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Irre oder medizinisches Novum? Neurochirurg will Kopf transplantieren

Es ist ein hochumstrittener Plan, schon in zwei Jahren soll er verwirklicht werden: Ein italienischer Arzt will einem todkranken Russen zu einem gesunden Körper verhelfen. Wie? Der Russe gibt seinen Kopf, ein hirntoter Mensch seinen Rumpf. Kann das gelingen?

Sergio Canavero hat Skandalöses vor. Oder ist es gar nicht skandalös, sondern sensationell und ein medizinischer Durchbruch? Der italienische Neurochirurg will einen Kopf transplantieren. Einem hirntoten Menschen will er den Kopf eines Menschen aufsetzen, dessen Körper todkrank ist. Profitieren sollen also beide: derjenige, der seinen Kopf spendet, ebenso wie derjenige, der den gesunden Rumpf dazugibt. Nur: Was für ein Mensch wäre das dann? Und: Hat eine solche Operation überhaupt Aussichten auf Erfolg?

Waleri Spiridonow muss für die Operation mehr als 11 Millionen US-Dollar zahlen.

Waleri Spiridonow muss für die Operation mehr als 11 Millionen US-Dollar zahlen.

(Foto: imago/ITAR-TASS)

Nein, sagen die meisten Fachleute. Ja, sagt Canavero. Er wäre der erste Arzt, der einen menschlichen Kopf verpflanzt. 2017 soll es so weit sein. Ein russischer Informatiker hat sich bereit erklärt, die waghalsige und ethisch durchaus umstrittene Operation über sich ergehen zu lassen. Er kam mit der seltenen Werdning-Hoffman-Krankheit auf die Welt. Der heute 30-Jährige leidet an schwerem Muskelschwund und hofft nun auf ein neues Leben mit einem gesunden Körper – dem Körper eines hirntoten Menschen.

Eine Million Nervenstränge verbinden

Wenn auf dem Rumpf ein anderer Kopf sitzt: Wer ist dann Spender, wer Empfänger?

Wenn auf dem Rumpf ein anderer Kopf sitzt: Wer ist dann Spender, wer Empfänger?

(Foto: imago/Science Photo Library)

Um das zu ermöglichen, müsste das Rückenmark der beiden Patienten so verbunden werden, dass der gesunde Körper in der Lage ist, Befehle des neuen Kopfes entgegenzunehmen. Gleichzeitig muss der Kopf die Empfindungen des neuen Körpers registrieren. Damit das gelingen kann, müssten eine Million Nervenstränge fehlerfrei miteinander verknüpft werden - "wie zwei dicht gepresste Packungen Spaghetti", heißt es im "New Scientist", der im Februar über Canaveros Pläne berichtete. Doch auf diesem Stand ist die Medizin noch gar nicht. Wäre sie es, könnte man Gelähmten das Gehen ermöglichen.

Entsprechende Experimente wurden bereits angestellt – mit Tieren. 1954 hatte man Kopf und Vorderbeine eines Hundes an das Hinterteil eines anderen Hundes verpflanzt. Das Tier lebte danach nur noch wenige Tage. 1970 dann erhielt ein Rhesusaffe den Kopf eines anderen Artgenossen. Doch das Immunsystem wehrte sich gegen den neuen Körperteil und stieß ihn ab. Außerdem konnte sich der Affe nach dem Eingriff nicht mehr bewegen. Er starb innerhalb einer Woche. Was Immunreaktionen anbelangt, ist die Transplantationsmedizin heute weiter als vor 45 Jahren. Aber reicht das?

Laufen lernen in einem Jahr

Der italienische Chirurg Sergio Canavero im Traumatologisch-orthopädischen Zentrum in Turin.

Der italienische Chirurg Sergio Canavero im Traumatologisch-orthopädischen Zentrum in Turin.

(Foto: dpa)

Canavero ist zuversichtlich, alle Nervenstränge korrekt verbinden zu können. Er will dafür eine bestimmte chemische Substanz in das Rückenmark injizieren: Polyethylenglycol. Das soll das Zusammenwachsen fördern, so Canavero. In Tierversuchen habe er diese Möglichkeit erprobt. Aber dass dabei tatsächlich genau das aneinanderwächst, was für ein reibungsloses Funktionieren des Körpers aneinanderwachsen muss, ist nicht gesagt.

Damit sich die neuen Körperteile nach der Operation ganz allmählich aneinander gewöhnen können, will der Neurochirurg den behandelten Patienten erst einmal frosten. Für mehrere Wochen will er ihn ins Koma versetzen und dabei stark herunterkühlen. Wie es dann weitergeht, darüber lässt sich wohl nur spekulieren. Canavero geht davon aus, dass der Patient nach dem Aufwachen in der Lage wäre, sich zu bewegen, sein Gesicht zu fühlen und mit der gewohnten Stimme zu sprechen. Dank Physiotherapie soll er innerhalb eines Jahres in der Lage sein, zu gehen.

Kritiker – und davon gibt es sehr viele – sprechen von einem höchst fragwürdigen Unterfangen, dessen Gelingen sie für äußerst unwahrscheinlich halten. Auch der Vergleich Canaveros mit "Dr. Frankenstein" ist bereits mehrfach gezogen worden. Canavero aber lässt sich davon nicht beirren. Im Juni will er sein Projekt bei der Jahreskonferenz der American Academy of Neurological and Orthopaedic Surgeons vorstellen. Unterstützung aus Fachkreisen ist aber nicht das Einzige, was ihm bislang fehlt. Noch ist völlig unklar, in welchem Land er die ungewöhnliche Transplantation überhaupt vornehmen darf. Die ethischen Hürden sind hoch. Letztlich geht es um eine kaum zu beantwortende Frage: Was macht einen Menschen aus?

Quelle: ntv.de, asc

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