläubiger ihre Anleihen mit einem Abschlag von 30 Prozent in 30 Jahre laufende Papiere mit einem Zins von 3,5 Prozent tauschen, die mit einer Garantie der anderen Euro-Länder versehen wären.
Alternativ könnten Anleihen zu 100 Prozent in eine zinslose Neuanlage getauscht werden, die in fünf Jahren aus den Privatisierungserlösen der Griechen zurückgezahlt würde. Hier würde die Euro-Gemeinschaft 80 Prozent der Rückzahlung garantieren, die Gläubiger müssten also schlimmstenfalls 20 Prozent eines Verlustes selbst tragen. Auch dieses Modell zeigt einen Ausweg auf, der in erster Linie die Risiken auf der Gläubigerseite einschränkt. Der Vorteil für Griechenland läge in einer immerhin klar vorgezeichneten Auszahlung der Investoren. Auf den Straßen Athens dürfte das allerdings für neue Spannungen sorgen. Schließlich flösse das Geld aus der in Griechenland heftig umstrittenen Privatisierung von Staatsbetrieben wie Energie- und Wasserversorgung nach fünf Jahren direkt in die Kasse der Banken.
Der große Athener Schuldenrückkauf
Alle vier bisher vorgestellten Konzepte stammen direkt oder indirekt aus Banken- und Versicherungskreisen - oder wurden zumindest unter Einbeziehung der Gläubigerseite entwickelt. Vor diesem Hintergrund gewinnt ein ganz anderer, eher unkonventioneller Vorschlag gewissen Charme: Die Regierung in Athen könnte die Unsicherheit der Investoren nutzen und die eigenen . Rechtlich wäre das möglich. Für die Griechen würde sich das lohnen. Nur fehlt ihnen bislang das Geld dazu. Abhilfe könnte der provisorische Euro-Rettungsschirm EFSF schaffen. Im Rahmen eines zweiten Hilfspaketes könnte der Stützungsfonds der griechischen Regierung zusätzliche Mittel für eine groß angelegte Einkaufsaktion bereitstellen.
Griechische Staatsanleihen werden zurzeit mit deutlichen Abschlägen auf ihren Nennwertes gehandelt: Bei einem Abschlag von 50 Prozent ließen sich zum Beispiel mit einer Summe von 50 Mrd. Euro Verbindlichkeiten im Umfang von 100 Mrd. Euro zurückkaufen - das wäre fast ein Drittel der Altschulden. Maßstab wäre allein der Marktwert. Für die Gläubiger wäre das zwar mit erheblichen Abschreibungen verbunden. Aber immerhin wäre das Griechenland-Abenteuer damit für sie sauber beendet. Nicht ganz geklärt scheint die Frage, ob die Ratingagenturen auch bei diesem Modell von einem - teilweisen - Zahlungsausfall sprechen würden. Nach dem derzeitigen Stand der Debatte würden einige Mitgliedsländer dies voraussichtlich in Kauf nehmen. Die EZB sperrt sich allerdings strikt gegen einen Zahlungsausfall - aus den oben erwähnten Gründen. Aufmerksam werden Experten und Regulierer verfolgen, wie genau die Rating-Analysten hier argumentieren. Denn nach den Regeln des freien Marktes steht es grundsätzlich jedem Investor offen, Staatsanleihen zum Marktwert zu erwerben. Ein Knackpunkt bleibt jedoch: Die Gläubiger müssen einem Rückkauf zustimmen. Womöglich müsste Athen deutlich mehr Geld ausgeben, um den Banken die Aktion letztlich doch noch schmackhaft zu machen.
Der große europäische Schuldenrückkauf
In dieser Variante würde der EFSF selbst die Staatsanleihen direkt kaufen. Dafür gibt es allerdings keine rechtliche Grundlage - zumindest derzeit noch nicht. Wenn keine andere Lösung bleibt, könnten sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone unter Umständen noch während des Gipfels auf eine Neuausrichtung des milliardenschweren Krisentopfs einigen. Allerdings müssten sie eine solche schwerwiegende Änderung zuvor auch innenpolitisch gegen alle Kritik und Gegenwind absichern.
Denn nicht nur aus den Kreisen der deutschen Opposition werden die Rufe nach radikalen Lösungen angesichts der wirtschaftlichen Perspektiven Griechenlands immer lauter. Zur Debatte stehen dabei extreme Ansätze wie der oder eine ebenso wie moderatere Forderungen nach einem generellen Schuldenerlass für finanzschwache Staaten oder die solidarische Finanzierung der Lasten über gemeinsame Eurobonds.
Die Verteidigungsringe der Zentralbank
In der gesamten Debatte vertritt EZB-Präsident Jean-Claude Trichet bislang eine strikte Linie: In deutlichen Worten warnte er die Euro-Staaten vor Entscheidungen, die zu einem teilweisen Zahlungsausfall oder zu einem Zahlungsausfall führen könnten. Die Zentralbank werde in dieser Frage keine Kompromisse eingehen: "Es ist inakzeptabel für uns, unsere Rolle als Anker für Stabilität und Vertrauen im Euro-Raum und in Europa aufs Spiel zu setzen", sagte Trichet. Selbst ein teilweiser Rückkauf griechischer Schulden durch die Regierung in Athen könnte das Ansehen des Schuldners Griechenland an den Märkten endgültig zerstören.
"Wenn ein Land zahlungsunfähig wird, können wir seine ausgefallenen Staatsanleihen nicht mehr als normale notenbankfähige Sicherheiten akzeptieren", sagte Trichet. "Die Regierungen tragen dafür die Verantwortung", betonte er. Die Regierungen müssten dann dafür sorgen, dass dem Euro-System Sicherheiten bereitgestellt werden, die es akzeptieren könne. Die Bundesregierung geht bislang trotz allem davon aus, dass das neue Hilfspaket für Griechenland im "Konsens" mit der EZB beschlossen werden kann. Generell zeigt sie sich zuversichtlich, dass vom Euro-Gipfel ein "gutes Signal" ausgehen wird. Der Gipfel werde Eckpunkte für ein zweites Griechenlandpaket bringen, mit dem die Schuldentragfähigkeit des Landes langfristig gesichert werden könne, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert.
Quelle: ntv.de, mit dpa/rts