Wirtschaft

Nullzins, Anleihekäufe, Italien Wofür steht Christine Lagarde?

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(Foto: picture alliance/dpa)

Die Nachfolgerin von Mario Draghi ist gefunden. Mit IWF-Chefin Christine Lagarde rückt eine erfahrene Krisenmanagerin an die EZB-Spitze. Doch vielen Deutschen dürfte ihre Politik kaum gefallen.

Die Finanzmärkte haben ihr Urteil über Christine Lagarde schon gefällt: Seit ihrer Nominierung als Nachfolgerin von Mario Draghi herrscht Begeisterung an den Börsen, dass die Französin ab November die Europäische Zentralbank führen soll. Der Lagarde-Effekt beschert dem Dax kräftige Kursgewinne.

Lagarde ist eine krisengestählte Diplomatin: Seit 2011 hat sie als Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) an jedem Rettungspaket der Euro-Krise mitgewerkelt und die heutige Architektur der Eurozone entscheidend mitgeprägt. Zuvor steuerte sie ab 2007 als französische Finanzministerin ihr Land durch die Lehman-Pleite und die folgende Finanz- und Wirtschaftskrise. Diese Erfahrungen wird Lagarde gut gebrauchen können.

"In Ihren acht Jahren am EZB-Ruder wird es mit Sicherheit eine Rezession geben, und Sie werden wenig dagegen tun können", schrieb das "Wall Street Journal" in dieser Woche in einem offenen Brief an die kommende EZB-Chefin. Mario Draghi habe es geschafft, Europa in seiner schwersten Krise seit dem Bau der Berliner Mauer zusammenzuhalten. "Sie müssen im nächsten großen Wirtschaftsabschwung eine ähnliche Panik verhindern - und das, obwohl die EZB ihr Pulver zum Großteil schon verschossen hat."

n-tv.de erklärt, wie Lagarde zu den Schicksalsfragen der Eurozone in den kommenden Jahren steht.

Ultra-lockere Geldpolitik und Niedrigzinsen

Lagarde gilt als große Befürworterin der EZB-Krisenpolitik und der Nullzinsstrategie ihres Vorgängers. Im Frühjahr 2016, als die Leitzinsen der Eurozone schon fast zwei Jahre lang unter Null gerutscht waren, lobte Lagarde "Präsident Draghi und die EZB für die Schritte, die sie unternommen haben, um das Vertrauen in der Eurozone zu verbessern, die die Erholung weiter unterstützen werden". Negativ-Zinsen seien "insgesamt positiv" für die Weltwirtschaft: "Wenn wir diese negativen Zinsen nicht gehabt hätten, würde es uns heute viel schlechter gehen, mit einer niedrigeren Inflation und niedrigerem Wachstum", bekannte Lagarde.

Im Zweifel dürfte die Französin lieber zu lange an der Billiggeld-Strategie festhalten: Mehrfach hat sie in den vergangenen Jahren vor einem verfrühten Ausstieg gewarnt. Mit dem Ende der Krise müssten die Notenbanken ihre Geldpolitik zwar wieder normalisieren. "Dieser Tag ist aber noch nicht gekommen", sagte Lagarde. Mit einer zu schnellen Zinswende könne Vertrauen zerstört werden. Inzwischen liegt der EZB-Einlagenzins schon seit über drei Jahren bei minus 0,4 Prozent. Die Wirtschaft hat sich an das permanente Geld-Doping gewöhnt, Banken und Sparer ächzen unter niedrigen Gewinnen.

Lagarde ist sich der negativen Nebenwirkungen der Billiggeldpolitik äußerst bewusst. Für sie überwiegen aber die Wachstumsanreize. "Wenn der nächste Abschwung kommt, was unweigerlich passieren wird, müssen die Entscheider alle Instrumente nutzen, um ihre Wirkung zu maximieren", schreibt Lagarde in einem IWF-Blogeintrag im Juni. "Das bedeutet, die Nachfrage wo immer möglich durch entschlossene monetäre Lockerung und fiskalische Ausgaben zu stützen."

Euro-Rettung mit Draghis Geldregen

Auch eine grundsätzliche Abkehr von der mächtigsten und umstrittensten Waffe im EZB-Arsenal ist von Lagarde nicht zu erwarten. Nur wenige Wochen nachdem Mario Draghi im Sommer 2012 geschworen hatte, notfalls "alles zu tun" ("whatever it takes"), um den Euro zu retten, bezeichnete Lagarde seinen Plan für unbegrenzte Anleihekäufe als "Signal in die richtige Richtung".

Als das Bundesverfassungsgericht 2013 über Draghis Rettungspolitik urteilte, warnte Lagarde die Karlsruher Richter eindringlich, seine Krisenstrategie nicht zu torpedieren. Der Schwur des EZB-Chefs, notfalls unbegrenzt Anleihen kriselnder Euro-Länder zu kaufen, sei "der Wendepunkt" gewesen, sagte Lagarde damals der "Süddeutschen Zeitung".

Doch die Anleihekäufe stoßen wie die Nullzinspolitik nun an ihre Grenzen. Schon jetzt hat die EZB Staatsanleihen für fast 2,2 Billionen Euro auf den Büchern. Der Zentralbank gehören bereits 15 Prozent der italienischen und 27 Prozent der deutschen Staatsschulden. Die Notenbanker haben sich auferlegt, höchstens ein Drittel aller Anleihen eines Landes zu kaufen. Ihnen geht also zunehmend die Munition aus.

