Mutterlos in Afrika Aids-Waisen werden oft verstoßen
30.11.2009, 15:35 UhrIst das Virus erstmal ausgebrochen, will sie keiner mehr haben: Aids-kranke Waisenkinder werden oftmals von den Kinderheimen in Afrika verstoßen. Nur Freiwillige können helfen.

Viele afrikansiche Aids-kranke Kinder haben ihre Mutter bereits an das Virus verloren.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Noch vor wenigen Wochen schien Kevins Schicksal besiegelt. Krank, allein, unerwünscht und ungeliebt in dem Kinderheim in Nairobi, das ihm eigentlich Zuflucht bieten sollte. Die Ordensschwestern, die Kevins Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt hatten, überreichten den damals Eineinhalbjährigen den neuen Betreuern zusammen mit einigen Medikamentenvorräten. Zudem gab es genaue Anweisungen, welche Tabletten der kleine Junge täglich schlucken müsse. Denn Kevin ist seit seiner Geburt HIV-positiv.
"Er war in seiner Entwicklung zurückgeblieben und konnte noch nicht einmal stehen, weil seine Mutter schon viel zu schwach war, um sich um ihn zu kümmern. Er lag einfach immer nur auf ihrem Bett", erzählt Esther Mwangi, gelernte Krankenschwester und Leiterin der Aids-Ambulanz im Krankenhaus der Franziskanerinnen in Kasarani, einem Slumviertel der kenianischen Hauptstadt.
Kinderheim wollte ihn nicht zurück

Pflegemutter Maggie Otieno kümmert sich um Kevin - das tut beiden gut.
(Foto: picture alliance / dpa)
Doch trotz all dieser Defizite erschrak die Schwester, als sie Kevin ein halbes Jahr später in der Klinik wieder zu Gesicht bekam. "Die Pfleger im Kinderheim hatten ihm keine neuen Medikamente besorgt, weil sie die Kosten scheuten. Als sie ihn zu uns brachten, war bei Kevin schon Aids ausgebrochen", sagt sie bedrückt. "Die Leute vom Kinderheim sagten klipp und klar, sie wollen ihn nicht zurück haben."
Kevin ging es schlecht, körperlich und seelisch. "Er schrie und weinte die ganze Zeit", erzählt Esther Mwangi und streicht Kevin über das kurz geschorene Kraushaar.
Der Kleine lächelt, ein bisschen schüchtern, und drückt sich eng an die Schulter von Maggie Otieno, die ihn auf ihrem Schoß wiegt. Die 48-jährige, selbst HIV-positiv, gehört zu den freiwilligen Helfern der Klinik, die in ihrer Nachbarschaft zum Thema Aids aufklären, im Viertel für die Teilnahme an Aids-Tests werben und mit dem eigenen Beispiel zeigen, dass ein positives Testergebnis kein sofortiges Todesurteil sein muss. "Ich habe vier Kinder, aber die sind alle schon erwachsen und führen ihr eigenes Leben", sagt Maggie Otieno. "Irgendwo musste Kevin schließlich bleiben."
Opfer des Verfalls der Großfamilientradition
Aids-Waisen wie Kevin sind Kinder, die am meisten unter dem Zerbrechen der traditionellen afrikanischen Großfamilie leiden. Zwar gibt es Tausende von Großmüttern, die oft ein Dutzend verwaister Enkelkinder aufziehen. Doch häufig ist die Bindung an die Familie schon seit Jahren zerrissen ist und die Kinder stehen nach dem Tod der oft alleinerziehenden Mutter buchstäblich allein auf der Welt. In Kenia gibt es mehr als 1,2 Millionen Aids-Waisen. In dem ostafrikanischen Land sind Schätzungen zufolge etwa acht Prozent der Menschen HIV-positiv. In Slumvierteln wie Kasarani liegt der Anteil deutlich höher.
Kevin hatte, trotz allem, Glück. "Er ist jetzt seit einem Monat bei mir", sagt seine Pflegemutter. "Sieh nur, inzwischen kann er stehen, und er versucht auch schon, an meiner Hand zu laufen." Noch immer ist der mittlerweile Zweijährige viel zu klein für sein Alter, er ist schwach, aber die Zuneigung, die er erhält, saugt er regelrecht auf.
Der Blick des Kleinen ist aufmerksam und interessiert, und dank der Medikamente, die er nun regelmäßig erhält, ist sein Immunsystem einigermaßen stabilisiert. Er hat eine Chance, bei allen Einschränkungen und Rückschlägen. Und auch Maggie hat eine Aufgabe, die sie im Kampf gegen das Virus bestärkt. Liebevoll drückt sie den kleinen Jungen an sich. "Für ihn muss ich gesundbleiben", sagt sie. "Er braucht schließlich eine Mama."
Quelle: ntv.de, Eva Krafczyk, dpa