Schockerlebnis am Südpol Scott trifft auf Amundsens Flagge
18.01.2012, 09:39 Uhr
Es sollte ein Augenblick des Triumphes werden, doch "das Schlimmste ist passiert".
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Es war eines der großen Dramen der Polargeschichte: Robert F. Scott will Erster am Südpol sein. Doch als der Brite am 18. Januar 1912 dort ankommt, sieht er eine norwegische Fahne im Wind wehen. Wenig später sterben Scott und seine Begleiter in Sturm und Kälte - kurz vor dem rettenden Lager.
Am Heiligen Abend 1917 hat sich Robert Falcon Scott mit seinen Männern im Basislager noch einmal richtig den Bauch vollgeschlagen. Pferdefleisch mit Zwiebeln und Curry-Pulver gab es, dazu Kakao mit Rosinen und - typisch britisch - Plum Pudding. Es dürfte einer der vielen Fehler gewesen sein, der dem Army-Captain aus Plymouth vor 100 Jahren im legendären Wettlauf um den Südpol den Sieg kostete - und wenig später das Leben.
Am 18. Januar 1912 erreichte Scott den südlichsten Punkt der Erde. Was er dort nach zweieinhalb Monaten zehrendem Marsch sah, war mehr als nur ein Schock: Ein Zelt und eine norwegische Flagge. Roald Amundsen, der zuerst vorgegeben hatte, er wolle zum Nordpol, war vor ihm da gewesen. "Das Schlimmste ist passiert", schrieb Scott in seinem Tagebuch, das in wesentlichen Auszügen in dem Buch "Scotts Last Expedition" veröffentlichte wurde. Und weiter: "Großer Gott, das ist ein furchtbarer Ort."
Schock fürs britische Empire
Das einst stolze und inzwischen langsam bröckelnde britische Empire war vom kleinen Norwegen empfindlich geschlagen worden. Scott, der Expeditionsleiter, überlebte die Niederlage nicht lange. Wohl am 29. März 1912 starb er an der Seite seiner letzten drei Begleiter im antarktischen Ross-Schelfeis an Hunger und Kälte - nur noch etwa elf Meilen (knapp 20 Kilometer) von einem rettenden Depot entfernt, wo ausreichend Nahrung und Brennstoff für die Heizgeräte wartete.
Es war eine unglückliche Verkettung von viel Pech und schweren Fehlern, die zum Scheitern der britischen Expedition führte. Vor allem die Wahl der Fortbewegungsmittel wird in der Polarforschung heute als schicksalhaft bezeichnet. Der Norweger Amundsen hatte auf Schlittenhunde und Skier gesetzt. Scott wollte dem Wettlauf mit Motorschlitten und sibirischen Ponys für sich entscheiden.
Eine "sinnlose Plackerei"
Doch die Ponys waren krank von der langen Anreise und machten früh schlapp. Auch die Motorschlitten taugten nichts. Das Materialdepot musste deshalb 50 Kilometer weiter nördlich angelegt werden, als eigentlich geplant. Den ursprünglich vorgesehenen Punkt hätte Scott auf dem Rückmarsch vom Pol erreicht. "Sir, Sie werden es noch bereuen, meinen Rat nicht anzunehmen", soll Scotts Rittmeister Lawrence Oates nach Angaben des Scott-Biografen David Crane gesagt haben. Der Pferdeexperte wollte lieber ein paar Ponys töten und das Lager weiter südlich anlegen. Später opferte er sein Leben, um das der anderen vier verbliebenen Südpol-Wanderer zu schützen.
Teilweise zogen die Expeditionsteilnehmer ihre Schlitten selbst. Der norwegische Polarexperte Frithjof Nansen bezeichnete dies später als "sinnlose Plackerei". Zu den Fehlentscheidungen Scotts, der bis zu seiner ersten Polarexpedition 1901 keinerlei Expeditionserfahrung gehabt hatte, kamen extremes Wetter: Polarstürme und Temperaturen bis minus 30 Grad Celsius hielten die Mannschaft oft in den Zelten.
Held oder Idiot?
Robert Falcon Scott wurde nach seinem Tod ungeachtet seiner schweren Fehler weltweit, aber vor allem in seiner britischen Heimat zunächst als Held verehrt. In Großbritannien wimmelt es noch heute von Scott-Denkmalen, etwa in der St.-Paul's-Cathedral, wo eine pompöse Trauerfeier mit König Georg V. für ihn veranstaltet wurde. Später verriss ihn die Polarwissenschaft als beratungsresistenten Stümper und Egozentriker, der seine Leute in den Tod trieb.
Scotts Enkel Falcon, der im vergangenen Dezember selbst in die Antarktis aufgebrochen war, findet das alles übertrieben. "Wir sind alle sehr stolz auf ihn und auf das, was er erreicht hat", sagte der Schotte dem "Daily Record". Die "Yorkshire Post" berichtet, die Diskussion gehe 100 Jahre nach der gescheiterten Expedition weiter: "War er ein Held oder ein Idiot?"
Forschung für Fortgeschrittene
Fast vergessen sind angesichts der Tragödie dagegen die wissenschaftlichen Leistungen des Polarforschers und seiner Truppe. Wetterstudien, Tierkunde und sogar die damals noch wenig fortgeschrittene Gletscherforschung betrieben die Männer quasi nebenbei. "Sie haben einen wirklich großen Beitrag zum Wissen über die Antarktis geleistet", sagte Elin Simonsson, Ausstellungsleiterin beim Naturhistorischen Museums in London, jüngst dem "Guardian". Dort öffnet am 20. Januar eine Ausstellung zu Scotts letzter Expedition.
Quelle: ntv.de, Michael Donhauser, dpa