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Schaufensterkrankheit ist vielen unbekannt Wenn die Beine in Gefahr sind

Die Schaufensterkrankheit zwingt zum Stehenbleiben.

Die Schaufensterkrankheit zwingt zum Stehenbleiben.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Von einem Augenblick auf den anderen verkrampft beim Laufen die Wade. Die Schmerzen im Bein werden so stark, dass es Betroffenen unmöglich ist, weiterzugehen. Menschen mit solchen Symptomen wissen meistens nicht, dass sie es mit einer Erkrankung der Gefäße zu tun haben, die ihnen im schlimmsten Fall den Verlust des Beines bringt.

Es trifft Ulrich E. aus heiterem Himmel. Der Rentner bekommt während des Laufens einen so starken Krampf in der linken Wade, dass er vor Schmerzen keinen einzigen Schritt mehr machen kann. Zum Glück löst sich der Krampf nach einiger Zeit wieder und Ulrich E. kann weitergehen. Der damals 65-Jährige denkt sich nach diesem Vorfall erst einmal nichts weiter dabei. Als dieser Zustand jedoch in der nächsten Zeit immer wieder zurückkehrt, versucht er durch die Einnahme von Magnesiumtabletten die Krämpfe in den Griff zu bekommen, ohne Erfolg - im Gegenteil. Die Strecke, die Ulrich E. beschwerdefrei zurücklegen kann, verringert sich von Woche zu Woche.

Mit abschreckenden Bildern eines Raucherbeins wurde in Australien eine Anti-Raucher-Kampagne geführt.

Mit abschreckenden Bildern eines Raucherbeins wurde in Australien eine Anti-Raucher-Kampagne geführt.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Der gelernte Chemiker weiß bis dahin nicht, dass die Funktionsfähigkeit und sogar der Erhalt seines linken Beines auf dem Spiel stehen. Er leidet, wie später eindeutig diagnostiziert wird, an der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), im Volksmund auch Schaufensterkrankheit oder Raucherbein genannt. Eine Arterie im Bein des Mannes ist so durch Plaques - Ablagerungen an den Gefäßwänden - verengt, dass das Gewebe nicht mehr optimal mit Blut und Sauerstoff versorgt werden kann. Die Unterversorgung lässt Krämpfe und Schmerzen entstehen. Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung oder bei völligem Verschluss der Arterie (Beininfarkt) kann das unterversorgte Gewebe innerhalb kurzer Zeit absterben. In besonders schweren Fällen beziehungsweise bei zu spätem Behandlungsbeginn können die Gliedmaßen von den Ärzten nur noch amputiert werden.

Ulrich E. geht, nachdem er kaum noch 100 Meter schmerzfrei laufen kann, schließlich zu seinem Hausarzt, der ihn zum Radiologen überweist. Schon hier wird erkannt, dass die Strömungsgeschwindigkeit des Blutes nicht besonders gut ist. Was das bedeutet und wie er nun weiter behandelt werden muss, erfährt E. durch eine Krankenschwester, die ihm zur Konsultation bei einem ihr bekannten Gefäßchirurgen rät. Bei diesem folgen weitere Untersuchungen und schnell wird klar, dass Ulrich E. operiert werden muss. 2004 entnimmt der Gefäßchirurg Dr. Ingo Flessenkämper, heute Chefarzt der Klinik für Gefäßmedizin am Helios-Klinikum "Emil von Behring" in Berlin, bei seinem Patienten ein Stück der krankhaften Beinarterie, um es durch ein gesundes Stück einer vorher entnommenen körpereigenen Arterie erfolgreich zu ersetzen. Der Patient kann schnell genesen und einige Wochen nach der OP wieder schmerzfrei laufen.

Viele Betroffene merken lange nichts

Periphere arterielle Verschlusskrankheit

Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) ist eine Erkrankung der Gefäße, die zu Durchblutungsstörungen meistens im Bein, selten auch im Arm führt. Männer erkranken dreimal öfter als Frauen. Diese chronischen Gefäßkrankheit der Arterien entwickelt sich schleichend, meist über Jahrzehnte hinweg.

Im Anfangsstadium bleibt der Patient weitestgehend symptomlos. Die starke Verengung einer Arterie führt zu Schmerzen, Schwäche und kalter und blasser Haut in der betroffenen Extremität. Bei einem vollständigen Verschluss kann es zu einem Infarkt und zum Absterben von Gewebe und zu schlecht heilenden Wunden kommen. Im schlimmsten Fall kann eine Amputation notwendig werden.

Als Schaufensterkrankheit wird das zweite Stadium der pAVK bezeichnet. Patienten bekommen beim Laufen Krämpfe und Schmerzen und müssen deshalb stehenbleiben, bis sich ihr Zustand wieder normalisiert hat. In dieser Zeit sehen sie sich zur Ablenkung oft Schaufenster an - daher der Name. Bereits in diesem Stadium besteht eine deutlich reduzierte Lebenserwartung.

Als Hauptursache für die pAVK gilt die Arteriosklerose, also die Verkalkung der Arterien, die zur Einengung oder zum Verschluss der Arterien und damit zu einer Unterversorgung des Gewebes führt. Wie genau Arteriosklerose entsteht, kann bisher nicht hundertprozentig erklärt werden. Sicher ist jedoch, dass der Lebensstil eine ausschlaggebende Rolle spielt. Das Risiko, an Arteriosklerose zu erkranken, potenziert sich durch eine ungesunde Lebensweise mit Tabakkonsum, Übergewicht, Stress und Bewegungsmangel enorm. Erkrankungen wie Diabetes mellitus, ein zu hoher Cholesterinspiegel oder Bluthochdruck sind weitere Risikofaktoren.

