Leben

Multimilliardenmarkt Vampirismus Dracula, Blutdurst und Ungläubige

0cdeea101b5fdb9e46983a0281e06f28.jpg

Faszination und Schrecken - Vampire üben eine große Anziehungskraft auf die Lebenden aus.

(Foto: dpa)

In Berlin ist noch bis April eine Ausstellung zu sehen, die dem Vampirismus huldigt, der vor bereits über 100 Jahren in Deutschland ein phänomenales Denkmal mit dem Stummfilm "Nosferatu" bekam. Nach irdischen Gesetzen und dem Urteil der damaligen Justiz dürfte es den Film gar nicht geben.

Manche Menschen glauben an Vampire wie Kinder an den Weihnachtsmann. Für sie gilt: Sie lieben den Übergang vom Tag zur Nacht. Sie haben Fantasien von Wesen und Welten jenseits der rationalen irdischen Existenz. Sie wollen teilhaben an der Magie - und wenn auch nur durch einen Lifestyle mit Partys, einem bestimmten Dekor und vielen Ritualen, die wir in diesen weihnachtlichen Wochen wieder alle erleben können. Wer nun im Lichte des prächtigen Weihnachtsfestes den Vampirismus als einen kulturellen Trend oder gar als verschrobenes Nischenprogramm abtun will, wird der Größe und der Bedeutung des Genres nicht gerecht.

Die Einschätzung wäre noch hinterwäldlerischer als alles, was "Transsilvanien" zu bieten hat - jene legendäre Region nördlich der Karpaten, die ein offizieller Teil von Rumänien ist und deren lateinischer Name "jenseits des Waldes" bedeutet.

Transsilvanien gilt als Heimat der Vampire, weshalb dort in Gästezimmern Knoblauch hängt oder die Burg Bran als Stammsitz von Graf Dracula angepriesen wird - obwohl es dafür kein Zeugnis gibt. Eine knappe Million Besucherinnen und Besucher will dort nicht die Wirkungsstätte einer historischen Figur sehen, die "einmal war", sondern einen Vampirfürsten, der "noch ist". Eben diese Illusion einer Existenz erinnert an kindliche Projektionen auf den Weihnachtsmann.

Um die Vorstellung von untoten Blutsaugern hat sich nicht nur ein phänomenaler Lifestyle entwickelt, sondern auch ein Business, das äußerst einträglich ist: Buchverlage, Filmproduzenten und ihre Autoren verdienen kräftig. So sind alleine von Stephenie Meyers Buchserie "Twilight" mehr als 160 Millionen Exemplare verkauft worden, während die gleichnamige Filmserie mehr als 3 Milliarden Euro eingespielt hat. Darüber hinaus gibt es immer mehr Festivals in der Sparte "Gothic" - und auch Halloween, das traditionelle Allerheiligen-Fest der englischsprachigen Welt, wäre ohne Vampirkostüme nicht dasselbe. In beängstigender Weise nimmt darüber eine Art von Blutdurst zu - oder wird wenigstens häufiger registriert: Psychiatrische Kliniken melden immer mehr Menschen, die den Lebenssaft anderer Leute trinken!

"Nosferatu" war ein Liebling der französischen Surrealisten

Auf dem Weg zum heutigen Vampirkult mit seinen Spielarten und Deutungen darf ein Werk nicht unerwähnt bleiben, das von vorne bis hinten in Deutschland entstand - und das nie entstanden wäre, hätte der Ire Bram Stoker nicht den Roman "Dracula" geschrieben und 1897 veröffentlicht. Die Rede ist vom 1921 gedrehten Stummfilm "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens". Ausgerechnet "Grau" war der Name seines Initiators, Produzenten und - man muss es so nennen - Bankrotteurs.

Und von Anfang an beabsichtigte Albin Grau Großes und Außergewöhnliches. Dafür sprach zunächst die Wahl des Regisseurs Hans Wilhelm Murnau, der die filmische Avantgarde der damaligen Zeit verkörperte und mit "Nosferatu" ein Werk schaffen sollte, das die französischen Surrealisten ganz besonders liebten. Der Schriftsteller André Breton soll "Nosferatu" sogar als ein surrealistisches Schlüsselwerk bezeichnet haben. Es ist diese Randnotiz der Rezeption, die dazu beigetragen hat, dass soeben im Berliner Museum für surreale Kunst, der Sammlung Scharf-Gerstenberg am Schloss Charlottenburg, die Ausstellung "Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu" eröffnet worden ist.

Dort kann man mit zahlreichen Dokumenten die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte von Nosferatu nachvollziehen. Dazu zählt auch, in welcher Weise Grau wirklich völlig anders dachte - und den zukünftigen Vampirboom voraussah. Als Werbegrafiker, etwa für die Warenhauskette Tietz, legte er besonderen Wert auf die Bewerbung des Films, weshalb er schon Monate vor der Premiere im März 1922 Werbeanzeigen mit mysteriösen Botschaften in Zeitungen und Magazinen schaltete. Alles in allem sollten die Kosten für das mediale Feuerwerk größer ausfallen als für den eigentlichen Film. Am Ende war das öffentliche Interesse so riesig wie das Loch im Budget der Produktionsfirma, die darüber pleite ging.

