Rätsel für Wissenschaftler Arsengehalt der Schollen
19.11.2007, 10:35 Uhr
Bis zu 1,3 Millionen Tonnen Munition schlummern als Altlast des Ersten und Zweiten Weltkrieges in Nord- und Ostsee. Sprengungen sind aus Rücksicht auf Tiere wie Schweinswale oft zu heikel und viele der gefährlichen Lagerstellen werden nur zufällig entdeckt. Kieler Toxikologen haben nun bei der Analyse von Ostsee-Schollen einen rätselhaften Fund gemacht. Einige Fische wiesen eine zehnfach über dem Richtwert liegende Arsen-Konzentration auf.
"Statt 5 Milligramm pro Kilo gab es Tiere mit 50 Milligramm pro Kilo", sagt der Wissenschaftler Hermann Kruse vom Institut für Toxikologie der Universität Kiel. Die Ausreißerdaten haben den 65- Jährigen überrascht, frühere Untersuchungen ergaben keine so extremen Schwankungen. "Eine mögliche Hypothese ist, dass die Belastungen durch chemische Kampfstoffe, die in der Ostsee lagern, kommen."
Laut Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg lagern noch 65.000 Tonnen chemischer Kampfstoffmunition auf dem Meeresgrund der Ostsee. Dazu gehören Giftstoffe wie Senfgas, Tabun, Zyklon B und Sarin. Kruse und seine Doktorandin Svenja Behrens haben mit Proben und mikroskopischen Untersuchungen bisher vergeblich versucht, das Rätsel um die stark erhöhten Werte zu lüften. "Die entscheidende Frage ist: In welchen Bindungsformen kommt das Arsen in den hochbelasteten Schollen vor", sagt Kruse. Nur so könne man wissen, ob und wie giftig die Schollen für den Menschen sind. Geringe Mengen Arsen in Fischen sind nicht ungewöhnlich, es handelt sich um organisches, ungiftiges Arsen.
Das Landwirtschaftsministerium in Schleswig-Holstein betont deshalb, dass solche Konzentrationen nicht zwangsläufig eine Gefahr für den Verbraucher bedeuten. Ob die nun aufgetauchten Schollen mit bis zu 50 Gramm Arsen pro Kilo in den Handel gelangt sind, sei unbekannt. In dem norddeutschen Bundesland wurden 2006 in der Ostsee etwa 90 Tonnen Schollen gefangen, in der Nordsee waren es 2000 Tonnen. "Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, dass Fisch hohe Arsengehalte aufweisen kann, allerdings in organischer und damit toxikologisch nicht relevanter Form", sagt der Büroleiter des schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsministers Christian von Boetticher (CDU), Michael von Abercron.
Jüngere Analysen liegen aber nur für die Nordsee vor. "Nach den derzeitigen wissenschaftlichen Ergebnissen gehen wir nicht davon aus, dass hohe Arsengehalte in Schollen eine Gefahr für den Verbraucher darstellen." Der Meeresbiologe und Umweltgutachter Stefan Nehring aus Koblenz verweist darauf, dass noch zahllose arsenbelastete Kampfstoffe wie Clark I und II, Adamsit und Lewisit in der Ostsee liegen. Er schätzt allein den reinen Arsengehalt dieser Altlasten auf "gut 1000 Tonnen."
Nehring glaubt, dass die Arsenrückstände in den Schollen von den Kampfstoffen herrühren könnten. "Die Schollen bleiben nicht an einem Ort, sondern schwimmen umher. Deshalb tragen sie Belastungen zwangsläufig auch in andere Meeresgebiete, die arsenbelasteten Tiere lassen sich nur schwer lokalisieren", sagt der 48-Jährige. Nehring sagt, dass das Arsen in den Tieren beim Fischer im Gegensatz zu anderen chemischen Kampfstoffen wie Senfgas keine Hautreizung oder anderen sichtbaren Reaktionen auslöse. Deshalb könnten Funde unerkannt bleiben und in den Handel gelangen. "Die chemischen Kampfstoffe sind eine tickende Zeitbombe", sagt er.
Quelle: ntv.de, Georg Ismar, dpa