Frage & Antwort, Nr. 24 Warum "versinken" Städte?
08.03.2007, 13:24 Uhr
Das durch einen Vulkanausbruch zerstörte und verschüttete Akrotiri.
"Warum sind Altertümer wie z.B. Städte 'versunken' und müssen ausgegraben werden? Liegen unsere heutigen Städte in 1000 Jahren unter einer meterdicken Erdschicht? Und warum?" (fragt Jo Dinslage aus Frankfurt)
Das sind ja eher zweieinhalb Fragen. Beginnen wir also mit der ersten: Warum "versinken" Altertümer? Mit anderen Worten: Warum liegt das Bodenniveau an manchen Orten (durchaus nicht überall) heute erheblich höher als es vor Hunderten oder Tausenden von Jahren lag? Wer oder was ist "schuld" am "Versinken" alter Stätten?

Vereinfachte Darstellung der beschriebenen Vorgänge: Ein Flusstal vor tausend Jahren (1), die wichtigsten Erosionsvorgänge (2), dasselbe Tal heute (3). Die Bergsiedlung links ist durch Hangerosion spurlos verschwunden, vielleicht finden sich am Hang noch ein paar Scherben. Das Bodenniveau im Flußtal, wie auch im Hochtal rechts ist durch herabgewaschenes Erdreich stark erhöht, die Fundamente der alten Dörfer sind unter der Erde gut erhalten. Im Tal hat der Fluß zwar ein paar Fundamente beschädigt, aber die Entwicklung der Stadt hat zum Erhalt vieler Reste tief unter der jetzigen Oberfläche geführt.
Eine Teilschuld trägt die Erosion der Landschaft. Durch Regen, Fließwasser und Wind wird Erde und Gestein aus höheren Lagen, von Hügeln und Hängen, abwärts gewaschen und getragen. Die Erosion ist ein kontinuierlicher Prozess, der auch heute noch stattfindet. Und obwohl meist ein langsamer Vorgang, führt die Erosion auf lange Sicht zu großen Veränderungen: Die heutige Oberfläche an Hängen liegt in der Regel unter dem Niveau vergangener Tage, wogegen sie in Tälern und Ebenen in der Regel erheblich angestiegen ist. Dementsprechend befinden sich die Überreste längst vergangener menschlicher Aktivität im Tiefland oft tief unter dem heutigen Boden, wogegen Überreste gleichzeitiger Siedlungsstätten an den Hängen oft mehr oder weniger vollständig verschwunden sind. In Ausnahmefällen kann ein natürliches Versinken auch erheblich schneller und spektakulärer stattfinden - durch vulkanische Aktivität.
"Eine große Schuld an den Bodenveränderungen trägt aber auch der Mensch", sagt Heinrich Hall. Viele Veränderungen seien "anthropogen", also vom Menschen verursacht, und zwar manchmal bewusst und manchmal unbewusst, erklärt der stellvertretende Direktor des Irischen Instituts für Hellenische Studien in Athen. "Auf dem Lande führt die Landwirtschaft im Allgemeinen zu einer stärkeren Erosion. Das Pflügen von Feldern senkt das Erdniveau in vielen fruchtbaren Gebieten langsam aber stetig, wogegen das Terrassieren von Hängen es künstlich hebt."
Ein Haus auf den Resten des Vorgängers
Noch viel intensiver sind laut Hall aber die Veränderungen des Bodenniveaus in unseren Städten. "Bedenken wir, dass viele Städte weit über tausend Jahre alt sind, dass ihre Infrastruktur, wie Kanalisation, Müllabfuhr, jeglicher motorisierte Transport etc. aber eher jung ist. Früher war es normal, dass nicht nur Haushaltsabfälle schlicht und einfach vergraben wurden, sondern auch Bauschutt. Wenn ein Stadthaus, vor allem in einer der schwer zugänglichen, verschachtelten Innenstädte, ersetzt wurde, egal, ob man es abgerissen hatte, oder ob es einem Brand oder einem sonstigen Unglück zum Opfer gefallen war, wurden seine Reste in der Regel, soweit nicht wiederverwendbar, schlicht und einfach niedergelegt und hartgestampft; das so entstandene erhöhte Erdniveau wurde oft durch zusätzlich herbeigeschafften Lehm oder Sand "nivelliert" also weiter erhöht.

Heinrich Hall, hier als archäologischer Führer auf Kreta.
So kommt es, dass noch stehende alte Bauten, z.B. viele Kirchen, tiefer als die heutigen Straßen liegen. In sehr alten Städten, wie Athen, können solche Bodenveränderungen über die letzten 2500 Jahre durchaus mal 10 Meter erreichen.
Dasselbe Phänomen lässt sich auf fast jeder innerstädtischen Straßenbaustelle beobachten. Wenn eine Straße eine neue Oberfläche braucht, wird die zuletzt benutzte Straßendecke häufig nicht abgefräst. Stattdessen wird einfach eine neue Schicht Asphalt oder Pflaster auf die vorige gelegt. Sehen Sie selbst nach, wenn das nächste Mal in Ihrer Straße Rohre verlegt werden ? fast immer können sie mehrere Vorgängeroberflächen erkennen.
Und: Werden die heutigen Städte auch einmal versinken?
"Nein", sagt Hall. "In tausend Jahren werden unsere Städte voraussichtlich eher nicht metertief versunken sein." Warum? "Weil moderne Bauten nicht auf den eingestampften Fundamenten ihrer Vorgänger stehen, sondern oft selbst so tiefe Fundamente aufweisen, dass jegliche Reste älterer Bebauung vollständig entfernt werden müssen (in tausend Jahren wird sich Stadtarchäologie also kaum lohnen), weil unsere Abfälle außerhalb der Städte verarbeitet, vernichtet oder gelagert werden. Kurz, weil der oben beschriebene menschliche Vorgang, im Gegensatz zu dem natürlichen, nicht mehr im selben Maße stattfindet."
Quelle: ntv.de