Nomen est Omen: Der Hauptdarsteller hieß Schreck

Dabei hatten Grau auch für den Film kaum Mühen gespart: Dazu zählten zum ersten Mal in der Filmgeschichte Außenaufnahmen - selbstverständlich in Transsilvanien. Oder damals völlig neuartige Trickeffekte, etwa das plötzliche Erscheinen oder Verschwinden der Hauptfigur Nosferatu - die zu allem Überfluss von einem Mann gespielt wurde, der mit bürgerlichem Namen Max Schreck hieß. Seine Darstellung erschien den Menschen damals dermaßen schaurig, dass bald Vermutungen aufkamen, Schreck sei selbst Vampir. Eine These übrigens, die im Jahr 2000 zum Gegenstand des von Nicolas Cage produzierten Films "Shadow of the Vampire" wurde: mit John Malkovich als Murnau und Willem Dafoe als Max Schreck.

War der Glaube an Vampire bereits Hunderte von Jahren alt und in unterschiedlichen europäischen Regionen Teil der Folklore, war es Stoker gewesen, der mit Dracula die bis heute dominante Vorstellung von einem exzentrischen Vampirfürsten prägte. Er lebt an der Grenze unserer Zivilisation, hegt Weltherrschaftsfantasien und nährt tiefste Ängste: vor einem sogenannten Antichristen, der die christlich-abendländische Zivilisation für sein Schattenreich umpolt und schließlich vernichtet. Der Blutverlust der menschlichen Rasse als Urangst vor dem Teufel.

Der Name "Nosferatu" ist sinnbildlich, weil er von Stoker und anderen Autorinnen und Autoren im 19. Jahrhundert für ein rumänisches Wort gehalten wurde, das in sich die Bedeutungen "Vampir", "Ungläubiger" und sogar "Teufel" vereint. Obwohl diese Annahmen etymologisch unzutreffend sind, haben die Warnungen Bestand.

Kein Gentleman-Vampir, sondern eine entmenschlichte Gestalt

Sie werden verstärkt durch den Namen "Dracula", den Stoker ebenfalls als rumänischen "Teufel" missverstanden hatte. Tatsächlich bedeutet er "Sohn des Drachen" und bezieht sich auf einen wahren, äußerst brutalen Herrscher an der Grenze des christlichen Europas zu den Türken: Vlad III. "Draculea", dessen Vater "Dracul" hieß, soll im 15. Jahrhundert Feinde reihenweise aufgespießt und Bettler eingesperrt und verbrannt haben.

Wurde das Böse in Stokers Roman durch eine Art Gentleman Vampir verkörpert, dem später der ungarisch-stämmige Schauspieler Bela Lugosi im Hollywood Film "Dracula" von 1931 sein Gesicht leihen und eine vorzügliche Aura mit intellektueller sowie (bi-)sexueller Anziehungskraft verlieh, ist Murnaus Blutsauger ein völlig anderer Typ: Ihm fehlt die Ausstrahlung, um jemals einem Herrenclub betreten zu dürfen. Nosferatu ist hager, hat eine Glatze und lange, spitze Finger. Seinen Macht- und Bluthunger versteckt er hinter einer scheinbar entmenschlichten Fassade.

Die Ausstellung in Berlin rekonstruiert die Rolle und Murnaus Darstellungsformen in abgedunkelter und zugleich sehr erhellender Weise. Wie der Protagonist im Film - der Handlungsreisende Thomas Hutter, der Nosferatu auf seiner transsilvanischen Burg besuchen muss - kann man durch ein gespenstisches Tor schreiten und dies als den Moment des Grenzübergangs begreifen, der sich auch im zentralen Satz ausdrückt: "Kaum hatte Hutter die Brücke überschritten, da ergriffen ihn die unheimlichen Gesichte, von denen er mir oft erzählt hatte." Auf der anderen Seite taucht man ein in die Magie einer scheinbar existierenden nächtlichen Parallelwelt, die Vampirfans bis heute lieben.

Eintritt gegen Blut

Was die Ausstellungstexte allerdings unterschlagen wie ein unheimliches Geheimnis, ist der Umstand, dass es Murnaus Film genau genommen gar nicht geben dürfte! Schließlich hatte die Witwe von Bram Stoker Graus Plänen nie zugestimmt. Der Urheberstreit, der sich daraus entwickelte, führte 1925 zum Urteil, dass sämtliche Streifen vernichtet werden mussten und nicht mehr aufgeführt werden durften.

Nur dank der Kopien, die in den USA und Frankreich waren und auf die die deutsche Justiz keinen Zugriff hatte, konnte die heutige, digital überarbeitete Fassung entstehen. Auch sie wird rund um die Uhr in Berlin gezeigt. Wer für das Spektakel einen Gratiseintritt möchte, muss das tun, was Vampire am liebsten mögen: Blut lassen! Das Rote Kreuz hilft dabei.

Noch bis zum 23. April 2023 läuft in der Berliner Sammlung Scharf-Gerstenberg die Ausstellung "Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu". Das Rote Kreuz ermöglicht dort einmal pro Monat Blutspenden, als Nächstes am 21. Dezember, 14.30 bis 18 Uhr.

(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 18. Dezember 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen