Die Studie "Aesthetics A" ist der klare Ausblick auf das Design der kommenden Mercedes-A-Klasse.
Design ist ein streitbares Thema. Was dem einen gefällt, muss für den anderen noch lange nicht das Richtige sein. Gerade im Autobau entscheidet das Äußere über Hopp oder Top. Bei Mercedes hat man in den letzten Jahren Mut bewiesen und fährt sehr gut damit.
"Die Zeit der Sicken ist vorbei", sagt Gorden Wagener bei der Präsentation der zukünftigen A-Klasse in Sindelfingen. Noch ist "Aesthetics A" nur eine Art Auto-Torso, aber bereits jetzt wird klar, was der Chief Design Officer von Mercedes meint. Außer einem sogenannten "Catwalk" gibt es keine Kniffe mehr im Blech. Die einzige Kante zieht sich kurz unter der Schulterlinie vom vorderen Kotflügel bis weit in die Flanken. Alles, was darunter das Spiel von Licht und Schatten erzeugt, wird durch die Wölbung des Blechs und eine daraus entstehende Oberflächenspannung erzeugt. Für Wagener ist diese reduzierte Formensprache die konsequente Weiterentwicklung seiner zwei Prinzipien: hot and cool.
In Zukunft mit "Predator Face"
Vorreiter sind bereits der Mercedes GT und das kürzlich erst präsentierte E-Klasse Coupé. Auch das E-Klasse Cabrio wird von dieser neuen Art der Körperspannung profitieren, wie erste Komplettmodelle in Sindelfingen eindrücklich unter Beweis stellten. Doch zurück zur neuen A-Klasse, die sich wohl spätestens 2019 in ihrer verschärften Form der Öffentlichkeit präsentieren wird. Verschärft deshalb, weil bereits am Modell "Aesthetics A" zu erkennen ist, dass der aktuelle Diamantkühlergrill dem Lamellengrill des GT R weichen wird. "Predator Face", Raubtier-Gesicht nennt der Designchef das Ganze und hat nicht unrecht. Böse guckt die künftige A-Klasse.
Angelehnt an den Mercedes GT R bezeichnet Wagener das Gesicht der A-Klasse nicht zu Unrecht als "Predator Face".
Wagner macht mit seinem Designkonzept erneut einen mutigen Schritt. Zweifel, dass es ein Fehltritt werden könnte, gibt es nicht, denn bis dato lag der Mann mit der optischen Neuausrichtung der Fahrzeuge immer goldrichtig. Und Wagener geht sogar noch einen Schritt weiter: "Ich glaube, dass die nächste Generation der Kompaktklasse das Potenzial hat, eine neue Designära einzuleiten." Eigentlich hat der 48-jährige Designchef das schon mit der ersten A-Klasse und allen Folgemodellen geschafft. Wobei das Rezept dafür ganz simpel zu sein scheint: "Wir schaffen einfach neue Formen, die keiner erwartet. Wir zeigen, dass man mit avantgardistischen Ideen begeistern und dem Geist einer über 130 Jahre alten Marke trotzdem treu sein kann. Das Design von Mercedes-Benz hat sich von einem traditionellen zu einem modernen Luxus hin entwickelt und das ist sicherlich einer der Erfolgsfaktoren", erläutert Wagener.
Vision vs. Alltag
Aber noch etwas anders macht diesen Erfolg aus. Wagener leistet sich - und hier unterstützt der Vorstand von Mercedes den Kreativen ganz entscheidend - nicht nur Designstudios in fast allen Ecken der Welt, er hat auch fünf sogenannte Advance-Design-Abteilungen. Designer, die sich unter anderen in Carlsbad im US-Bundesstaat Kalifornien, in Peking und in Sindelfingen explizit mit Zukunftsvisionen beschäftigen. Die Ergebnisse sind optisch und von den Ideen streckenweise berauschend. So wurde der F015 hier ebenso erschaffen wie der Future Truck 2025. Den absoluten Treffer landeten die Zukunfts-Designer mit dem Vision Mercedes-Maybach 6. Innerhalb von sechs Wochen mischte die Studie im vergangenen Jahr drei Messen auf, frohlockt der Chef des Advanced Exterieur Designs, Steffen Köhl. Darunter die PS-Party in Pebble Beach und den Autosalon in Paris.
Der Mercedes-Maybach 6 ist wohl eine der schönsten Studien, die eine Automesse in den letzten Jahren gesehen hat.
Doch es bleibt bei Weitem nicht dabei, dass im Advance Design nur fröhlich vor sich hin visioniert wird. Manchmal schickt der Chief Design Officer Wagener seine Abteilungen auch in den Ring: Product Design vs. Advance Design heißt es dann. Stolz berichtet Köhl, dass sie es bei zwei Modellen tatsächlich schafften, den Vorstand von ihren Vorschlägen zu überzeugen und die "Alltags"-Designer aus dem Ring zu kicken. Die Entwürfe zum C 217, also dem S-Klasse Coupé und zum C 205 dem C-Klasse Coupé, kamen von Köhl und seinen Leuten. "Aber wir gewinnen seltener gegen die Kollegen, als wir verlieren", schiebt Köhl mit einem Augenzwinkern hinterher. Und letztlich geht es auch gar nicht um Sieg und Niederlage. Es geht darum, dass man sich gegenseitig befruchtet, antreibt und beflügelt.
