Wissen

"In einer Art Schönheitsstress" Kampf um die Jugend im OP-Saal

Schönheitsoperationen an der Brust haben ihren Preis - Angebote unter 5000 Euro sind häufig unseriös.

Schönheitsoperationen an der Brust haben ihren Preis - Angebote unter 5000 Euro sind häufig unseriös.

(Foto: dpa)

Schönheitsoperationen liegen im Trend: Egal, ob, immer mehr Menschen gehen zum Schönheitschirurgen. Und das, obwohl die Operationen "sehr schmerzhaft und anstrengend" sind, wie die Soziologin und Autorin Waltraud Posch im Gespräch mit n-tv.de erzählt.

n-tv.de: Frau Posch, immer mehr Menschen legen sich immer öfter unters Messer, um besser auszusehen. Kann man denn von einem weit verbreiteten Schönheitswahn sprechen, der da zum Ausdruck kommt?

Durch das Fettabsaugen kann es zu Thrombosen oder Infektionen kommen.

Durch das Fettabsaugen kann es zu Thrombosen oder Infektionen kommen.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Waltraud Posch: Das würde ich nicht, denn der Begriff Schönheitswahn impliziert eine psychiatrische Erkrankung. Man kann also nicht davon ausgehen, dass jeder Mensch, der sich für eine Schönheitsoperation entschließt, ein schweres psychiatrisches Problem hat. Es geht vielmehr darum, dass sich jemand als veränderungswürdig begreift, wenn er sich zu einer Schönheitsoperation entschließt. Zudem müssen wir für unsere Arbeit und für unser Einkommen immer weniger Zeit und Kraft aufbringen als noch vor Jahrzehnten. So werden Ressourcen frei, die es zu füllen gilt. Oftmals eben auch mit verschiedenen Maßnahmen, um das Aussehen zu verbessern. Schönheitsmedizinische Eingriffe können genauso dazugehören wie Wellness, Sport und Kosmetikbehandlungen.

Der Veränderungswille ist also eine Grundvoraussetzung für eine Schönheitsoperation?

Ja, aber auch das ist nur die halbe Wahrheit, denn häufig werden Schönheitsoperationen in der  Altersgruppe  zwischen 40 und 50 Jahren durchgeführt. Bei denen geht es eher darum, Bestehendes zu erhalten. Menschen verändern sich im Alter. Das wird vor allem im Gesicht erkennbar, oftmals auch am Körper, denn die große Mehrheit nimmt ab 40 ungefähr ein bis zwei Kilogramm pro Jahr an Körpergewicht zu. Es kann bei der Motivation für eine Schönheitsoperation also auch darum gehen, etwas zu bewahren, was von Natur aus nicht so bleiben würde.

Es geht also vielen, die Schönheitsoperationen durchführen lassen,  um ein "so bleiben, wie man ist"?

Vor allem Promis wollen ihr jugendliches Aussehen mit Hilfe von chirurgischen Eingriffen erhalten, so wie die Sängerin Cher.

Vor allem Promis wollen ihr jugendliches Aussehen mit Hilfe von chirurgischen Eingriffen erhalten, so wie die Sängerin Cher.

(Foto: picture alliance / dpa)

Genau! Im Alter zwischen 40 und 50 Jahren verändern sich viele Menschen innerlich nicht mehr so stark. Das heißt, es kommen keine wesentlichen Persönlichkeitsmerkmale mehr dazu. Im Gegensatz dazu verändern sich die meisten äußerlich in dieser Altersspanne sehr. Das innere Gefühl, die Selbstwahrnehmung stimmt irgendwann nicht mehr mit dem Bild überein, das man im Spiegel sieht. Insofern sind Schönheitsoperationen nicht nur ein Mittel, um einem Schönheitsideal so nah wie möglich zu kommen, sondern auch, um Menschen Kontinuität im Erscheinungsbild zu verschaffen, denn die Sehnsucht nach Kontinuität ist im Menschen stark ausgeprägt.

Gibt es eine bestimmte soziale Gruppe oder bestimmte Typen von Menschen, die sich für Schönheitsoperationen entscheiden?

