Fundsache

Fundsache, Nr. 77 "Mega-Ausgrabungen" in Köln

Viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse, etliche Überraschungen und einige archäologische "Kollateralschäden": So lautet die Halbzeitbilanz bei der Mega-Ausgrabung in der Kölner Innenstadt. Seit gut zwei Jahren wühlen sich U-Bahn-Bauer auf einer neuen Trasse vier Kilometer weit vom Dom längs des Rheins in den Süden der historischen Stadt - zumeist unter den Resten aus zwei Jahrtausenden Siedlungsgeschichte hindurch. Doch überall dort, wo Bahnhöfe und Versorgungsschächte die Fundschichten durchstoßen, sind die Wissenschaftler mit Schaufeln, Kellen und Pinseln gefragt.

Mit rund 30.000 Quadratmetern Ausgrabungsfläche und etwa 150.000 Kubikmetern fundträchtiger Kölner Erde, die akribisch durchsucht werden, sei das Arbeitspensum rund ein Drittel größer als ursprünglich geplant, beschreibt Projektleiter Marcus Trier (44) die Herkules-Arbeit, die neben dem Athener U-Bahnbau und der Ausgrabung des Grand Louvre in Paris zu den größten Innenstadt-Grabungen des Kontinents gehört. Glücklicherweise sei durch gute Kalkulation trotz der Mehrarbeit das 15-Millionen-Euro-Budget der Grabung ziemlich genau einzuhalten, auf der rund 100 Ausgräber arbeiten.

Einige Fundschichten mussten zur Stabilisierung des Bahn-Schachtes mit Kalkmilch verbacken werden und gingen damit für die Wissenschaft verloren. Auch Bohrungen durch die römische Stadtmauer waren unvermeidbar. Dies seien archäologische Niederlagen und "Kollateralschäden" des gewaltigen Unternehmens, sagt Prof. Hansgerd Hellenkemper als Chef der Kölner Bodendenkmalpflege. Mit einem kleinflächigen und daher komplizierten Ausgrabungspuzzle habe man unter anderem auf den Platzbedarf von Karnevalszügen Rücksicht nehmen müssen. Auch der Mangel an qualifizierten Ausgrabungsfirmen, "die durch die schlechte Zahlungsmoral der öffentlichen Hände in Deutschland kaputt gegangen sind", habe sich hinderlich auf das Köln-Projekt ausgewirkt, sagt Hellenkemper. Die Funde werden nach Schätzung der Archäologen zum Abschluss der Grabungen Ende 2009 etwa 10.000 Kisten füllen.

Unzählige Amphorenscherben werden dabei sein. Ihre Aufschriften, die als Glücksfall im römischen Hafenschlamm erhalten blieben, belegen die Lieferung marokkanischer Fisch-Sauce in spanischen Krügen an den Niederrhein. Sie künden ebenso von funktionierenden Wirtschaftsbeziehungen wie die Tonnen von Austernschalen in der Nähe. Zwischen den hölzernen Resten einer Schreibtafel-Fabrikation der Römer lag im Schlick sogar ein menschliches Skelett, "vielleicht ein Armengrab". So profitiert die Wissenschaft heute davon, dass die römischen Kölner ihren Hafen ab der Mitte des ersten Jahrhunderts zunehmend als Müllkippe nutzten. Eine mittelalterliche Kamm-Werkstatt und der bisher "einzigartige Fund" einer Bergkristall-Schleiferei des 12. Jahrhunderts nahe dem Dom künden von Köln als der "Boom-Town" im Europa des Mittelalters.

Im Süden der Stadt überrascht ein antikes Gräberfeld, auf dem statt der erwarteten Dutzend Gräber nun - unter der schützenden Erdschicht preußischer Wallanlagen - bis zu 300 Bestattungen lokalisiert wurden. Für Hochachtung sorgt schließlich bei den Ausgräbern eine um das Jahr 17 nach Christus aus drei Schichten Holz und Kies sorgfältig gebaute Nebenstraße der römischen Vorstadt. Diese für Kölns bewegte Stadtgeschichte sehr alte Entdeckung zeige, "wie schnell und gründlich und unter welch hohem zivilisatorischen Aspekt" die Römerstadt nach genau gezirkelten Katastern schon früh entwickelt worden sei, meint Hellenkemper.

So wundert es auch kaum, dass sich Roms Statthalter am Rhein einen eigenen Entenfänger geleistet hat: Auf dessen dem Jupiter Maximus gewidmeten Weihestein des frühen 3. Jahrhunderts sind die Ausgräber pünktlich zum Martinstag 2005 gestoßen.

Von Gerd Korinthenberg, dpa

Quelle: ntv.de

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