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Krümel und Borschtsch unbeliebt Was und wie Raumfahrer essen

Schinkenriegel taugen nicht viel, Krabbencocktails stehen hoch im Kurs: Seit der einfachen Fleischpaste des ersten Fluges hat sich der Speisezettel der Raumfahrer sehr gewandelt. Nicht jeder Menüvorschlag schafft es an Bord - und zu viele trockene Kekse lassen die Stimmung sinken.

Endlich was Frisches: Der spanische ESA-Astronaut Pedro Duque isst nach der Landung mit einem Sojus-Raumschiff in der Steppe Kasachstans einen Apfel.

Endlich was Frisches: Der spanische ESA-Astronaut Pedro Duque isst nach der Landung mit einem Sojus-Raumschiff in der Steppe Kasachstans einen Apfel.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Wenn Raumfahrer zur Erde zurückkehren, greifen sie gerne zu einem Glas kalter Milch oder sprudelnder Limonade. Manche Astronauten mögen keinen Borschtsch, manche Kosmonauten keine Erdnussbutter. Die erste Mahlzeit im All datiert vom 12. April 1961: Damals nahm Juri Gagarin in seiner engen Kapsel etwas Fleischpaste und Kaviar zu sich, berichtet die Europäische Weltraumgantur ESA.

Toastscheiben hingegen sind an Bord von Raumfahrzeugen nicht gern gesehen, weil die Krümel in Nase und Luftfilter geraten können. Von Details wie diesen und vielen Geschichten rund um die Ernährung im All mehr berichtet NASA-Experte Charles Bourland in seinem "Kochbuch für Astronauten". Der deutsche Raumfahrer Reinhold Ewald kommt darin zwar nicht vor, erinnert sich aber an schlagartiges Völlegefühl und seinen persönlich wahrgenommen Überschuss an Brokkoli an Bord der Weltraumstation MIR.

Das Buch steckt voller weiterer Anekdoten und Erinnerungen. Außerdem listet es zahlreiche Rezepte zum Nachkochen auf, viele Zutaten sind im Supermarkt zu haben. Derart ausgestattet gewinnt der Leser einen gänzlich anderen Einblick in die Raumfahrt und kann seine Gäste zudem mit einem außergewöhnlichen Menü überraschen. Der Verlag weist seine Leser noch daraufhin hin, dass sich Liebhaber guten Essens durch den Speiseplan von langen Raumflügen abhalten lassen könnten – der einzige Nachteil, den das ungewöhnliche Buch haben könnte.

Der beliebteste Snack im All ist Krabbencocktail. Dieser werde weit häufiger gewählt als anderes Essen, berichtet Bourland. Er muss es wissen, schöpft er doch aus einem unvergleichlichen Erfahrungsschatz. Am NASA Johnson Space Center brachte er 30 Jahre damit zu, Astronautennahrung und die dafür passenden Packungen, Wasserspritzen und Heizvorrichtungen zu schaffen. Er begann seine Tätigkeit zur Zeit des Apollo-12-Programms und arbeitete bis zur Installation der Internationalen Raumstation (ISS).

Kosmische Menüs, kommerzielle Quelle

Eintopf ist auch im All eine prima Sache, sagt der deutsche Astronaut Reinhold Ewald. (Foto vom 20.1.1997 während des Trainings für das russische Sojus-TM-25-Weltraumprojekt in Russlands Raumfahrtzentrum Swjosdny Gorodok, deutsch: Sternenstädchen)

Eintopf ist auch im All eine prima Sache, sagt der deutsche Astronaut Reinhold Ewald. (Foto vom 20.1.1997 während des Trainings für das russische Sojus-TM-25-Weltraumprojekt in Russlands Raumfahrtzentrum Swjosdny Gorodok, deutsch: Sternenstädchen)

(Foto: picture-alliance / dpa/epa)

Warum gerade die Krebstiere? Ein Grund: Deren Fleisch übersteht das Entwässern und Wiederaufsaugen von Wasser bei der Zubereitung besonders gut, die ursprüngliche Textur des Mahls bleibe erhalten, notiert Bourland. Auch passten viele delikate Saucen zu den Krabben. Die Shrimps zeigen zudem, wie tief die NASA in die Essensproduktion einsteigt: Um alle denkbaren Verunreinigungen mit Mikroben auszuschließen, pellen und entdarmen Mitarbeiter die Shrimps noch vor dem Kochen. Die Tiere stammen aus kommerziellen Quellen, ebenso wie viele andere Bestandteile der kosmischen Menüs, die zum großen Teil gefriergetrocknet und in Plastik verpackt an Bord gelangen.

