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Wann gestorben? Woran? Wer ist es? Wie das Wetter auf Leichen wirkt

Das war ein makaberer Scherz: Diese Moorleiche ist eine Schaufensterpuppe.

Das war ein makaberer Scherz: Diese Moorleiche ist eine Schaufensterpuppe.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Als vom 12. bis 15. April der ExtremWetterKongress in Hamburg stattfand, ging es nicht nur um Sturmfluten, Tornados und den Klimawandel. Auch Leichen kamen dort zur Sprache. Schließlich wirkt sich das Wetter immer auf den Menschen aus – egal, ob tot oder lebendig. Dr. Sven Anders, Facharzt für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Vortragender auf dem Kongress, erzählt im Gespräch mit n-tv.de, wie uns das Wetter beeinflusst – bis zum Tod und darüber hinaus.

n-tv.de: Herr Anders, was führt denn einen Rechtsmediziner, der für die Obduktion von Leichen zuständig ist, zum ExtremWetterKongress?

Sven Anders: Es gibt viele Bereiche, in denen unsere Arbeit vom Wetter beeinflusst wird: Zunächst einmal – ganz vordergründig – ist das Wetter eine mögliche Todesursache. Denken Sie zum Beispiel an Blitzschläge, umstürzende Bäume, an sehr große Hitze beziehungsweise Kälte oder an Naturkatastrophen. Bei diesen sind wir mitunter zur Identifizierung von Verstorbenen gefragt. So zum Beispiel nach dem Tsunami in Thailand.

Wie läuft denn so eine Identifizierung ab?

Deutsche Rechtsmediziner halfen 2004/05 bei der Identifizierung von Tsunami-Opfern in Thailand.

Deutsche Rechtsmediziner halfen 2004/05 bei der Identifizierung von Tsunami-Opfern in Thailand.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Gut zu bestimmen ist in solchen Fällen immer noch die Größe des Verstorbenen. Die ändert sich durch Wettereinflüsse nur graduell. Beim Gewicht wird es schon schwieriger. Schon allein der ursprüngliche Eindruck – ob jemand schlank oder eher dicker gewesen ist – ist je nach Wettereinfluss am Leichnam nur noch schwer nachvollziehbar. Mit besonderen Merkmalen, wie etwa Tätowierungen, kann man weiterkommen. Je nach Zustand des Leichnams kann man nach früheren Operationen schauen, und man kann Röntgenaufnahmen machen. Man könnte also schauen, ob jemand früher einen Bruch hatte. Man kann nach Implantaten wie etwa einem künstlichen Hüftgelenk gucken oder nach einem Herzschrittmacher. Solche Implantate haben teilweise Seriennummern und sind registriert. Man kann das Implantat also einem bestimmten Patienten zuordnen. Sehr häufig wird der Zahnstatus zur Identifizierung genutzt. Denn Zahn- und Zahnbehandlungsmuster sind sehr individuell. Diese Methode funktioniert besonders dann gut, wenn man schon eine konkrete Vermutung hat, um welche Person es sich bei dem Leichnam handeln könnte. Dann lässt sich ein Röntgenbild von den Zähnen mit einem zu Lebzeiten beim Zahnarzt entstandenen Röntgenbild vergleichen. Falls noch möglich, kann man auch Fingerabdrücke nehmen. Und sehr lange ist noch eine Identifizierung über die DNA möglich.

Kommen wir zurück auf die anderen Bereiche, in denen das Wetter für Ihre Arbeit eine Rolle spielt …

Das ist immer dann der Fall, wenn wir eine Todeszeitbestimmung für einen Verstorbenen vornehmen, der nicht in einem geschlossenen Raum bei konstanter Temperatur liegt. Denn die Methoden, die wir für die Bestimmung des Todeszeitpunktes verwenden, sind teilweise temperaturabhängig.

Welche Methoden sind das? Wie gehen Sie bei einer solchen Todeszeitbestimmung üblicherweise vor?

Rechtsmediziner sind immer gefragt, wenn unklar ist, woran ein Mensch gestorben ist oder wenn man nicht weiß, um wen es sich handelt.

Rechtsmediziner sind immer gefragt, wenn unklar ist, woran ein Mensch gestorben ist oder wenn man nicht weiß, um wen es sich handelt.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Stirbt ein Mensch, sinkt seine Körpertemperatur. Deswegen ist die Rektaltemperatur-Messung ein wichtiger Parameter, wenn man herausfinden will, wann die Person gestorben ist. Wenn es draußen regnet und weht und 15 Grad kühl ist, dann nimmt der Leichnam relativ schnell die Außentemperatur an. Dann können wir die Rektaltemperatur nicht mehr oder nur eingeschränkt für die Beurteilung der Leichenliegezeit berücksichtigen.

Gibt es denn neben der Temperatur nicht noch andere Größen, die Hinweise auf den Todeszeitpunkt liefern?

Doch, natürlich. Die Temperatur ist aber eine wichtige Säule. Darüber hinaus können die Totenflecken aufschlussreich sein, die Totenstarre, die Reaktion der Pupillen und die Reaktion der Muskulatur auf elektrische oder mechanische Reize. Es stehen uns mehrere Untersuchungsmethoden zur Verfügung. Dadurch grenzt sich der Todeszeitpunkt immer weiter ein.

Gibt es noch weitere Bereiche, in denen das Wetter für Ihre Arbeit eine Rolle spielt?

Einen noch: Das ist der Einfluss des Wetters auf die Sterblichkeit. Es ist ja bekannt, dass im Winter mehr Menschen sterben als im Sommer. Wenn man nun annimmt, dass wir kältere Winter und wärmere Sommer bekommen – was ja viele Wissenschaftler postulieren -, dann könnte das Einfluss auf die Verteilung der Sterbefälle übers Jahr nehmen, also darauf, wer wann stirbt.

Warum ist das so, dass in den kälteren Jahreszeiten mehr Menschen sterben?

Dieser Patient starb den plötzlichen Herztod. Ein roter Streifen im Herzgewebe beweist es.

Dieser Patient starb den plötzlichen Herztod. Ein roter Streifen im Herzgewebe beweist es.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Wenn zum Beispiel jemand eine Lungenerkrankung hat, ist das Risiko für eine Lungenentzündung für ihn höher – eben dadurch, dass die Lunge vorgeschädigt ist. Im Winter ist der Körper grundsätzlich geschwächt. Da gibt es auch mehr Infektionskrankheiten, mehr Erkältungen. Dementsprechend haben Menschen mit einer Vorschädigung auch das Risiko, eine schwerere Infektion zu bekommen. Gibt es im Winter einen relevanten Temperaturabfall, hat man kurz danach eine erhöhte Sterblichkeit.

Abschließend eine Frage abseits vom Wetter: Wie sieht Ihr beruflicher Alltag aus? Kommt eine Leiche nach der anderen auf den Obduktionstisch?

Nein, natürlich nicht. Wir stehen nicht die ganze Zeit im Sektionssaal. Unser Alltag besteht geschätzt zu 70 Prozent aus Schreibtischtätigkeit, und die restlichen 30 Prozent teilen sich auf in die Untersuchung von Verstorbenen, die Untersuchung von lebenden Personen und den Studentenunterricht.

Wie kommt man denn als Arzt überhaupt auf die Idee, ausgerechnet als Rechtsmediziner zu arbeiten?

Das war Zufall. Ich habe das weder geplant noch bin ich begeisterter Krimi-Leser. Aber es ist ein abwechslungsreicher Beruf.

Mit Sven Anders sprach Andrea Schorsch

Quelle: ntv.de

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