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Renaissance in der Heilkunst Blutegel kehren zurück

Die weltweit größte Zuchtanlage für Blutegel in Russland bedient die wachsende Nachfrage der Mediziner. Blutegel helfen bei Bluthochdruck, Arthrose, Blutergüssen und Entgiftungen.

Der Einsatz von Blutegel ist eine wissenschaftlich nachgewiesene Heilmethode.

Der Einsatz von Blutegel ist eine wissenschaftlich nachgewiesene Heilmethode.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Natalja Lepjoschkina lächelt, als sie ihre drei Wochen alten "Kinder" mit warmem Kuhblut füttert, abspült und in große Gläser füllt. "Sie sind glücklich und voll", sagt sie. Die Tierchen gehören zu den drei Millionen Blutegeln, die jedes Jahr im Internationalen Medizinischen Blutegel-Zentrum in Udelnaja gezüchtet werden. Die 1937 gegründete Anlage in der Nähe von Moskau ist nach eigenen Angaben die größte Blutegelfarm weltweit und bedient eine wachsende Nachfrage, seit Wissenschaftler das Potenzial der Saugwürmer neu entdeckt haben.

Das Gebäude der Zuchtanlage in Udelnaja einige Kilometer südöstlich von Moskau ist voll riesiger Metallregale, auf denen Tausende von Blutegeln verschiedener Entwicklungsstadien in gläsernen Gefäßen schwimmen. Für die Fortpflanzung der Tiere sorgen die Züchter in speziellen "Paarungsräumen" für ideale Platz-, Wärme- und Lichtbedingungen. Frauen in blauen Arbeitskitteln und weißen Schürzen kümmern sich um die Lebenszyklen jedes Egels, vom Ei bis zum ausgewachsenen Saugwurm.

Schönheitschirurgie schwört auf Blutegel

Westliche Regierungen und sogar Hollywood-Stars haben den Blutsaugern in den letzten Jahren zu einer Renaissance in der Heilkunst verholfen. Zuvor waren sie jahrzehntelang als Relikt des Mittelalters verpönt. Laut der US-Fachzeitschrift "American Journal of Nursing" lebt die Blutegel-Therapie vor allem in der Schönheits- und Wiederherstellungschirurgie wieder auf. Auch bei bestimmten Blut- und Gewebekrankheiten wird sie angewandt. 2004 erkannte die US-Regierung Blutegel als medizinische Hilfsmittel an, US-Schauspielerin Demi Moore schwärmte im vergangenen Jahr, sie habe sich in Österreich einer Blutegel-Therapie zur Entgiftung unterzogen.

Im Mittelalter verpönt dienen Blutegel heute auch als Pflegeprodukte.

Im Mittelalter verpönt dienen Blutegel heute auch als Pflegeprodukte.

(Foto: picture-alliance / dpa)

"Jetzt ist dies eine wissenschaftlich nachgewiesene Heilmethode", sagt Geschäftsführer Gennadi Nikonow. "Der Blutegel offenbart uns mehr und mehr seiner Geheimnisse." Früher glaubten die Menschen, die kleinen Tierchen würden schlechtes Blut aussaugen und so die Kranken heilen. Die moderne Wissenschaft hat inzwischen einen ganzen Cocktail von Wirksubstanzen nachgewiesen, den die Egel in den Blutkreislauf ihres Wirtes abgeben, darunter Hirudin, das die Blutgerinnung hemmt.

Seit 1990 Produktion verzehnfacht

Die Zuchtanlage in Udelnaja verdankt ihre Existenz der Sowjetunion, wo die Apotheken die Blutegel auch noch im Angebot hatten, als sie im Westen wegen des Aufkommens der Antibiotika bereits aus der Mode waren. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer zentralistisch gelenkten Wirtschaft 1991 stürzte die Zuchtfarm in schwere Zeiten. "Damals hatten wir kein Geld mehr für die Löhne, und das Gebäude verfiel", erinnert sich Nikonow. Der wirtschaftliche Aufschwung und die zunehmende Nachfrage brachten die Rettung: Seit den frühen 90er Jahren hat sich die Produktion verzehnfacht. Zum 70. Jubiläum der Firma 2007 setzte die Zuchtanlage ihren Saugwürmern gar ein Denkmal: Ein Bronze-Egel windet sich jetzt im Hof um eine Marmorsäule.

Inzwischen verkauft das Unternehmen auch Pflegeprodukte aus Blutegeln. Für Shampoo oder Gesichtscreme der Marke "Bioenergy" werden Blutegel verarbeitet. "Blutegel-Kosmetika heilen im Gegensatz zu herkömmlichen Cremes die Haut von innen und pflastern nicht nur zu", sagt Laborchefin Jelena Titowa. Auch für Unfruchtbarkeit, gynäkologische Beschwerden und Zahnweh werden in Russland Blutegel angesetzt.

Dass seine Mitarbeiter sich gut um ihre Zöglinge kümmern, garantiert das Zuchtzentrum mit einer simplen Methode: Jeder Mitarbeiter ist jeweils von der Geburt an für einen Wurf Blutegel zuständig. Viele Angestellte entwickeln deshalb emotionale Bande zu "ihren" Heilwürmern, wie etwa Lepjoschkina, die seit 25 Jahren in der Anlage beschäftigt ist und jährlich mehr als 100.000 Egel aufzieht. Sie betont: "Sie sind praktisch unsere Kinder."

Quelle: ntv.de, Alexander Osipovich, AFP

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