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Tödliches Ende eines Wettkampfs "Beim Sport steigt das Herztod-Risiko"

Beim Profi-Radsport werden hohe Herzfrequenzen über lange Zeiträume erreicht - eine Gefährdung für das Herz.

Beim Profi-Radsport werden hohe Herzfrequenzen über lange Zeiträume erreicht - eine Gefährdung für das Herz.

(Foto: picture alliance / dpa)

Immer wieder sterben Leistungssportler bei Wettkämpfen am plötzlichen Herztod - zuletzt der erst 22 Jahre alte belgische Radprofi Daan Myngheer. Beispiel aus der Vergangenheit sind die Fußballer Piermario Morosini und Miklós Fehér. Ob Wettkampfsport gefährlich für das Herz ist und welche Rolle Doping dabei spielen könnte, weiß Sportmediziner Tim Meyer.

n-tv.de: Herr Meyer, erst kürzlich ist der belgische Radrennfahrer Daan Myngheer im Alter von nur 22 Jahren bei einem Rennen plötzlich an einem Herzstillstand gestorben. Ist Sport gefährlich für das Herz?

Tim Meyer: Man weiß, dass regelmäßig Sporttreibende, sogar Leistungssportler, im Durchschnitt länger leben als Nichtsportler. Es ist aber auch bekannt, dass während der sportlichen Aktivität, verglichen mit dem Rest vom Tag, das Risiko für einen plötzlichen Herztod vorübergehend leicht erhöht ist. Am stärksten ist diese Risikoerhöhung ausgeprägt, wenn untrainierte erwachsene Personen in den Sport einsteigen.

Tim Meyer ist Ärztlicher Direktor und Leiter des Instituts für Sport- und Präventivmedizin an der Universität Saarbrücken. Er betreut außerdem die deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer.

Tim Meyer ist Ärztlicher Direktor und Leiter des Instituts für Sport- und Präventivmedizin an der Universität Saarbrücken. Er betreut außerdem die deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ihr Institut betreibt seit 2012 eine Datenbank zur Erfassung plötzlicher Herztode beim Sport. Kann man das erhöhte Risiko eines plötzlichen Herztodes für Sporttreibende in Zahlen ausdrücken?

Das ist nicht leicht zu beziffern, weil es in Deutschland keine Meldepflicht für solche Ereignisse gibt. Verschiedene Untersuchungen aus anderen Ländern weisen auf ein mindestens um das Zweifache erhöhtes Risiko hin.

Das hört sich erstmal viel an.

Allerdings betrifft das nur die Zeit der Aktivität, verglichen mit einer gleich langen Zeit körperlicher Ruhe. Und es ist ja so: Wenn Sie eine Stunde Sport treiben, haben Sie zwar eine Stunde erhöhtes Risiko gehabt. Aber der Tag hat ja noch weitere 23 Stunden, in denen sich der Sport günstig auswirkt. Und dieser positive Effekt übersteigt die Gefährdung während des Sports bei Weitem. Außerdem müssen wir ja ganz klar sehen, dass solche tragischen Herztode immer noch höchst selten sind, selbst wenn sie häufiger auftreten als während körperlicher Ruhe.

Was kann man zu den Ursachen des plötzlichen Herztodes beim Sport sagen?

Das ist altersabhängig unterschiedlich und es scheint auch ethnien- und länderspezifische Differenzen zu geben. Relativ gesichert und in den meisten Ländern ähnlich ist das Überwiegen der Herzkranzgefäßverkalkung als Ursache bei Sportlern über 35 bis 40 Jahren. Bei jungen Menschen dominieren offenbar angeborene Herzerkrankungen, wobei das Muster sich beispielsweise zwischen den USA und Italien, von wo es bislang die besten Daten gibt, unterscheidet. Unsere ersten Registerdaten weisen darauf hin, dass in Deutschland bei jungen Menschen unter 35 Jahren Herzmuskelentzündungen häufiger auftreten, als wir es aufgrund der anderen Daten erwartet haben. Außerdem findet sich eine Verkalkung der Herzkranzgefäße auch bereits in erwähnenswerter Häufigkeit. Wir müssen sehen, ob die Daten der nächsten Jahre diesen Trend bestätigen.

Kann Sport lebensgefährliche Herzerkrankungen hervorrufen?

Nein, sie sind nicht durch den Sport ausgelöst. Sie bestehen bereits vorher, erkannt oder unerkannt, und der Sport stellt einen Auslöser für den plötzlichen Herztod dar. Es gibt nur eine Herzerkrankung, bei der im Wesentlichen Einigkeit herrscht, dass sie durch langjähriges regelmäßiges Sporttreiben hervorgerufen werden kann: das Vorhofflimmern. Dabei handelt es sich um eine Rhythmusstörung, die üblicherweise erst im höheren Lebensalter auftritt und ohne Komplikationen auch keine unmittelbare Todesgefahr birgt.

Ist für Leistungssportler das Risiko eines Herztodes höher als bei Freizeitsportlern?

Ein solcher Vergleich ist schwierig, weil Leistungssportler wesentlich umfangreicher und meist auch intensiver Sport treiben. Im Vergleich zu anderen Sporttreibenden haben sie sicherlich kein erhöhtes Risiko, wenn man alle wesentlichen Aspekte für eine ordentliche Berechnung in Betracht zieht. Man darf wohl davon ausgehen, dass Leistungssportler in der Regel besonders gut medizinisch untersucht sind - zumindest deutlich überdurchschnittlich. Damit würden sogar jene Krankheiten, von denen wir wissen, dass sie den plötzlichen Herztod hervorrufen, bei Leistungssportlern mit einer höheren Wahrscheinlichkeit erkannt als bei weniger gut Trainierten.

