Leben

Julie Mehretu will gewinnen Ein Art Car für das 24-Stunden-Rennen von Le Mans

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Teamarbeit, Ausdauer und der Nervenkitzel der Geschwindigkeit faszinierten die Künstlerin bei ihrem ersten Besuch eines Autorennens in Daytona im Frühjahr.

Teamarbeit, Ausdauer und der Nervenkitzel der Geschwindigkeit faszinierten die Künstlerin bei ihrem ersten Besuch eines Autorennens in Daytona im Frühjahr.

(Foto: Julian Kroehl)

Kein Art Car gleicht dem anderen. Buchstaben, Farben, Flammen und sogar einen Panzer aus Eis gab es schon. Jetzt geht die 20. Ausgabe des ikonischen Fahrzeugs an den Start. Die queere Künstlerin Julie Mehretu gestaltet einen der Rennwagen für das 24-Stunden-Rennen von Le Mans.

Klein, schwarz, stark: Ein nagelneues Rennfahrzeug mit 640 PS unter der Haube steht mitten in der berühmten Rotunde des Guggenheim-Museums in New York. Was macht das Geschoss im Museum? Die Karosserie soll zur dreidimensionalen Leinwand werden. Und dann als BMW Art Car in der Kategorie Hypercar 24 Stunden lang um den Sieg kämpfen. Dabei rast es fast ununterbrochen mit Vollgas im Kreis.

Wenn ein Auto schnell fährt, dann verschwimmen Konturen, Linien und Farben. Auf diesen Aspekt der Geschwindigkeit konzentrierte sich bereits Andy Warhol, als er 1979 sein Art Car gestaltete. Der Wagen des umjubelten US-amerikanischen Pop-Art-Künstlers erzielte den Gruppensieg. Bereits vorher hatte er schon einen draufgesetzt: Er bemalte sein Exemplar in nur 28 Minuten. Rekord!

Julie Mehretus dreidimensionale Leinwand, ein BMW M Hybrid V8, wurde im New Yorker Guggenheim Museum präsentiert.

Julie Mehretus dreidimensionale Leinwand, ein BMW M Hybrid V8, wurde im New Yorker Guggenheim Museum präsentiert.

(Foto: BMW AG )

Ob sie diesen Rekord einstellen kann, fragt Julie Mehretu lachend im New Yorker Museum, als feierlich verkündet wird, dass sie das zwanzigste dieser Fahrzeuge gestaltet. Der lediglich von Carbon umhüllte BMW M Hybrid V 8 wurde ebenfalls präsentiert und ist noch nahezu nackt. Auch Mehretu interessiert die Schemenhaftigkeit, die entsteht, wenn der Bolide mit 345 Kilometern pro Stunde am Publikum vorbeirast. Die 1970 in Äthiopien geborene und in New York lebende Künstlerin sagt ntv.de: "Meiner Meinung nach kommt diese Verwischung durch Geschwindigkeit dem sozialen Geflecht unserer Zeit nah. Auch dieses können wir mit all seinen Problemen nicht wirklich erfassen." Diese Aussage passt sehr zu ihr, denn Unschärfe und Ungewissheit sind etwas, was sie mit ihrer Arbeit erkunden will.

Jenny Holzers Art Car tourt als bewegliches Kunstwerk wie die anderen 18 ikonischen Arbeiten rund um die Welt.

Jenny Holzers Art Car tourt als bewegliches Kunstwerk wie die anderen 18 ikonischen Arbeiten rund um die Welt.

(Foto: Daniel Nikodem)

Für die 52-Jährige ist die amerikanische Künstlerkollegin Jenny Holzer Vorbild in Sachen Art Car. Auf dem von ihr 1999 kreierten Modell standen simple, phos­pho­res­zie­rende Worte. Der Spruch "Protect me from what I want" (Beschütz mich vor dem, was ich will) war während des gesamten Rennens gut sichtbar. Holzer setzte den Geschwindigkeitsrausch mit sexueller Erfüllung gleich. Sie ließ sogar Helme und andere Dinge mit ihren Truismen genannten Zitaten bedrucken.

