Langzeitexperiment bringt Beweise Süßwasserpolyp altert nicht
10.12.2015, 10:10 Uhr
Der Süßwasserpolyp Hydra ist nicht einmal einen Zentimeter groß.
(Foto: MPIDR)
Die meisten Menschen wollen lange leben, ohne dabei zu altern. Was sich wie ein unmöglicher Wunsch anhört, gelingt einem Wasserwesen, das im Labor fast zehn Jahre lang beobachtet wird.
Die Annahme, dass alle mehrzelligen Lebewesen altern, ist falsch. Das können Forscher des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock belegen. Sie untersuchten über den Zeitraum von knapp zehn Jahren den Süßwasserpolypen Hydra und stellten fest, dass seine Sterblichkeit dauerhaft extrem niedrig ist.
Die Ergebnisse der Langzeitstudie stellen die bisherigen Theorien zur Evolution des Alterns in Frage. Bisher war man davon ausgegangen, dass für die meisten Arten die Wahrscheinlichkeit, in einem bestimmten Lebensjahr zu sterben, im Laufe des Lebens ansteigt. Der damit verbundene körperliche Verfall gilt für Hydra aber nicht. Die Evolution scheint für diesen Süßwasserpolypen einen Weg gefunden zu haben, dem Altern zu entkommen.
Die MPIDR-Forscher halten und versorgen für ihre Untersuchung seit März 2006 rund 1800 der kaum einen Zentimeter großen Wassertierchen mit den dünnen Tentakeln. Sie schufen dafür künstliche Bedingungen im Labor ohne Todesgefahren, wie zum Beispiel Fressfeinde. Jedes Tier lebt in seiner eigenen Glasschale getrennt von den anderen Polypen in einem natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus mit konstant 18 Grad Celsius. Dreimal pro Woche werden die Polypen aufwendig gefüttert. Sie bekommen dann exakt die gleiche Menge an Nahrung. Winzige Krebstierchen werden von zahlreichen Wissenschaftlern und Hilfskräften mit hauchdünnen Pipetten direkt in die kaum sichtbaren Fangärmchen gelegt. Seit Studienbeginn vermehren sich die Polypen, die in Temperatur-Schränken im Keller des Instituts leben, asexuell, indem sie Ableger ausknospen. Die Nachkommen bekommen ihre eigene Glasschale und werden ebenfalls durchgefüttert.
Auf diese Weise kamen bisher mehr als 3,9 Millionen Hydra-Beobachtungstage zusammen. Die Forscher stellten dabei im Schnitt fünf Sterbefälle im Jahr fest. Die meisten davon waren Laborunfälle. Entweder blieben die winzigen Tiere an den Deckeln ihrer Glasschalen kleben und vertrockneten oder sie fielen aus Versehen auf den Boden. Aus den wenigen natürlichen Toden berechneten die Forscher die Sterblichkeit der Hydra.
Sie liegt konstant bei niedrigen 0,6 Prozent. Im Vergleich dazu beträgt sie bei Menschen für hohe Lebensjahre bis zu 50 Prozent. Nur bei Erwachsenen zwischen 20 und 30 Jahren kann man einen Wert ermitteln, der dem der Hydra ähnlich ist. Mit einer so niedrigen Sterbewahrscheinlichkeit würden selbst mehrere Forscherleben nicht ausreichen, um das Ende einer Polypengeneration zu beobachten. Selbst nach 500 Jahren wären noch fünf Prozent des Jahrganges am Leben. In zwei der zwölf untersuchten Hydra-Gruppen war das Sterberisiko so gering, dass es 3000 Jahre dauern würde, bis nur noch fünf Prozent der Tiere leben.
Mechanismen zum Jungbleiben
"Hydra schafft es anscheinend, ihren Körper jung zu halten, ohne - wie andere Lebewesen - Schäden und Mutationen anzuhäufen und dadurch letztlich zu vergreisen", sagt der Rostocker Biodemograf Alexander Scheuerlein. Wahrscheinlich sei den Polypen eine besondere Strategie der Selbsterhaltung möglich, da ihre Körper und zellulären Prozesse recht einfach seien, mutmaßt der Wissenschaftler.
Hydra ist in der Lage, zerstörte oder verloren gegangene Körperteile vollständig zu ersetzen. Sogar aus einem fast komplett zerstörten Körper kann sich der Polyp wieder vollständig regenerieren. Das ist möglich, da der Anteil an Stammzellen, aus denen sich jedes beliebige Körperteil neu bilden kann, besonders hoch ist.
Und noch ein Aspekt ist wichtig: Da sich alle Zellen des kleinen Hydra-Körpers innerhalb von vier Wochen vollständig erneuern, hat das Tier zudem die Möglichkeit, durch Mutation veränderte Zellen regelmäßig abzustoßen, so dass sich schadhafte Zellen gar nicht erst im Körper ansammeln können.
Quelle: ntv.de, jaz