Das heißt, Leistungssportler sollten eigentlich wissen, dass sie Herzkrankheiten haben, die zum plötzlichen Herztod führen können?

Das kann man - zumindest unter den Rahmenbedingungen in Deutschland - schon sagen. Für diesen Zweck existieren gute und gründliche Untersuchungssysteme.

Wieso erleiden dann Leistungssportler immer wieder einen plötzlichen Herztod, wie zuletzt Daan Myngheer?

Zum einen gibt es seltene Herzkrankheiten, die selbst mit umfangreichen Screening-Untersuchungen nicht leicht zu erkennen sind. Zum Glück sind das nur wenige. Aber es gibt selbst bei Autopsien manchmal keine eindeutigen Diagnosen als Ursache für den plötzlichen Herztod. Außerdem nimmt nicht jeder Leistungssportler Untersuchungsangebote wahr. Wie es in dem von Ihnen genannten Fall war, weiß ich nicht.

Gibt es Sportarten, bei denen der plötzliche Herztod häufiger auftritt?

In unserer deutschen Statistik sind Fußball und Laufen ganz vorn. Das hat aber insbesondere damit zu tun, dass diese Sportarten bei uns populär sind. Insofern hat die Häufigkeit also etwas mit den Sportpräferenzen der Bevölkerung zu tun, die länderspezifisch sehr unterschiedlich sind.

Kann man auch etwas über die relative Häufigkeit von Herztoden bei gewissen Sportarten sagen?

Dazu gibt es keine ausreichende Datengrundlage. Aber man kann natürlich Plausibilitätsüberlegungen anstellen, weil wir wissen, was der tödliche Mechanismus für die meisten plötzlichen Herztode ist. Das sind fast immer akute bösartige Herzrhythmusstörungen, das sogenannte Kammerflimmern. Wenn das nicht unterbrochen wird, etwa durch einen Defibrillator, führt es in den meisten Fällen zum Tod. Und am ehesten zu Herzrhythmusstörungen führen Sportarten, die mit hohen Herzfrequenzen einhergehen, wo also sehr viel Adrenalin ausgeschüttet wird.

Würde Radsport auch darunterfallen?

Natürlich. Dort werden hohe Herzfrequenzen über lange Zeiträume erreicht, insbesondere bei Zwischen- oder Endspurts. Es fallen besonders alle dynamischen Sportarten darunter, auch die großen Mannschaftssportarten wie Fußball, Handball oder Basketball. Bei denen wird das Herz-Kreislaufsystem in vielen Situationen maximal angeregt. Bei Tischtennis oder Tennis hingegen, Sportarten, bei denen die Herzfrequenz nicht so hochgeht, gibt es möglicherweise eine geringere Gefährdung.

Welche Rolle spielt Doping beim plötzlichen Herztod im Leistungssport?

Selbst wenn ein Sportler gedopt hat, dann hat er das natürlich nicht unbedingt getan, kurz bevor der Tod eintritt. Daher ist ein rückblickender Nachweis oft schwierig - sogar im Rahmen einer Autopsie. Wenn ein Sportler vor zehn Jahren gedopt hat, kann man es heute kaum noch nachweisen. Dementsprechend gibt es auch nicht sehr viele Fälle von Herztoden, bei denen man schlüssig belegen kann, dass Doping ursächlich war. Das schließt aber natürlich nicht aus, dass langfristige Nebenwirkungen von Doping zum Tod beigetragen haben. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen man Doping als Ursache eines plötzlichen Herztodes beim Sport belegen konnte – berühmtes Beispiel ist der Radrennfahrer Tom Simpson, der 1967 bei der Tour de France verstarb.

Um was für Dopingmittel handelt es sich dabei?

Einige bekannt gewordene Fälle sind älteren Datums und auf sogenannte Stimulanzien, also Aufputschmittel, zurückzuführen - so auch bei Simpson. Stimulanzien können bei Einnahme zu Herzrhythmusstörungen führen, insbesondere wenn Vorerkrankungen des Herzens bestehen. Diese Nebenwirkung ist vermutlich die Ursache dieser Fälle. Heutzutage sind die meisten Stimulanzien nur noch beim Wettkampf verboten, wo sie bei Kontrollen mittlerweile mit hoher Sicherheit entdeckt werden. Daher hat sich ihr Gebrauch wohl verringert, und andere Substanzen und Methoden stehen stärker im Fokus der Dopingbekämpfung.

Aber es gibt heutzutage andere Dopingmittel …

Schwerpunkte der Dopingbekämpfung sind eher anabol wirkende Substanzen, EPO oder Blutdoping. Die können alle den Körper sehr schädigen - aber es sieht zumindest so aus, als wäre das akute Gefährdungspotenzial für das Herz weniger dramatisch. Zumindest sind diese Substanzen kaum unmittelbar für Herzrhythmusstörungen verantwortlich. Sie können aber durchaus langfristig Veränderungen am Herzen hervorrufen, die dann auch zu Todesfällen führen mögen. Allerdings ist das im Nachhinein ursächlich oft nicht eindeutig zuzuordnen.

Mit Tim Meyer sprach Kai Stoppel

Quelle: ntv.de

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