Sehen, fühlen, hören, riechen
Denn letztlich ist ein Auto mehr als seine äußere Hülle, seine Form und der von Wagener propagierte moderne Luxus muss sich natürlich auch dort wiederfinden, wo der Fahrer neben dem Zuhause und der Arbeit seine dritte Lebenswelt findet: im Innenraum. "Hier werden noch ganz andere Sinne angesprochen", betont Interieur-Designchef Helmut Sinkwitz. Sehen, fühlen, hören, riechen, all das will bedient werden und zwar in einer mit der Außenform kooperierenden Designsprache. Unterhält man sich mit den Designern, wird es im Innenraum geradezu kleinteilig. Perforationen, Steppnähte, verwobene Metallfäden hinter transparenter Plastik und Bohrungen im Millimeterbereich: Für jede Aufgabe werden Spezialisten benötigt, wie beispielsweise Automobil-, Produkt-, Textil- und auch Modedesigner. Spezialisten für Oberflächengestaltung kreieren sowohl die Farben als auch sämtliche Materialien für das Interieur.
Und warum wird von den Innendesignern so ein Aufwand betrieben? "Erlebbare Qualität liegt ganz stark in der Emotionalität von Einzelteilen", so Sinkwitz. Feinste Nuancen entscheiden in der Regel über Harmonie und Stimmigkeit des Innenlebens. Die Ausprägung sowie die Formensprache jedes Modells müssen immer wieder neu definiert werden. "Die Kunden erwarten mit jedem neuen Auto die Präsentation eines Wow-Effekts", erklärt Sinkwitz. Um den zu gewährleisten, hat auch die Interieur-Abteilung ein "Advanced Pendant" im italienischen Como, wo kreative Designkonzepte für den Innenraum entwickelt und umgesetzt werden. Wie erfolgreich diese Kollegen bei den internen Wettkämpfen sind, wurde allerdings nicht verraten.
"Man muss sich unwiderstehlich verlieben"
Harmonische Wrap-around-Effekte mit fließenden Linien, geschwungene Mitteltunnelkonsolen, schwebende Instrumententafeln, hochwertige Materialien und sorgfältige Detailverarbeitung sind in den Modellen ein Zeichen für visionäre Ideen. "Wir erschaffen nicht nur Automobile, sondern eine Welt des modernen Luxus", fasst Wagener das Gesamtbild zusammen."Unser Design muss hot und cool sein. Hot bedeutet, sich in etwas zu verlieben, es ist emotional und unwiderstehlich. Auf der anderen Seite ist cool sehr technoid und reduziert, etwas komplett Neues, noch nie zuvor Gesehenes, das überrascht", ergänzt der Designchef.
Interessant ist, dass die Inspirationen für Ex- und Interieur häufig aus den nichtautomobilen Bereichen kommen. Architektur, Kunst und Mode sind Grundlagen für das eigene Design. So ist der Schlüssel für das neue E-Klasse Cabrio beispielsweise an die Form der legendären italienischen Riva-Boote angelehnt, die die Menschen in den 1950er-Jahren begeisterten. Aber nicht nur auf die Pkw, die Future Cars oder den Innenraum hat die Arbeitsweise Einfluss. Unter den Fittichen von Gorden Wagener werden inzwischen auch die Nutzfahrzeuge gestaltet.
Mut zahlt sich aus
Wer jetzt aber glaubt, dass hier mit weniger Akribie an die Sache gegangen wird, der irrt. "Bei Nutzfahrzeugen sind die Kosten der zentrale Faktor. Dennoch ist Design auch dort ein Kaufgrund, der unterschwellig durchaus den Ausschlag bei der Entscheidung geben kann", so Wagener. "Vor allem das Interieur mit den Bedieneinheiten ist für die Kunden wichtig. Unserem ganzheitlichen Ansatz folgend, muss ein Nutzfahrzeug genauso glaubhaft die Werte einer Marke verkörpern wie ein Pkw."
Insofern darf man gespannt sein, wie sich das Design von Mercedes in den kommenden Jahren weiterentwickelt. Fakt ist, dass kaum ein Autohersteller so viel Aufwand beim Design betreibt wie die Stuttgarter. Bei den Kunden kommt es augenscheinlich an. Mercedes ist seit diesem Jahr wieder der führende Premium-Hersteller vor Audi und BMW. Der Mut, der hier bewiesen wurde, hat sich also ausgezahlt. "Wir sind in der glücklichen Lage, dass unsere Vorstände Car Guys sind und der Kompetenz und Erfahrung des Designteams vertrauen. Genau deshalb sind wir in der Lage, die Kreativität und den Mut aufzubringen, uns ständig weiterzuentwickeln und Grenzen zu überschreiten", so Wagener. Bleibt für die Kundschaft und Mercedes zu hoffen, dass das noch lange anhält.
Quelle: ntv.de