Julie Mehretu schließt nicht aus, sich ebenfalls mit den Renn-Accessoires zu beschäftigen. Allerdings habe sie "im Moment noch keine Ahnung, was ich mit dem Auto anstellen werde". Es bleiben ihr noch knapp 10 Monate Zeit. Erst am 15. Juni 2024 soll ihre 1000 Kilogramm schwere, rollende Skulptur Tag und Nacht ihre Runden ziehen. Und gewinnen!

Denn bei dem Derby in Frankreich geht es vor allem um den Sieg. Diese Belastungsprobe zwischen Mensch und Maschine begeistert seit 100 Jahren Menschen aus aller Welt. Ursprünglich sollte bei dem 24-Stunden-Rennen die Strapazierfähigkeit des Materials getestet werden. Die Piloten fahren in ihrem Fahrzeug auf der 13,626 Kilometer langen Strecke von morgens bis abends im Kreis. Dabei kam es zwischen manchen Fahrern zu unglaublichen Duellen, die bereits mehrfach verfilmt wurden. Hollywoodgrößen wie Christian Bale, Matt Damon oder Steve McQueen sorgten mit ihren Darstellungen für volle Kinos.

Polarisierende Spritfresser

Was wie ein cleverer Coup der Münchner Marketingleute daherkommt, beruht auf einer verrückten Idee des französischen Unternehmers und Auktionators Hervé Poulain. Als Hobbyrennfahrer wollte er 1975 bei dem Wettrennen dabei sein. Um an einen starken Wagen zu kommen, wollte er seinen Künstlerfreund Alexander Calder mit der Gestaltung eines Automobils beauftragen. Das Ziel: mehr Aufmerksamkeit durch einen besonderen Anstrich. Die Bayerischen Motorenwerke waren begeistert, stellten ihm ein Fahrzeug und seitdem wird die Reihe der Art Cars bis heute fortgesetzt.

Der Künstler Jeff Koons durfte gleich zweimal ein Auto für die Bayerischen Motorenwerke designen und war gerne bei der Enthüllung in New York dabei.

Der Künstler Jeff Koons durfte gleich zweimal ein Auto für die Bayerischen Motorenwerke designen und war gerne bei der Enthüllung in New York dabei.

(Foto: BMW AG)

Die Verbindung von Mensch und Maschine ist faszinierend. Autos sind für Künstlerinnen und Künstler eine perfekte Projektionsfläche und das Symbol schlechthin für Dynamik, Aufbruch und grenzenlose Mobilität. Fahrzeuge tauchen als Motiv in der Kunstgeschichte seit über 100 Jahren auf. Sie werden auf Bilder gemalt. Die heißen Schlitten sind - in Köln mit goldenen Flügeln versehen oder in Berlin in Beton gegossen - zu beachteten Plastiken geworden.

Rocklegende Janis Joplin ließ sich 1968 ihr Porsche Cabriolet mit psychedelischen Farben bemalen. Damit cruiste sie täglich durch Los Angeles, bis sie 1970 an einer Überdosis Heroin starb. Das Flower-Power-Gefährt brachte 45 Jahre später bei einer Auktion 1,8 Millionen Dollar ein.

Der Wert der beweglichen Kunst aus München lässt sich nur schwer bestimmen. Megakünstler wie Warhol, Holzer oder Calder erzielten bei Auktionen Höchstwerte. Die BMW Art Cars stehen allerdings nicht zum Verkauf, sondern werden überall auf der Welt in Museen ausgestellt. Dass Spritfresser in der Kunst auch polarisieren, zeigte vor neun Monaten die Aktion von Klimaaktivisten in Mailand. Sie überschütteten das von Andy Warhol bemalte Werk mit acht Kilo Mehl und versuchten sich dann daran festzukleben.