Die Frage ist, wie weit Lagarde bereit ist, das Spiel zu treiben. Womöglich kommt es darauf aber gar nicht an: Draghi hat bereits angekündigt, das Limit womöglich auf 50 Prozent anzuheben, sollte die Inflation in Europa nicht bald anziehen. Sollte der scheidende EZB-Chef das Kaufprogramm als letzte Amtshandlung ausweiten, wären Lagarde auf Jahre die Hände gebunden.

Schuldenkrise in Griechenland und Italien

Lagarde ist keine orthodoxe Prinzipienreiterin. Ihr Krisen-Credo lautet: "Ungewöhnliche Umstände erfordern ungewöhnliche Maßnahmen", wie sie 2013 in der "Süddeutschen Zeitung" bekannte. Im Griechenland-Drama war sie Pragmatikerin und bereit zu tun, was getan werde musste. Vor allem mit Wolfgang Schäuble lieferte sie sich einen erbitterten Streit über die Hilfspakete für Hellas.

Lagarde brüskierte den deutschen Finanzminister, indem sie immer wieder offensiv einen Schuldenschnitt für Athen forderte und die Schulden des Landes als "nicht tragfähig" bezeichnete. Zudem kritisierte Lagarde Schäuble mehrfach für das Pochen auf starre Haushaltsziele. Im Zweifel sei es besser, sich "ein bisschen mehr Zeit zu nehmen als einen Gewaltmarsch hinzulegen", sagte sie in Richtung Bundesregierung schon 2013 beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

Trotzdem hat sie als IWF-Chefin hochverschuldete EU-Länder immer wieder zu Wirtschaftsreformen aufgerufen. Doch wie ihr Vorgänger Draghi wird auch Lagarde als EZB-Chefin gegen Schuldensünder wie Italien kaum etwas ausrichten können. Sie kann Rom nicht dazu zwingen, zu sparen, den Arbeitsmarkt zu reformieren, Infrastruktur zu erneuern. Sie muss aber womöglich bald entscheiden, ob sie Italien in einer neuen Krise wie 2012 mit unbegrenzten Anleihekäufen rettet - und so den Zusammenbruch des Euro verhindert. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass Lagarde uneingeschränkt hinter Draghis Versprechen steht, notfalls "alles zu tun", um den Euro zu retten.

Reform der Eurozone

Manche Beobachter fürchten, Lagarde könnte das technische Knowhow für den Posten als Notenbankchefin fehlen. Die gleichen Vorbehalte gab es bei ihrem Antritt als IWF-Chefin: Sie könne natürlich ökonomischen Argumenten folgen, bekannte die gelernte Juristin 2012 im britischen "Guardian", sei aber "keine super-duper Ökonomin".

Lagarde ist keine Technokratin wie Draghi, sondern Politikerin. Manche sehen das als Problem, weil ihre Ernennung die Notenbank weiter politisiert. Ihre politische Erfahrung und ihr diplomatisches Geschick dürften in den kommenden Krisen aber auch von Vorteil sein: Bei unzähligen Krisengipfeln und Staatsbesuchen hat sie mit allen Entscheidern der Eurozone schon persönlich verhandelt.

Zudem hat die Eurozone vor allem politische Reformen nötig: den Abbau horrender Staatsschulden, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, einen gemeinsamen Haushalt oder die Harmonisierung von Renten- und Sozialsystemen. Und ihr Job als Notenbankchefin ist nicht nur, in der Kommunikation mit den Märkten Vertrauen zu schaffen. Der schwierigere Teil ihrer Arbeit wird darin liegen, in Europas Hauptstädten um Akzeptanz zu werben.

Für diese Aufgabe ist Lagarde bestens positioniert. Sie ist überzeugte Verfechterin der EU-Integration und internationaler Kooperation: "Kein Land kann allein gehen", mahnte sie 2015 auf der IWF-Tagung in Lima. Lagarde steht hinter dem Euro und der Bankenunion: 2012 forderte sie nachdrücklich Geldspritzen für kriselnde Finanzinstitute und eine Aufstockung der Euro-Rettungsfonds - beides wurde kurz darauf Realität.

Auch eine stärkere Integration der Finanzpolitik und einen Finanzausgleich zwischen schwachen und starken Euro-Ländern kann Lagarde sich vorstellen: Vergangenes Jahr brachte sie die Idee eines EU-Hilfsfonds ins Spiel. Aus dieser gemeinsamen Kasse sollten Konjunkturspritzen für notleidende Länder finanziert werden

Immer wieder hat sie Europa darauf gedrängt, die richtige Balance zwischen Sparpolitik und Wachstumsförderung durch Investitionen zu finden. An Deutschland hat sie dabei appelliert, mehr Geld auszugeben. Lagarde fordert ein "neues Versprechen für gemeinsamen Wohlstand" in Europa, um der Bedrohung durch populistische Bewegungen zu begegnen. Lagarde kritisiert, dass sich der Wohlstand in südlichen und nördlichen Ländern Europas zunehmend auseinanderentwickelt. Die "Früchte des Wirtschaftswachstums" müssten überall in der EU geteilt werden. Nur so lasse sich "Vertrauen in das europäische Projekt wiederherstellen".

Quelle: ntv.de

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