"Akustische Tarnkappe" Kristalle sollen vor Erdbeben schützen
13.11.2013, 16:01 Uhr
Trotz modernster Messtechniken sind Erdbeben nur schwer vorherzusehen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Millionen von Menschen leben in ständiger Gefahr: Metropolen wie San Francisco, Tokio und Mexiko-City können jederzeit von schweren Erdbeben heimgesucht werden. Neue Materialien sollen Gebäude künftig vor der gefährlichen Naturgewalt abschirmen.
Neuartige Materialien mit mikroskopisch feinen Strukturen könnten bald vor Erdbeben schützen. Dies stellt der Materialwissenschaftler Martin Maldovan vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (US-Bundesstaat Massachusetts) in Aussicht. In einem Übersichtsartikel im Fachmagazin "Nature" berichtet er über neue Ansätze, mithilfe spezieller Kristalle und Kunststoffe mit Mikrostrukturen Schallwellen abzufangen oder zu verändern.
Zum Schutz vor Erdbebenwellen könnten Gegenstände eine Art "akustische Tarnkappe" erhalten. Dabei leitet eine geschickte Anordnung von winzigen Strukturen die Schallwellen um den Gegenstand herum. Im Experiment sei es bereits gelungen, eine 2-Euro-Münze fast vollständig von Schallwellen bestimmter Frequenzen abzuschirmen, schreibt Maldovan. Neben dem Einsatz als Schutzschild gegen Erdbebenwellen sieht Maldovan Möglichkeiten, mit Hilfe dieser Technologie Studios und Gebäude zu schallisolieren und allgemein Umgebungslärm zu neutralisieren.
Kristalle und Kunststoffe mit Nanopartikeln
In künstlichen Kristallen kann dieser besondere Frequenzbereich, die sogenannte Bandlücke (band gap), Schallwellen abfangen. Diese Bandlücke ergibt sich, wenn die Abfolge der Atome im Kristallgitter annähernd mit der Länge einer Schallwelle übereinstimmt. Die Wellen dieses Frequenzbereichs können den Kristall dann nicht durchdringen. Je nach Zusammensetzung des Kristalls ist dieser Frequenzbereich höher oder niedriger.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, Schallwellen so zu streuen, dass sie sich auflösen. Das gelingt mit Metamaterialien, die aus Stoffgemischen und winzigen, sich wiederholenden Strukturen bestehen. Um Schallwellen niedriger und hoher Frequenzen abzufangen, sind diese Materialien zusätzlich mit Nanopartikeln gespickt. Bei Metamaterialien können die Strukturen viel kleiner sein als die Wellenlängen, deshalb dürften sie zum Schutz gegen langgestreckte Erdbebenwellen zum Einsatz kommen, erklärt der Autor.
Schall wird zurückgeworfen
Verbesserte Anwendungen mit Ultraschall versprechen Maldovan zufolge akustische Dioden. Ähnlich wie bei elektrischen Dioden können die Schallwellen die akustische Diode nur in einer Richtung durchdringen. In der entgegengesetzten Richtung wird der Schall zurückgeworfen. Medizinische Geräte und zerstörungsfreie Materialprüfgeräte, die Ultraschall verwenden, könnten mit der akustischen Diode deutlich verbessert werden, schreibt der Wissenschaftler.
Bei sehr hohen Frequenzen, oberhalb von 100 Gigahertz, transportieren Schallwellen hauptsächlich Wärme. Materialien mit einer geringen Wärmeleitfähigkeit können diese Wärme in elektrischen Strom umwandeln. Maldovan prophezeit, dass in Zukunft solche Materialien die Körperwärme als Energiequelle für tragbare elektronische Geräte nutzen könnten.
Martin Maldovan vergleicht die Forschung zur Kontrolle von Schallwellen mit dem kontrollierten Einsatz von Elektronen: Daraus hätten sich die elektrischen Geräte und die digitale Revolution ergeben. Ebenso hätte die Nutzung elektromagnetischer Wellen – von Radiowellen über das sichtbare Licht bis zu Röntgenstrahlen – viele moderne Technologien möglich gemacht. Die Beeinflussung von Schallwellen könnte nach Auffassung des Wissenschaftlers zu ähnlich erfolgreichen Anwendungen führen.
Quelle: ntv.de, Stefan Parsch, dpa