Humangenetiker zum Fall Angelina Jolie "Das ist schlicht die Vermeidung eines Risikos"
14.05.2013, 15:07 Uhr
Angelina Jolie schreibt in der "New York Times", sie fühle sich gestärkt, da sie eine mutige Entscheidung getroffen habe.
(Foto: REUTERS)
Sexsymbol Angelina Jolie wirbt für Gentests zur Brustkrebsvorsorge und für vorsorgende Brustentfernungen. Ist das wirklich nötig? Was sind die Risiken? Und wer bezahlt einen solchen Eingriff? n-tv.de hat den Direktor des Instituts für Humangenetik am Uniklinikum Heidelberg, Prof. Claus Bartram, befragt.
n-tv.de: Die Schauspielerin Angelina Jolie hat sich aus Angst vor Krebs beide Brüste entfernen lassen. Was haben Sie gedacht, als Sie das gehört haben?
Claus Bartram: Das ist eine sehr private Entscheidung. Als Patientin hat sie sich das wahrscheinlich sehr genau überlegt. Ich hoffe, nach sehr genauer ärztlicher Beratung.
Wann ist ein solcher Eingriff sinnvoll?
Das ist vor allem der Fall, wenn Patienten einer Hochrisikogruppe angehören, also die Gene BRC1 und BRC2 eine Auffälligkeit zeigen, oder aber wenn sich aus der Familie heraus ein rechnerisch hohes Risiko ergibt. Es gibt dann zwei Möglichkeiten, wie man vorgehen kann: Die erste wäre eine engmaschige Vorsorgeuntersuchung, also jedes Jahr zwei Frauenarztbesuche, eine Mammografie und eine MRT-Untersuchung. Dadurch wird der Krebs nicht verhindert, sondern so früh wie möglich erkannt und kann operiert werden, bevor Metastasen auftreten. Die zweite Strategie ist, dass man das gefährdete Gewebe vorsorglich entfernt. Das sind das Brustdrüsengewebe und die Eierstöcke. Diese Eingriffe müssen natürlich sehr, sehr wohlüberlegt sein. Man versucht dadurch zu verhindern, dass überhaupt Brustkrebs ausbricht.
Im Internet finden sich Stimmen, laut denen die Gene keinen Einfluss auf das Krebsrisiko haben. Was sagen Sie dazu?
Das sind Scharlatane. Es gibt erbliche Formen von Brustkrebs, wobei nicht der Krebs als solcher vererbt wird, sondern eine genetische Disposition. Das ist eine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis. Das Risiko liegt dann nicht bei 100 Prozent, sondern man beziffert es auf 80 Prozent, was den Brustkrebs angeht. Das ist natürlich ein deutlich erhöhtes Risiko. Man muss es abwägen gegen das Basisrisiko: Jede zehnte Frau bekommt in ihrem Leben Brustkrebs.
Wer sollte sich testen lassen, wie es Angelina Jolie getan hat?

Angelina Jolie mit ihrer mittlerweile an Brustkrebs verstorbenen Mutter Marcheline Bertrand.
(Foto: REUTERS)
Das Wichtigste ist, dass Menschen, die Probleme sehen, ausgiebig beraten werden. Dazu gehört die Gynäkologie, die Humangenetik und dann, wenn es um einen Test von noch nicht Erkrankten geht, auch eine psychotherapeutische Begleitung. Man muss sichergehen, dass die Betroffene einen solchen Test auch psychisch verkraftet. Ein Test ist zum Beispiel dann sinnvoll, wenn eine Schwester oder die Mutter vor dem 50. Lebensjahr an Brustkrebs erkrankt ist.
Das erfährt auch jede Frau von ihrem Gynäkologen?
Soweit er so gut informiert ist, ja. Und davon können wir ausgehen.
Wird der Test in Deutschland von den Krankenkassen bezahlt?
Der Test kostet etwa 2500 bis 3000 Euro. Wenn er medizinisch sinnvoll ist, wird er von der Kasse übernommen und ist für die Patientin kostenfrei. Es gibt aber auch ein Recht auf Nichtwissen, das wir sehr ernst nehmen. Wer sich nicht testen lassen möchte, muss das nicht tun. Auch nach dem Test kann man noch entscheiden, ob man einen Eingriff vornehmen lassen möchte oder nicht.
Wie teuer ist die optische Wiederherstellung der Brust?
Das ist wie die Nachsorge im Paket enthalten. Eine prophylaktische Operation bedeutet immer auch eine kosmetische Maßnahme, bei der versucht wird, soweit es geht, alles wieder auszugleichen.
Angelina Jolie will sich wohl auch die Eierstöcke entfernen lassen. Kann es wirklich richtig sein, mehrere gefährdete Organe vorsorglich zu entnehmen?
Das ist sinnvoll zu überlegen, weil je nachdem, ob BRC1 oder BRC2 betroffen ist, das Risiko für Eierstockkrebs bei 20 bis 25 Prozent liegt. Das ist also deutlich erhöht und die Überlegung darum völlig richtig.
Finden Sie es nicht grundsätzlich bedenklich, wenn Menschen ihre Körper immer weiter optimieren?
Das hat nichts mit einer Körperoptimierung zu tun. Es ist eine Krankheitsvorbeugung. Wenn man nicht raucht oder fettarm isst, ist das auch keine Optimierung des Körpers. Es ist schlicht die Vermeidung eines Risikos.
Was raten Sie einer Frau, die nun verunsichert ist?
Sie sollte sich zunächst einmal nicht verunsichert fühlen. Sie sollte sich ermutigen lassen, die Krankheitsfälle in ihrer Familie daraufhin prüfen zu lassen, ob sie einen genetischen Hintergrund haben. Dazu sollte sie sich bei ihrem Gynäkologen oder auch bei einem Humangenetiker beraten lassen. Das Wichtigste ist, abzuklären, ob überhaupt ein erhöhtes Risiko besteht. Wenn das so ist, wird der Arzt ihr die Möglichkeiten, die sie hat, aufzeigen.
Mit Claus Bartram sprach Christoph Herwartz
Quelle: ntv.de