Fundsache, Nr. 357 Lanzettfischchen - Bote aus der Urzeit
24.06.2008, 13:22 UhrWer noch nichts vom Lanzettfischchen gehört hat, muss sich deshalb nicht sonderlich grämen. Das fahlweiß-durchsichtige, etwa acht Zentimeter lange Tier liegt meist im Sand der flachen Küstenwasser versteckt und strudelt mit feinen Tentakeln am Vorderende Nahrungsteilchen in sich hinein. Es hat keinen deutlich sichtbaren Kopf, kein echtes Herz, keine Blutkörperchen. Und obwohl es Flossensaum, Kiemen und einen sehr missverständlichen Namen besitzt, zählt das an beiden Enden spitzzulaufende Tier nicht zu den Fischen. Als eines der merkwürdigsten Lebewesen beschäftigt es die Forscher bereits seit langer Zeit. Nun gibt der Blick auf das Genom der Lanzettfischchen-Art Branchiostoma floridae einen Blick auf die Urzeit der Wirbeltiere frei – und zeigt, dass diese im Laufe ihrer Evolution viele ihrer Gene kopiert statt neu erfunden haben.
Vorfahre der Wirbeltiere
 Lanzettfischchen haben einen steifen, hohlen, stützenden Stab im Rücken, die Chorda dorsalis. Sie findet sich etwa dort, wo der Mensch und die übrigen Wirbeltiere ihre Wirbelsäule tragen. Dieser Stab gibt einem ganzen Tierstamm, den Chordatieren, ihren Namen. Dazu zählen die Manteltiere, die Lanzettfischchen („Schädellose“) und die Wirbeltiere. Diese drei hatten vor etwa 550 Millionen Jahren vermutlich den letzten gemeinsamen Vorfahren, schreibt eine große internationale Forschergruppe um Daniel Rokhsar von der Universität Kalifornien in Berkeley (USA) im Journal „Nature“.
Und der könnte in etwa so ausgesehen haben wie das unscheinbare Lanzettfischchen heute. Das Tier wird seinem Ruf als Bote aus der Urzeit damit einmal mehr gerecht. Sein Erbgut umfasst auf 19 Chromosomen- Paaren etwa 520 Millionen Bausteine, beim Menschen sind es knapp sechsmal so viele (3,2 Milliarden). Der Mensch hat der Untersuchung zufolge aber nur ein Viertel mehr Gene als das kleine, unscheinbare Meereslebewesen.
Altes Erbe
 Einige Bereiche in den nicht-codierenden Regionen des Erbgutes sind bei Mensch und Lanzettfisch weitgehend gleich – ein Erbe, das die Vorfahren des Menschen seit insgesamt einer halben Milliarde Jahren mit sich herumtragen. Dies sind die ältesten bislang durch einen solchen Vergleich gefundenen Regionen, schreibt das Team um Rokhsar. Er geht davon aus, dass sich das Genom des ursprünglichen Lanzettfischchens später durch zwei Verdoppelungen vervierfacht hat. Diese Vermehrung des genetischen Materials lieferte genügend neue DNA, um daraus die Gene für Skelett-formende Zellen, ein größeres Gehirn, ein feiner organisiertes Nervensystems und das Hormonsystem der heute viel höher entwickelten Tiere abzuleiten.
Eine Frage der korrekten Steuerung 
 Beim Vergleich mit anderen lebenden Tieren, etwa den ebenfalls sehr urtümlichen Fischen Neunauge und Schleimaal, zeigte sich eine weitere Besonderheit. Besonders oft sind über die Jahrmillionen solche Erbanlagen erhalten geblieben, die bei der Entwicklung hin zum erwachsenen Tier und bei der Regulierung anderer Gene eine Rolle spielten. Offensichtlich war es eine der Hauptaufgaben der frühen Chordatiere, ihre neu gewonnenen Gene sinnvoll zu organisieren und ins Konzert der bestehenden Erban lagen einzubinden. Die viel komplizierteren Wirbeltiere von heute hätten nicht besonders viele neue Gene erfunden, um kompliziert zu werden, ergänzt Co-Autorin Linda Holland, Biologin an der Scripps Institution of Oceanography in San Diego (US-Staat Kalifornien). Das Lanzettfischchen zeige, dass Wirbeltiere alte Gene neu kombiniert sowie ihre Funktion und Steuerung verändert hätten.
Quelle: ntv.de