Einige der Rezepte sind zum Nachkochen abgedruckt. Beginnen sollte man dabei nicht unbedingt mit den Schinkenriegeln von Seite 35: "Schinken braten, bis er goldbraun ist, in einer Presse 10 Minuten bei 1,3 Tonnen Druck zu Barren formen, abkühlen lassen. Ergiebigkeit: größer als Sie wollen. Nach dem Probieren: den Rest dem Haushund geben." Trotz dieses verheerenden Urteils des Autors kamen die Riegel mit auf die Gemini-, Apollo- und Skylab-Missionen.

Kleine Kekse passen besser

Wesentlich beliebter sind Kekse. Die werden für den Flug ins All nur so groß gebacken, dass sie mit einem Mal und daher ohne Krümelei in den Mund passen. Denn: Krümel sollen die Luftfilter der Raumfahrzeuge nicht zusetzen, diese haben die lebenswichtige Aufgabe, gefährliche Mikroschwebstoffe aus der Luft zu holen. Auf den ersten Shuttle-Missionen beschwerten sich Astronauten noch über die Krümel zu großer Kekse, berichtet Bourland.

Bei der Entwicklung des Essens sind die NASA-Astronauten von Anfang an dabei. Die Helfer servieren ihnen die Speisen und notieren die Beurteilung der Probanden. Die urteilen auf einer Skala von eins ("extreme Ablehnung") bis neun ("extrem lecker"). Eine potenzielle Speise muss mindestens auf Rang sechs kommen, um überhaupt weiterentwickelt zu werden.

Mit dem Beginn der US-amerikanisch/sowjetischen Kooperation im Orbit prallten auch die Essgewohnheiten der beiden Blöcke aufeinander. Die Astronauten hätten sich kaum an den russischen Borschtsch gewöhnen können, eine Suppe mit Roter Beete. Die Kosmonauten wiederum mochten bei der Erdnussbutter nicht so recht zulangen. Aleksei Leonov, Mitglied der Apollo-Sojus-Mission von 1975, versuchte gar, diese Ikone des US-Frühstücksgedecks wieder auszuspucken, heißt es in dem Astronautenkochbuch.

"Eintopf ist eine prima Sache im All"

Nur 11 Deutsche haben die Erfahrung einer Mahlzeit im All gemacht. Zu ihnen zählt Reinhold Ewald, der vom 10. Februar bis zum 2. März 1997 zum Team der zweiten deutsch-russischen Mission MIR ’97 gehörte. "Eintopf ist eine prima Sache im All", sagt Ewald, der als Wissenschaftskosmonaut mit der russischen Sojus TM 25 zur Raumstation MIR flog, wo er 18 Tage blieb. Wenn er nicht gerade biomedizinische oder materialwissenschaftliche Experimente unternahm oder schlief, bereitete er sich Mahlzeiten nach einem strengen Plan zu.

"Russische Eintöpfe, von Soljanka über Gulasch bis zu Plow, waren recht beliebt", sagt Ewald. "Die wurden in Dosen zwischen zwei heißen Metallplatten erhitzt, aufgehebelt und mit dem Löffel gegessen." Heute speist Ewald bayerisch, im Columbus-Bodenkontrollzentrum der Europäischen Weltraumagentur ESA in Oberpfaffenhofen bei München. Dort ist er für die Organisation des Betriebs des europäischen Columbus-Labormoduls zuständig, das seit 2008 an die Internationale Raumstation ISS angedockt ist.

Probeessen am Boden

Amerikanischer Herkunft waren Teigpasteten mit Rindfleisch ("Beef Patty"), die nach dem Aufreißen der heißen Packung dazu neigten, Flüssigkeitstropfen in der Umgebung zu verteilen, ergänzt der deutsche Raumfahrer. Auch der Hitze wegen fasste er die Speise nur mit "einer diesen extrem trockenen, fluffigen Dinner-Rolls" an, wie sie in Amerika als Brot zum Essen gereicht werden. "Wenn man die auf die geöffnete Packung gepresst hat, haben die das ganze Wasser weggesogen, und man konnte das Patty durch die Roll anfassen und essen." Erlernt wurde dieses Verfahren erst im All, auf der Erde essen Astronauten zwar dasselbe Essen zur Probe, aber auf Tellern mit Messer und Gabel.

