Frage & Antwort, Nr. 291 Haben Selbsttötungen Nachahmer-Effekte?
10.09.2013, 11:21 Uhr
Kurz nach Robert Enkes Suizid stieg die Zahl der Selbsttötungen an.
(Foto: picture alliance / dpa)
Ich habe gehört, dass es nach dem Suizid von beliebten Prominenten einen Anstieg von Selbstmorden in der Bevölkerung gibt. Stimmt das? Woran könnte das liegen? (fragt Sibylle M. aus Mönchengladbach)
"Eine solche Auswirkung gibt es tatsächlich", sagt die Professorin Barbara Schneider, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. "Dieses Phänomen hat sogar einen Namen. Es wird 'Werther-Effekt' genannt und bezieht sich auf die Auswirkungen nach der Romanveröffentlichung von Goethes Werk 'Die Leiden des jungen Werther' im Jahr 1774", erklärt die Fachärztin weiter. Damals hatte der Roman den Zeitgeist einer Generation getroffen und wurde zu einem großen Erfolg. Allerdings führte der "Freitod" des Protagonisten am Ende des Romans zu einer Welle von Suiziden und Suizidversuchen.

An der Golden Gate Brigde stehen 1558 Paar Schuhe symbolisch als Mahnmal für die Suizid-Opfer, die bis 2003 von der Brücke gesprungen sind.
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Eindeutig zu beobachten war ein "Werther-Effekt" in der jüngeren Zeit vor allem nach dem Bekanntwerden der Selbsttötung Robert Enkes. "In den zwei Wochen nach dem Suizid des beliebten Fußballtorhüters hat es einen spürbaren Anstieg von Schienen-Suiziden gegeben", weiß Schneider. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von vier Mal so vielen Toten wie sonst. Der an Depressionen leidende Robert Enke hatte sich am 10. November 2009 vor einen fahrenden Zug geworfen.
Zahlen sprechen Bände
Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden bestätigte damals die Vermutungen von steigenden Suiziden rund um die Selbsttötung Enkes mit seinen Zahlen. So gab es im November 2009 die höchste Steigerungsrate an Suiziden im Jahr. Insgesamt stieg die Zahl an Selbsttötungen im Todesmonat von Enke um rund 15,5 Prozent, im ganzen Jahr aber lediglich um insgesamt 1,3 Prozent oder 120 Fälle. Der Suizid des Torwarts beziehungsweise die Berichterstattung darüber hat also tatsächlich eine Reihe von Nachahmern gefunden.
Als Gründe für einen Werther-Effekt werden mehrere Dinge genannt. So konnte bereits beobachtet werden, dass beispielsweise die Zahl der Nachahmer mit der Prominenz des bekannten Suizidenten ansteigt. Auch die Art und Weise der Berichterstattung scheint eine Rolle bei denen zu spielen, die sich auf Grundlage eines "Vorbildes" das Leben nehmen. Forscher fanden heraus: Je mehr Details über die Selbsttötung eines Prominenten bekanntwerden, umso größer werden die Risiken, einen Dominoeffekt loszutreten. Aus diesem Grund hat der Deutsche Presserat die Medien in Deutschland zur Zurückhaltung bei der Berichterstattung über Suizidenten angehalten.
Doch nicht nur die Berichterstattung über die Selbsttötung von Prominenten, sondern auch die Informationen über Selbsttötungsmethoden führen zu mehr Suiziden. Bereits in den 1950er Jahren wurde nach der Berichterstattung über tödliche Vergiftungen mit einem bestimmten Pflanzenschutzmittel eine Zunahme an Suiziden mit eben diesem Mittel beobachtet. Es bedarf also nicht nur "Vorbildern", um einen "Werther-Effekt" auszulösen. Schon die Information über Art und Weise eines Suizids reichen aus, um Nachahmer zu aktivieren.
Übrigens: Als Reaktion auf die zahlreichen Suizide und Suizidversuche wurde Goethes Roman "Die Leiden des jungen Werther" kurz nach der Veröffentlichung als "Empfehlung zum Selbstmord" in vielen Städten des Landes verboten. In Leipzig wurde das Verbot bis 1825 aufrechterhalten.
Quelle: ntv.de