Es gibt kein Profil der Klientel für Schönheitsoperationen, weil es kaum umfassende Studien dazu gibt. Das muss man einfach ganz klar sagen. Laut Schönheitschirurgen lassen erwachsene Menschen aus allen sozialen Schichten und aus allen Altersklassen Schönheitsoperationen an sich vornehmen. Natürlich ist es so, dass Schönheitsoperationen aus eigener Tasche bezahlt werden müssen und schon deshalb insgesamt mehr Menschen aus wohlhabenderen Schichten kommen. Aber auch Menschen mit einem hohen Leidensdruck, die nur über wenig Geld verfügen, finden einen Weg. Sie nehmen beispielsweise extra Kredite auf, um die Eingriffe bezahlen zu können.

Haben Sie eine Idee, warum Menschen das breite Spektrum an schönheitsmedizinischen Eingriffen eher geheim halten, als offen damit umzugehen? Wenn eine Frau vom Friseur kommt oder an Körpergewicht abnimmt, will sie ja auch, dass das bemerkt wird.

Viele Menschen gestehen sich nicht gern ein, dass sie sich für andere schön machen. Ich glaube, es geht dabei um den Verlust der Herrschaft über sich selbst, wenn man sich für andere hübsch macht. Es gilt eben auch als Makel, wenn man es nötig hat, zum Schönheitschirurgen zu gehen. Allerdings stimmt das nicht für alle sozialen Schichten. Untersuchungen zu diesem Thema haben ergeben, dass Menschen aus benachteiligten sozio-ökonomischen Milieus viel offener mit diesen Dingen umgehen. Es fällt Menschen aus bildungsarmen Schichten wesentlich leichter zu sagen, ich mache mich schön, damit ich mal einen Mann abbekomme. Eine Akademikerin dagegen würde das eher nicht sagen.

Ist so eine Geheimnistuerei nicht anstrengend und ungesund?

Das Nervengift Botox wird zur Faltenglättung eingesetzt. So kann die Stirn für eine gewisse Zeit nicht mehr in Falten gelegt werden.

Das Nervengift Botox wird zur Faltenglättung eingesetzt. So kann die Stirn für eine gewisse Zeit nicht mehr in Falten gelegt werden.

(Foto: picture alliance / dpa)

Schönheitsoperationen an sich sind sehr schmerzhaft und anstrengend. Die Geheimhaltung und die Geschichten, die man sich ausdenken muss, um die Zeit der Abwesenheit zu erklären, können aufwendig sein. Die meisten Frauen vertrauen sich ja schließlich doch ihrer besten Freundin an oder lassen sich sogar von dieser begleiten. Zudem ist in einer Untersuchung festgestellt worden, dass sich vor allem Menschen, die jemanden kennen, der bereits "erfolgreich" einen schönheitsmedizinischen Eingriff vornehmen lassen hat, sich schließlich auch dafür entscheiden. Also, wirklich geheim bleiben die Eingriffe anscheinend doch meistens nicht.

Bisher haben hauptsächlich Frauen schönheitsmedizinische Maßnahmen in Anspruch genommen. Nun sollen die Männer aufholen. Können Sie das bestätigen?

Ich kenne diese Medienberichte und ich deute sie angesichts der Statistik, die ich sehe, als reine Öffentlichkeitsarbeit. Es geht dabei meines Erachtens darum, ein Gemeinschaftsgefühl aufzubauen, den Männern die Angst zu nehmen und sie so ins Boot der Schönheitschirurgie zu holen. Leider gibt es in Europa wenige unabhängige Statistiken über Schönheitsoperationen. In den USA ist die Datenlage dagegen sehr gut. Die Anzahl der Männer, die sich dort unters Messer gelegt hat, ist in den letzten Jahren wieder rückläufig. Im Jahr 2000 lag der männliche Anteil bei Schönheitsoperationen in den USA bei 11 Prozent, zehn Jahre später waren es nur noch 8 Prozent Männer, die sich für ein besseres Aussehen operieren ließen. Nichtsdestotrotz denke ich, dass der Körper für Männer in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen hat. Zu sagen, dass immer mehr Männer Operationen und andere Maßnahmen für besseres Aussehen in Anspruch nehmen, ist jedoch eine maßlose Übertreibung, solange nicht jemand unabhängige, evidenzbasierte Langzeitstudien vorlegt.

Das Aussehen, vor allem das von Frauen, entscheidet ja in unserer Gesellschaft immer mehr über gesellschaftliches Ansehen, Berufskarrieren und Einkommen. Gibt es denn tatsächlich so etwas wie Schönheitsstress?