Mit ihren Händen, Pinseln oder Tüchern trägt Julie Mehretu Schicht um Schicht Kunstharz auf ihre Leinwände auf. Ihre Motive findet sie in der Konsumwelt, sie verwendet Firmenlogos, aber auch Graffiti oder Comics. Es dauert zum Teil viele Monate, bis eines der großformatigen, sehr begehrten und teuren Werke fertig ist. Sie arbeitet abstrakt, zeigt komplizierte Gegenüberstellungen von Formen und Linien. Letztere bewegen sich dynamisch über die Leinwände, sollen die Bewegung von Objekten und Zeit suggerieren. Diese Beschäftigung mit Geschwindigkeit passt grandios zu den Art Cars. Mit leuchtenden Farben thematisiert sie düstere Themen wie Migration, Krieg oder Zukunftsangst.

Die Liebe zum Auto

Ihre großformatige, abstrakten Bilder hängen in Museen sowie Sammlungen und kosten Millionen.

Ihre großformatige, abstrakten Bilder hängen in Museen sowie Sammlungen und kosten Millionen.

(Foto: Josefina Santos)

Warum arbeitet bearbeitet eine kritische Person wie sie nun für den Münchner Konzern an einem Auto? Ein Überzeugungsmoment mag sicher die außerordentlich hochkarätig besetzte Jury aus internationalen Museumsleuten sein, die sie für das 20. Kunstwerk dieser Art nominiert hat. Sie ist die vierte Frau der Serie, queer und hat afrikanische Wurzeln. Zunächst habe sie gezögert, doch einer ihrer Neffen überzeugte sie schließlich, erzählt sie. Was fasziniert sie persönlich an Autos? "Mein Leben lang habe ich Autos geliebt, als Spielzeug, aber auch als Möglichkeit der Mobilität. Mein Vater, meine Onkel, alle hatten eines. Für uns hier ist ein Fahrzeug völlig selbstverständlich. In Äthiopien hingegen legt man lange Strecken zu Fuß zurück."

2010 ist Julie Mehretu eine komplizierte Kooperation mit einer US-amerikanischen Investmentbank eingegangen und hat in deren New Yorker Foyer ein Werk platziert. Widersprüchlichkeit interessiere sie, so die Künstlerin. Das tennisplatzgroße Wandgemälde in Downtown Manhattan ist für alle Passanten von der Straße aus gut sichtbar. Darauf zerlegt sie Eliten, prangert Unterdrückung an und alles, was im Kapitalismus schiefläuft.

Dass sie, die Millionen mit ihrer Kunst verdient, immer noch Ecken und Kanten hat, beweist sie auch jetzt. Ihr Projekt wird über das BMW Art Car und das 24-Stunden-Rennen hinaus Spuren hinterlassen, und zwar auf dem afrikanischen Kontinent. Eigentlich spielte sie mit dem Gedanken, das bemalte Auto quer durch Afrika düsen zu lassen. Leider nicht machbar. Nun startet sie gemeinsam mit dem bayerischen Unternehmen einen panafrikanischen "Translokalen Media-Workshop".

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In acht Städten, von Kairo über Addis Abeba bis nach Kapstadt, wird Künstlerinnen und Künstlern ein Forum gegeben, um über die Zukunft in ihren örtlichen Gemeinschaften nachzudenken. Normalerweise gibt es nur wenige solcher Orte in Afrika. Mehretu will so die Zusammenarbeit und den Austausch über lokale Kontexte hinweg fördern. Die Ergebnisse werden in zwei Jahren im südafrikanischen Zeitz MOCAA-Museum präsentiert. Man darf gespannt sein, was aus diesem vielfältigen Engagement entsteht.

Art Cars sind derzeit u.a. in der BMW Welt, Am Olympiapark 2, 80809 München und in Amsterdam bei der Skulpturen Biennale Artzuid zu sehen.

Quelle: ntv.de

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