Frage & Antwort

Frage & Antwort, Nr. 233 Macht Zucker abhängig?

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Hier dürfte das rechte Maß bereits überschritten sein ...: Tortenwettessen in New York.

(Foto: REUTERS)

Je mehr Süßes ich esse, umso weniger komme ich davon los. Kann es sein, dass Zucker abhängig macht? (fragt Simone W. aus Schramberg)

Diese Frage stellten sich 2008 auch Forscher der US-amerikanischen Universität Princeton. Um eine Antwort zu finden, experimentierten sie mit Ratten. Über Wochen hinweg ließen sie die Tiere erst zwölf Stunden hungern, um ihnen dann eine Zuckerlösung anzubieten. Die Ratten waren schließlich ganz wild auf diese Mahlzeit. Sie tranken die Lösung in immer größeren Mengen. Und nicht nur das. Als sie sich nach einem Monat wieder normal ernähren sollten, ohne Zucker, zeigten die Nager deutliche Entzugserscheinungen. Sie zitterten, waren unruhig, ängstlich und verhaltensgestört. Auch ihre Gehirne wiesen suchttypische Veränderungen auf.

Damit scheint die Sache klar und die Frage beantwortet zu sein. Oder? Rainer Spanagel, Drogenforscher am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, glaubt, "dass diese Befunde aus Amerika in Bezug auf eine Zuckersucht auch für den Menschen gelten können." Denn Spanagel hat die Erfahrung gemacht, dass Tierversuche im Suchtbereich sehr gut auf den Menschen übertragbar sind. Aber nicht jeder sei betroffen. Schließlich essen manche Menschen kaum Süßes. Und ein gelegentliches Naschen gilt als völlig unbedenklich.

Wir fühlen uns belohnt

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Wohltuende Belohnung, manchmal sogar Liebesersatz: Kein Wunder, dass viele Menschen am Zucker kleben.

(Foto: REUTERS)

So erklärt auch Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke gegenüber n-tv.de: "Beim Menschen gibt es keine Belege dafür, dass Zucker ihn tatsächlich süchtig machen könnte, dass er also immer mehr davon braucht und Entzugserscheinungen bekommt, wenn kein Zucker zur Verfügung steht." Sehr wohl aber ist, wie die Professorin hinzufügt, "Süßes und Fettiges – in der Kombination also zum Beispiel Schokolade – in der Lage, das Belohnungssystem im menschlichen Gehirn zu aktivieren."

Essen wir Zucker, kann das nämlich die Produktion des Glückshormons Serotonin ankurbeln. Ein Griff in die Süßigkeiten-Schublade, und schon fühlen wir uns besser. Wir meinen, dass wir uns etwas Gutes tun, wenn wir Zucker zu uns nehmen. Doch mit einer Sucht hat das, so Klaus, wenig zu tun."Zucker ist etwas anderes als eine Droge", sagt die Expertin. "Er ist normaler Bestandteil der Ernährung, und Glucose ist der Brennstoff für das Gehirn. Darauf muss man nicht komplett verzichten."

Zucker ersetzt Liebe

Warum aber kommen viele von zuckerreicher Nahrung so schwer los? "Da sind psychologische Mechanismen am Werk, für die Selbstbelohnung eine Rolle spielt", sagt die Wissenschaftlerin. Und sie konkretisiert: "Kinder werden oft mit Süßigkeiten belohnt, und umgekehrt werden ihnen die Gummibärchen vielleicht verweigert, wenn sie mal nicht brav waren." Die Folgen sind fatal: "Für die Kinder", erklärt Klaus, "ist Süßes dann gleichbedeutend mit elterlicher Liebe und Zuwendung. Dieser Prozess kann auch im Erwachsenenalter noch wirken. Da schenkt man sich selbst Süßigkeiten und stellt damit das Gefühl des Geliebtseins wieder her."

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Vier Esslöffel am Tag sind erlaubt. Doch wo steckt wie viel Zucker drin?

(Foto: picture alliance / dpa)

Dass der Drang nach Süßem groß sein kann, ist vor diesem Hintergrund verständlich. Und da ist noch ein zweiter verhängnisvoller Mechanismus: Zucker in seiner leicht verdaulichen Form wird sehr schnell vom Körper resorbiert. Der Blutzuckerspiegel steigt, und so setzt der Organismus die Gegenreaktion in Gang: Er schüttet Insulin aus. Erhöht sich der Blutzuckerspiegel sehr schnell, wird aber unter Umständen sehr viel Insulin ausgeschüttet - zu viel, womöglich. Dann fällt der Blutzuckerspiegel noch unter seinen Normalwert ab. Wir fühlen uns unterzuckert, werden zitterig und fürchten, gleich umzukippen. Dagegen hilft nur eines: Essen. Fällt die Wahl auf Süßes, geht der Prozess von vorne los.

Um das zu verhindern, sollte man Kohlehydrate in Form von Vollkornprodukten zu sich nehmen. Die werden im Darm langsamer aufgespalten, und die Glucose wird langsamer absorbiert. Starke Ausschläge im Blutzuckerspiegel gibt es dann nicht. Folglich funktioniert die Regulation durch das Insulin besser, und plötzliche Hungerattacken bleiben aus.

Lieber Schorle als Saft

Zucker schadet also nicht nur den Zähnen. Rund 60 Prozent unserer Nahrung, so die Empfehlung von Ernährungswissenschaftlern, sollten Kohlehydrate sein. Dazu gehört auch Zucker. Doch er sollte einen Anteil von maximal 20 Prozent der verzehrten Kohlehydrate nicht übersteigen. Im Klartext heißt das: Bei 300 Gramm Kohlehydraten am Tag sind 60 Gramm Zucker erlaubt. Das sind ungefähr vier Esslöffel. Die sind schnell erreicht, wenn man bedenkt, in wie vielen Lebensmitteln Zucker enthalten ist: in Salami etwa, Salatsaucen, Ketchup – und natürlich auch in Säften. "Wenn Sie einen Liter Apfelsaft trinken", warnt Klaus daher, "haben Sie schon hundert Gramm Zucker zu sich genommen." Die empfohlene Menge ist dann also bereits mit dem Getränk weit überschritten - den Kuchen vom Nachmittag noch gar nicht mitgerechnet …

Allgemein ist die Tagesdosis an Zucker bei den Deutschen viel zu hoch. Pro Kopf verbrauchen wir im Durchschnitt jedes Jahr 35 Kilo von dem Süßmacher. Das sind am Tag rund 100 Gramm. Da ist Verzicht gefragt. Doch was geschieht dann mit unserem Belohnungszentrum? Ganz einfach: Das lässt sich auch ohne Schokoriegel aktivieren. "Es müssen nicht Lebensmittel sein", sagt Klaus. "Es gibt ja auch andere Dinge, die einem Freude bereiten."

Quelle: ntv.de

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