Es gibt eine ältere, sehr gute Untersuchung, die durch alle sozialen Schichten geht, die besagt, vor allem Frauen zwischen 40 und 50 Jahren befinden sich in einer Art Schönheitsstress. Dafür wurden verschiedene Indikatoren, wie zum Beispiel, wie oft steigen sie auf die Waage, wie oft schauen sie in den Spiegel, etc. abgefragt. Aber auch die sensible Lebensphase der Pubertät, in der sich Menschen besonders mit ihrem Aussehen und besonders mit ihrem Körper beschäftigen, kann zu einer Phase von Schönheitsstress werden. Trotzdem wird diesbezüglich auch vieles übertrieben dargestellt. Denn nicht alle Menschen haben Stress wegen ihres Aussehens.

Fast alle Eingriffe für die Schönheit müssen nach einer bestimmten Zeit wiederholt werden. Sind sich die Menschen darüber bewusst?

Das kann ich nicht sagen, denn aus der Kostensicht wäre es sicherlich besser, wenn man sich mit seinem Aussehen arrangiert. Ich kann wirklich verstehen, dass es einen Menschen sehr beschäftigt, wenn Falten entstehen und die Hosen aus dem Vorjahr nicht mehr passen. Die Kunst besteht aus meiner Sicht jedoch darin, einen guten Umgang mit den körperlichen Veränderungen ab einem gewissen Alter zu finden und bestimmte Dinge auch einfach als Zeichen der Zeit anzusehen. Im besten Falle natürlich sollten die Falten wie Abzeichen getragen werden, auch wenn das in unserer Gesellschaft eine besondere Herausforderung ist.

Wie kann man denn zu diesem guten Umgang finden?

Jeder Mensch muss sich mit dem Thema Alter und Alterserscheinungen auseinandersetzen. Dabei ist es sehr hilfreich, sich mit wohlmeinenden Menschen zu umgeben, die nicht so körperfixiert sind. Eine Umgebung mit Menschen, denen das Aussehen ab einem bestimmten Alter nicht mehr das Wichtigste ist, kann sehr hilfreich und gleichzeitig heilsam sein.

Waltraud Posch

Waltraud Posch

(Foto: Foto Peklar, Hartberg)

Sollten Ihrer Meinung nach per Gesetz verboten werden? Dann dürften zum Beispiel Kindern mit Segelohren diese nicht mehr korrigiert werden.

Ich persönlich finde, es hat Sinn, strukturelle Regulierungen in Bezug auf Schönheitsoperationen zu treffen. Ich frage mich aber, warum manche medizinische Eingriffe legitimer erscheinen als andere. Warum soll es legitimer sein, einem Kind die Ohren mit Hilfe einer Operation anlegen zu lassen, als zum Beispiel einer Frau die Brüste zu vergrößern? Ich finde es auch sinnvoll, dass Schönheitsoperationen und Eingriffe dieser Kategorie nicht von Krankenkassen bezahlt werden, denn sonst gäbe es tatsächlich einen Boom in diesem Bereich. Die Gefahr, die ich darin sehe, ist: Je mehr Menschen einem gewissen Schönheitsideal entsprechen, umso weniger "normal" erscheint jemand, der diesem nicht entspricht. Natürlich kann es triftige Gründe für eine Schönheitsoperation geben. Daher sollte kein Mensch per se negativ bewertet werden, wenn er sich einem schönheitsmedizinischen Eingriff unterzogen hat.

Sollte ein Kind mit Segelohren Ihrer Meinung nach so bleiben, wie es ist?

Ein Kind leidet nur unter seinen Segelohren, wenn es deshalb gehänselt oder ausgelacht wird. Den Hänseleien wiederum liegen ja bestimmte Vorstellungen von Schönheit und Aussehen zugrunde. Doch woher kommen solche Vorstellungen? Ich habe das Gefühl, dass in unserer Gesellschaft immer mehr das Bild von schönen Menschen geschürt wird. Ich denke, auch von den Eltern oder von den Erwachsenen im näheren Umfeld wird viel zu schnell und viel zu häufig das Aussehen ihrer Kindern problematisiert. Kinder sind da mit ihrem Urteil wesentlich großzügiger, weil sie ja, wenn sie mit anderen Kindern zusammen sind, sowieso mit jeder Menge Unterschiede konfrontiert werden.

Mit Waltraud Posch sprach Jana Zeh

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen