Pura vida - das Rezept für Glück "Man ist nie der Einzige auf der Welt"
17.08.2018, 13:07 Uhr
Im kolumbianischen Cabo de la Vela porträtiert Walter ein junges Mädchen.
(Foto: Dirk Walter / Waltsmedia)
Es soll ein Abenteuer werden: Der 30-jährige Dirk Walter lässt seinen Job bei einem deutschen Lack- und Farbenhersteller, seine Freundin und sein "solides Leben" in Berlin zurück und reist quer durch Südamerika. Auf seinem sechsmonatigen Fototrip von Feuerland bis nach Kolumbien lernt er unter anderem, woran es den Europäern oft mangelt: Gelassenheit. Das typische Lebensgefühl der Menschen Lateinamerikas, la pura vida, hat der Fotograf in zahlreichen Porträts festgehalten. Seine erste Ausstellung zeigt aber nicht nur die Gesichter des Kontinents, sondern auch faszinierende Naturaufnahmen. Mit n-tv.de hat Walter über seine Reise, die Fotografie und ein spontanes Saufgelage mit einem Rentner in Peru gesprochen.
n-tv.de: Herr Walter, was bedeutet Einsamkeit für Sie?
Dirk Walter: Das ist eine schwierige Frage. Als Außenstehender denkt man vielleicht, auf so einer Reise, wie ich sie gemacht habe, wäre man ständig allein und einsam. So ist es aber nicht. Natürlich gibt es einsame Momente. Aber man ist nie der Einzige auf der Welt.
Also haben Sie sich gar nicht bewusst für die dünn besiedelten Regionen Südamerikas - wie etwa Patagonien - entschieden?

Drei Tage reist Walter durch die menschenleere Altiplano-Hochebene in Bolivien.
(Foto: Dirk Walter / Waltsmedia)
Nein, es gab nur eine grobe Route von Süden nach Norden. Wenn es mir irgendwo gefallen hat, bin ich spontan länger geblieben. Als ich in Bolivien drei Tage lang durch das Altiplano-Hochland gefahren bin, war dort aber wirklich keine Menschenseele. Das war das Surrealste, was ich je erlebt habe. Diese endlose Weite zu sehen und die Natur kennenzulernen, das war ein geiles Erlebnis. Aber ich war auch in anderen, dichtbesiedelten Regionen unterwegs - wie zum Beispiel Valparaiso, der Künstlerstadt in Chile.
Gab es Momente, in denen Sie sich zurückgesehnt haben?
Ja - mit Ausrufezeichen! Das fing schon mit dem Abschied an, der mir sehr schwergefallen ist. Da kamen plötzlich Fragen auf: "Warum tust du dir das an? Es geht dir doch gut hier in Deutschland. Warum lässt du dein gutes und solides Leben zurück?". Ich wusste eben nicht, was mich als Alleinreisenden erwartet. Ich hatte das vorher ja auch noch nie gemacht.
Sie haben sich für die Fotoreise ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub genommen. War das nicht auch finanziell ein großes Risiko?
Am Anfang war die Angst tatsächlich groß, dass das Geld nicht reicht. Ich hatte zwar einiges für die Reise angespart. Aber als ich in Chile ankam, war alles war dreimal so teuer wie gedacht. Und in Argentinien waren die Preise sogar noch einmal höher. Letztendlich hat es aber gereicht. Wäre es nicht so gewesen, hätte ich eben früher wieder heimfahren müssen. Das habe ich aber nicht als Risiko empfunden.
Ihre Porträts erzeugen sofort eine gewisse Nähe zu den Menschen der Region. Hatten die Leute keine Scheu vor einem Wildfremden mit einer Kamera?
Ich habe natürlich versucht, die Leute vorher kennenzulernen. Und es war unheimlich leicht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen - gerade weil ich mich für ihre Lebensweise interessiert habe. Die Leute verlieren dann ganz schnell ihre Scheu. Man muss sich nur trauen, auf völlig Fremde zuzugehen. Das war am Anfang sicher eine Hürde. Aber die Allerwenigsten haben es abgelehnt, sich fotografieren zu lassen. Diese Offenheit war schon erstaunlich.
Wie entscheiden Sie, wen Sie porträtieren? Was macht ein Gesicht interessant für Sie?
Grundsätzlich ist alles interessant, was wir nicht kennen. Ein gutes Motiv ist das, womit wir nicht täglich konfrontiert werden. Das kann eine mystische Naturaufnahme von Machu Picchu sein oder das alte Gesicht, das Geschichten erzählt. In einem kleinen Dorf gab es zum Beispiel einen Melonenverkäufer, der mich angesprochen hat, als ich gerade fotografiert habe. Er stellte sich vor seinen Melonenwagen und sagte "Fotografier' mich!" - voller Stolz. Und das sieht man auf dem Bild auch.
Sie haben Ihre erste Ausstellung unter das Motto "Pura Vida" - das pure Leben - gestellt. Und tatsächlich sieht man den Porträtierten an, dass sie nicht sehr viel besitzen ...
Wenn ich eines gelernt habe auf der Reise und von den Menschen, die ich abgelichtet habe, dann, dass es im Leben nicht auf Besitz ankommt. Jeder hat ja andere als wertvoll definierte Besitztümer. Nehmen wir zum Beispiel diesen Melonenverkäufer, von dem ich erzählt habe - die Leute sind stolz auf ihren Job. Das ist mir wirklich im Gedächtnis geblieben.
Ein selbstgewähltes Schicksal ist Besitzlosigkeit aber nicht gerade, oder?
Mag sein. Aber sie lieben ihr Land, obwohl dort bei Weitem nicht alles gelingt und es viele Probleme gibt. Auf mich haben die Menschen trotzdem oft einen sehr liebevollen und lebensfrohen Eindruck gemacht - und das eben, ohne viel zu besitzen.
Haben wir in Europa verlernt, mit wenig glücklich zu sein?
Diese Schnelllebigkeit und die vielen äußeren Einflüsse machen uns das Leben auf jeden Fall nicht leichter. Gehen Sie doch mal in den Supermarkt und kaufen einen Käse - da gibt es eine unglaubliche Auswahl. Dabei würde es doch eigentlich auch ausreichen, wenn es nur drei Sorten gäbe. Ihren Käse bekämen Sie trotzdem. Man kann also auch mit weniger glücklich sein.
Gibt es eine Begegnung auf der Reise, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Ja, ganz viele. Aber eine besonders: In Santa Rosa - das ist ein ganz kleines Dörfchen in Peru - wollte ich auf einem Markt ein Mittagessen kaufen. Ein komplettes Menü kostete da nur 1,50 Euro. Als ich also dort unterwegs war und gerade ein paar Leute fotografierte, bin ich auf einen älteren Herren gestoßen, der etwas abseits mit ein paar anderen bei einer Flasche Ballantines saß. Es war seine Geburtstagsparty. Er hat mich rangezogen, mir was vom Whiskey angeboten - und wir haben uns lange unterhalten. Das war sehr lustig.
Klingt nach einem gutem Besäufnis ...
Jo. Ich habe mich auf jeden Fall sehr wohl und willkommen gefühlt.
Mal abgesehen von den bleibenden Erinnerungen: Wie hat sich Ihr Leben durch die Reise verändert?
Ich sage es mal so: Ein Selbstfindungstrip sollte es ursprünglich gar nicht werden, aber im Nachhinein betrachtet war es wohl genau das. Du kannst nun mal nicht verhindern, dass du mit vielen gesammelten Eindrücken wieder nach Hause fährst und etwas im Leben dazu gewinnst. Ich bin auf jeden Fall noch weltoffener geworden und ich weiß ein paar Dinge noch mehr zu schätzen. Auf so einer Reise lernt man aber auch, dass man sich etwas zutrauen kann. Wenn mal was schiefgeht, gibt es immer einen anderen Weg. Das gibt viel mehr Selbstbewusstsein.
Mit Dirk Walter sprach Judith Görs
Die erste Fotoausstellung von Dirk Walter "PURA VIDA! Lateinamerika - eine Herzensangelegenheit" ist an diesem Wochenende, dem 18./19. August 2018, im Microsoft Atrium in Berlin zu sehen. Weitere Informationen gibt es hier.
Quelle: ntv.de