Um die Bevölkerung über die Gefahren von Gefäßerkrankungen aufzuklären, wird seit 2005 jedes Jahr im Oktober ein bundesweiter Gefäßtag initiiert. Interessierte können sich an diesem Tag in den teilnehmenden Kliniken und Praxen über Themen rund um die Arteriosklerose informieren.

Der Krankenverlauf von Ulrich E. ist exemplarisch für tausende Betroffene. In Deutschland leiden Expertenangaben zufolge rund 4,5 Millionen Menschen an pAVK. Etwa 20 Prozent der 65-Jährigen haben Verkalkungen in den Beinarterien. Die Erkrankung verläuft schleichend, kann bereits im Kindesalter begünstigt werden und entwickelt sich über Jahrzehnte hinweg. Sie bleibt lange unbemerkt, da sie im Anfangsstadium zu keinerlei Beschwerden führt. Umso heftiger sind jedoch die Symptome bei voranschreitender Arteriosklerose, also der Arterienverkalkung in den Beinen, die bei 95 Prozent der Betroffenen die Hauptursache für die Erkrankung darstellt. Sie reichen von Schmerzen nach kurzen Gehstrecken, über Gliedmaßenschmerzen im Ruhezustand bis hin zu irreversiblen Gewebeschäden, die im schlimmsten Fall zur Amputation des Beines führen. In Deutschland muss jährlich aufgrund von pAVK bei rund 43.000 Patienten im Jahr amputiert werden.

Obwohl so viele Menschen in Deutschland von der pAVK betroffen sind, wissen die meisten nichts darüber. Die Schaufensterkrankheit gehört heute zu den am meisten unterschätzten Volkskrankheiten mit ständig steigenden Betroffenenzahlen – weltweit. Auch Ulrich E. hatte vor seiner Diagnose noch nichts von ihr gehört. Umso umfassender informierte sich der Rentner nach seiner Operation, stellte seine Ernährung um und bewegte sich mehr als sonst. Das Rauchen, das als größter Risikofaktor für die pAVK gilt, hatte Hubert L. bereits vor Jahren aufgegeben. "Das sind Schritte in die richtige Richtung", sagt der behandelnde Arzt und Sekretär der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG) Dr. Ingo Flessenkämper lobend über seine Patienten in einem Gespräch mit n-tv.de.  "Vor allem ein Lebensstil mit unregelmäßigen Tagesabläufen, Stress, ungesunder Ernährung und Übergewicht potenzieren das Erkrankungsrisiko erheblich", so der Arzt weiter.

Beste Therapiemöglichkeiten in Gefäßzentren

Für Ulrich E. ist das Thema Schaufensterkrankheit nach der Operation 2004 nicht abgeschlossen. Acht Jahre später bemerkt er wieder Schmerzen und Krämpfe in der linken (und auch etwas stärker in der rechten) Wade. Gut informiert und über pAVK aufgeklärt, geht der Mann sofort zu seinem behandelnden Gefäßchirurgen Dr. Flessenkämper, der neue Gefäßverschlüsse durch die pAVK diagnostiziert. Ulrich E. muss erneut operiert werden. "Die Operation ist nicht für jeden Patienten mit pAVK die geeignete Methode", betont der Arzt. "In allen von der DGG zertifizierten Gefäßzentren Deutschlands steht die Suche nach der bestmöglichen Therapie für den Patienten im Mittelpunkt". Bei rechtzeitigem Erkennen und der richtigen Behandlung können heute gute Therapieergebnisse bei pAVK erzielt werden. Im Anfangsstadium kann sogar ein einfaches, aber konsequent durchgeführtes Gehtraining die Symptome lindern. Hierdurch schaffte es auch Ulrich E., sich von den Beschwerden im rechten Bein zu befreien. Medikamentös können Blutgerinnungs- oder Thrombozytenfunktionshemmer verhindern, dass die Blutblättchen verkleben.

Auch bei den invasiven Eingriffen gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Ein breites Spektrum von Kathetern über Bypässe oder den Einsatz von Stents stehen den Gefäßchirurgen zur Verfügung. Doch alle Therapieformen nutzen wenig, wenn die Krankheit zu spät diagnostiziert wird. Aus diesem Grund setzt sich die DGG für Aufklärung der Bevölkerung und Präventionsmaßnahmen, die von den Krankenkassen übernommen werden, ein. Rund 90 Prozent der anfallenden Kosten bei Arteriosklerose entfallen auf die Behandlung im Spätstadium. Das sind zirka 60.000 Euro pro Jahr pro Patient.

Die Prävention für die Schaufensterkrankheit besteht in einer einfachen Ultraschalluntersuchung der Beinarterien. Diese  kostet ungefähr 50 Euro. Die DGG fordert daher die Einführung der Untersuchung als Präventionsmaßnahme sowie die Kostenübernahme für jeden gesetzlich Versicherten ab dem 35. Lebensjahr.

Ulrich E. ist heute 75 Jahre alt und in beiden Beinen schmerzfrei. "Es geht mir gut und ich kann bis zur körperlichen Erschöpfung laufen", sagt der Rentner stolz.

Quelle: ntv.de

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