Ewald weist darauf hin, dass der Geschmackssinn im All verändert ist, womöglich weil sich mehr Wasser im Oberkörper, dem Kopf und damit auch in den Geschmackszellen der Zunge befindet, "ein Zustand vergleichbar mit einem Schnupfen". Das dämpfe den Geschmackssinn, womöglich spiele dabei aber auch die veränderte Atmosphäre in der Station eine Rolle. "Allgemein ergibt sich dadurch eine Tendenz zu einem eher flachen Geschmack. Wenn wir einen starken Geschmackseindruck haben wollten, haben wir zum mexikanischen Krabbencocktail gegriffen, dort war etwas Chili drin, der war immer zuerst weg."

Gefährlich: Skorbut auf dem Weg zum Mars

Besonders auf weiten Reisen durchs All, etwa zum Mars, baut der Organismus der Astronauten Knochen und Muskeln ab. "Dies sollte die Ernährung nicht noch verstärken", sagt Ewald. Auch drohe bei langem Aufenthalt ein Mangel an Vitaminen, etwa Vitamin C – ähnlich wie bei den Schiffstouren von Entdeckern wie Christoph Kolumbus. Wie damals könnten Mangelkrankheiten die Folge sein, besonders Vitamin C sei empfindlich gegen die energiereiche Weltraumstrahlung. Daher müsse es an Bord einen wirklich sicheren Medizinschrank für solche lebenswichtigen Substanzen geben.

"Das Thema Essen ist also nicht nur etwas für Gags oder eine Frage der Haute Cuisine, sondern wichtig für Langzeitmissionen." Je kürzer der eigene Raumflug ist, umso schneller schlingen die Astronauten das Mahl herunter: "Der Genuss ist kein Grund, sich auf‘s Essen zu freuen." Auf langen Flügen hingegen ist Abwechslung eine wichtige Frage der Psychologie. "Wenn Transporte zur ISS ausbleiben und die Besatzung auf trockene Kekse ausweichen muss, sinkt die Stimmung", berichtet Ewald. Dessen Kollege Thomas Reiter hatte ihm berichtet, wie er einmal auf Diät war – "er hatte dann überhaupt keine Aufhellung seines Tages".

Mit zunehmender Dauer des Fluges - etwa ab vier Wochen – wird die Abwechslung wichtiger, dann beeinträchtigt schlechtes Essen Stimmung und Arbeitsleistung. Brokkoli war eines der Gemüse an Bord der MIR, mit dem die Raumfahrer Kalzium zu sich nahmen. "Daher wurde ich zu zwei Tüten Brokkoli am Tag verurteilt." Das machte Ewald Probleme, weil der Magen in der Schwerelosigkeit erst spät merkt, was er schon alles intus hat. Auf der Erde sammelt sich der Nahrungsbrei dank der Schwerkraft im unteren Bereich des Organs, in der Schwerelosigkeit nicht. Erst wenn sich der Magen leicht kontrahiert, stößt er auf Widerstand, und der Astronaut ist schlagartig satt. "Ich hatte dann meist noch Brokkoli übrig."

Schinkenquadrate und Zuckerkekswürfel

Bourland berichtet in seinem unterhaltsamen Band nicht allein über das Essen selbst. Einer seiner Einschübe befasst sich mit Problemen beim russischen Zoll, der die Einfuhr von US-Astronautennahrung einmal mit einer hohen Gebühr belegen wollte. Weiteres Thema ist die Zusammenarbeit mit vielen Lebensmittelanbietern, die die NASA bei ihrer Arbeit unterstützten. Außerdem beschrieben wird der Test von Weinverpackungen bei Parabelflügen, bei denen es kurze Phasen der Schwerelosigkeit gibt. Schließlich die Frage nach dem ersten Menü auf dem Mond: Nach der Landung nahmen Neil Armstrong und Buzz Aldrin Schinkenquadrate, Pfirsich, Zuckerkekswürfel, Fruchtsaft und Kaffee zu sich.

Quelle: ntv.de, Thilo Resenhoeft, dpa

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