Deutscher Gründer in China "Wir müssen Angst vor unserer eigenen Überheblichkeit haben"
19.03.2024, 15:35 Uhr Artikel anhören
"Beim Bauen ist China übers Ziel hinausgeschossen", sagt Gründer Fabian von Heimburg.
(Foto: picture alliance / CFOTO)
China verteufeln oder von China lernen? Einerseits will Deutschland seine wirtschaftlichen Abhängigkeiten von China verringern, andererseits ist China Deutschlands wichtigster Handelspartner und das zum achten Mal in Folge. "Wir müssen keine Angst vor den Chinesen haben, sondern nur davor, dass wir zu langsam werden und zu überheblich. Wir sind nicht klüger als die anderen", sagt Fabian von Heimburg dazu. Er hat vor zehn Jahren in China gegründet. Sein Startup Hotnest Technology konzentriert sich auf die Skalierung von Marken zwischen Europa und Asien mithilfe von KI. Zudem ist er China-Repräsentant des Bundesverbands Deutsche Startups und berät als Vize-Vorsitzender des Beirats Junge Digitale Wirtschaft Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
ntv.de: Sie sind einer von wenigen Deutschen, die in China gegründet haben. Warum?
Fabian von Heimburg: Das war Zufall. Ich war schon immer an anderen Sprachen, an anderen Ländern, komplett anderen Sichtweisen interessiert. Ich bin am Anfang dorthin, um einen Sprachkurs zu machen und wollte einen Monat bleiben. Dann wurden es viele Jahre und ich habe natürlich realisiert, dass China ein unglaublich großer Markt ist, der sich schnell entwickelt und mit 1,4 Milliarden Leuten ein unglaubliches Potenzial hat. Vor allem, was kluge Talente angeht. Bildung ist in China extrem wichtig und wird stark gefördert.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie am Anfang?
Es gibt vor allem kulturelle Barrieren. Der Hauptgrund ist die Sprache. In China sprechen die meisten Menschen Chinesisch und nur wenige Englisch. Die wirklichen Unterschiede merkt man erst, wenn man selbst Chinesisch kann: Die Leute denken komplett anders. Die Logik ist anders, die Hierarchien sind anders. In Deutschland planen wir immer ewig lange. In China fangen Unternehmer einfach an und schauen, was passiert. Als wir mit unserem KI-Startup gestartet sind, gab es in diesem Bereich fast noch gar nichts. Drei Jahre später gab es Hunderte Konkurrenten. Die Märkte entwickeln sich in China unglaublich schnell. Das ist sehr chinesisch. Genau wie die Tatsache, dass hier alle extrem hart arbeiten.
Haben Länder wie Deutschland zu lange von oben auf China herabgeschaut?
Chinesen und Inder legen unglaublichen Wert auf Bildung. Vor allem auf wissenschaftliche Bildung im Computer-Bereich, Mathematik oder Ingenieurswesen. Es ist normal, dass du hart arbeitest und du darauf Wert legst. In Europa vergessen wir oft, dass wir eben nicht mehr so hart arbeiten müssen, weil wir in der Vergangenheit schon viel aufgebaut haben. In China ist das alles in 40 Jahren passiert. Das heißt: Jeder weiß noch, wie es war, arm zu sein. Jeder weiß noch, wie die Zeit damals war, als es nichts zu essen gab, keine Autos, keine Heizung. Wir wissen das gar nicht mehr. Ich glaube, es würde uns guttun, wenn wir unseren Wohlstand nicht als selbstverständlich ansehen. Auch Wirtschaftswachstum kommt nicht von allein. Wir waren die Ersten, die sich industrialisiert haben, und das ist schon lange her. Wir müssen endlich diesen Hunger wieder entwickeln, damit wir nicht zurückfallen.

Fabian von Heimburg ist Gründer des Startups Hotnest Technology und China-Repräsentant des Bundesverbands Deutsche Startups.
(Foto: Privat)
Müssen wir Angst vor China haben?
Wir müssen keine Angst vor China haben, sondern nur vor unserer eigenen Überheblichkeit. Dadurch werden wir zu langsam. Wir müssen aber wachsen, innovativ sein, hart arbeiten. Wir Deutschen sind nicht klüger als Inder, Chinesen oder Amerikaner. Wir sind nicht so klug, dass wir nur ein Viertel der Zeit der Chinesen arbeiten müssen. Deshalb warne ich vor unserer eigenen Selbstgefälligkeit. Wir haben alles, um erfolgreich zu bleiben. Top-Technologie, Topleute, unglaublichen Reichtum. Das Einzige, was uns zur Gefahr werden kann, sind wir selbst. Wir sind zu satt. Bei uns werden viele Diskussionen geführt, die in anderen Ländern nicht geführt werden. Zum Beispiel, dass weniger gearbeitet werden soll oder Wirtschaftswachstum nicht mehr so wichtig ist. Man muss bei diesen Diskussionen aufpassen, dass man das Hauptziel vor Augen hat. Das ist am Ende eine glückliche Gesellschaft, die im Wohlstand lebt. Das ist nur mit Wirtschaftswachstum und Innovation möglich. Wir können nicht sagen: Wir ruhen uns jetzt aus. Dann ziehen die Chinesen und die Amerikaner an uns vorbei. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir ärmer werden.
Es gibt aber auch eine ganze Menge Kritik an China. Stichwort: Menschenrechtsverletzungen oder ein möglicher Angriff auf Taiwan. Die westliche Politik spricht deshalb von De-Risking. Es geht darum, sich wirtschaftlich unabhängiger von China zu machen. Ist das die richtige Strategie?
Es ergibt wenig Sinn, das auf ein bestimmtes Land zu beziehen oder eine Region. Wenn man als Europa digital oder militärisch souveräner werden will, muss man das ganzheitlich sehen. Wir sind nicht nur von China, sondern auch von den USA extrem abhängig. Als Europa müssen wir schauen: Welche Bereiche sind uns wichtig, was sind Industrien, die wir einfach selbst machen wollen. Wenn wir uns von China abkapseln und solche Dinge wie Solarpaneele, Tische, Stühle selbst produzieren würden, hätten wir im Umkehrschluss eine unglaubliche Inflation. Vor allem durch unsere hohen Arbeitskosten. Das können wir unserer Bevölkerung nicht antun. Wir schränken dadurch unsere eigene Wettbewerbsfähigkeit ein. Wenn wir wirklich denken, wir können weniger arbeiten, höhere Kosten akzeptieren und trotzdem noch mit China, den USA und Indien mithalten, leben wir in einer Traumwelt, die nicht existiert. Wir müssen aufwachen. Uns fehlt der Pragmatismus. Wir müssen nicht schauen, was können wir anderen Ländern der Welt erzählen oder was machen die schlecht. Dafür gibt es die Vereinten Nationen, die G20 oder die G7. Am Ende muss man sehen, was für uns als Europa, als Deutschland am besten ist.
Also sollte man darüber hinwegschauen, dass China vielleicht Taiwan angreifen könnte und das Thema Menschenrechte nicht so großgeschrieben wird?
Nein, wir sollten nie über diese Sachen hinwegsehen. Wir sollten das offen ansprechen in den internationalen Organisationen, die genau dafür existieren. Wir sollten diese auch stärken. Aber es hilft uns nicht, wenn wir sagen: Wenn China Taiwan angreift, brechen wir alle Beziehungen mit China ab, weil wir auf der anderen Seite mit Saudi-Arabien und anderen Ländern, wo ähnliche Probleme vorherrschen, weiterhin handeln. Diese selektive Moral ist meiner Meinung nach schädlich für uns. Nämlich dann, wenn wir Handelsbeziehungen abbrechen und dadurch bei uns alles teurer wird und wir dadurch ärmer. Dadurch können wir im Umkehrschluss anderen Ländern immer weniger sagen, was sie zu tun haben, weil: Warum sollten sie einem armen Land zuhören. Warum haben wir überhaupt ein Gewicht in der Welt? Wegen unserer wirtschaftlichen Kraft. Wenn die wegfällt, haben wir nichts mehr zu sagen. Entweder wir handeln wirklich nur mit den G7 und mit keinem nicht demokratischen Land - das fände ich nicht gut, aber das wäre zumindest eine logische, moralisch richtige Einstellung. Oder wir machen es pragmatisch und gucken, was ist für uns das Beste.
In China läuft aber auch nicht alles rosig zurzeit. Das Wirtschaftswachstum geht zurück, Immobilienkrise, hohe Jugendarbeitslosigkeit und Millionenstrafen für Tech-Konzerne. Was ist da los?
Die Immobilienkrise in China hat auch Einfluss auf das Wirtschaftswachstum. Denn das Wirtschaftswachstum kam eben durch Immobilien, durch Menschen, die Wohnungen brauchten. Beim Bauen ist man allerdings übers Ziel hinausgeschossen. Das versucht China wieder einzudämmen. Bei den Techkonzernen ist es so, dass diese in China in der Vergangenheit komplett unterreguliert waren. Die konnten machen, was sie wollten. Es gab keine große Regulierung, beispielsweise für Datensicherheit und viele andere Bereiche. Als diese dann kamen, gab es einen großen Aufschrei.
Wie sehen Sie in die Zukunft, was die Beziehung Europa und China angeht?
Für die gesamte Welt ist mein Ausblick positiv, weil wir immer weiter wachsen. Es kommen immer mehr Menschen raus aus der Armut, ob in Afrika, Indien oder China. Für Europa ist der Ausblick schwierig. Wir müssen uns neu ausrichten, unsere eigene Souveränität wiederfinden und schauen, dass wir pragmatischer werden, dass wir die Energiepreise runterbekommen, dass wir ein digitales Ökosystem aufbauen, dass wir eine Industrie aufbauen, die international wieder wettbewerbsfähiger ist. Das wird allerdings immer schwieriger, weil sich die Welt verändert, weil andere Nationen aufsteigen, Geld haben, ihre eigenen Industrien entwickeln und auch sehr gebildet sind. Deswegen wird es für Europa einige Zeit nicht so einfach sein. Es wird eine Zeit des Umbruchs geben. Genauso wie für China. Auch dort wird sich das Wirtschaftsmodell ändern. Weg von nur Immobilien und Produktion fürs Ausland. Für die Beziehungen zwischen Europa und China sehe ich kurzfristig einen schwierigen Weg, aber langfristig einen besseren. Die Welt wird sich immer mehr verzahnen, genau wie die letzten Jahrtausende auch. Es wird mehr Handel geben und größeren Wohlstand für alle.
Mit Fabian von Heimburg sprach Janna Linke. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Vollständig können Sie es im ntv-Podcast "Startup - jetzt ganz ehrlich" anhören.
Was verbirgt sich hinter der schillernden Fassade der Startup-Szene? Janna Linke weiß es. Im Podcast "Startup - Jetzt ganz ehrlich" wirft sie jede Woche einen Blick hinter die Kulissen der Gründerszene und spricht über Themen, die gerade Schlagzeilen machen. Sie ordnet ein, hakt nach. Persönlich, ehrlich und mit einem echten Mehrwert. Dafür spricht sie mit Persönlichkeiten der Szene, Expertinnen und Experten und gibt euch den absoluten Rundumblick. Gemeinsam taucht ihr tief ein in die Startup-Welt.
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Quelle: ntv.de, cam