
Je weniger Gepäck - desto besser - das hat Frederic Fritz unterwegs schnell gelernt.
(Foto: Frederic Fritz)
Mit seinem Fahrrad fährt Frederic Fritz erst von Deutschland nach Myanmar und dann durch Südamerika. Unterwegs merkt er, wie wenig er braucht, um zufrieden zu sein. Und wie schmerzvoll es doch ist, wenn in der Einöde das Wasser ausgeht und das Fahrrad dann noch einen Platten hat.
Die Weiten Feuerlands lehren Frederic Fritz, was Wind wirklich bedeutet. Es ist nicht nur die Kraft des Sturms, gegen die er auf dem Fahrrad in die Pedale tritt, bis die Oberschenkel brennen, und die trotzdem verhindert, dass er mehr als sieben oder acht Kilometer in der Stunde vorankommt. Es ist nicht nur die Kälte, die ihm entgegenschlägt, auf dem Fahrradsattel, beim Aufstellen des Zeltes, beim notdürftigen Duschen mit der Reisedusche unter freiem Himmel. Es ist vor allem das Getöse, die Lautstärke, mit der der Wind ihm um die Ohren pfeift, Kilometer für Kilometer, Tag für Tag, Woche für Woche. "Das ist für die Nerven brutal", sagt der 32-Jährige n-tv.de, "eine echte Grenzerfahrung". Nirgendwo gibt es einen Baum, der Schutz bietet, bisweilen sind es 100 Kilometer bis ins nächste Dorf, 1000 bis zur nächsten Großstadt.
"Du bist verrückt, Freddy", sagt so mancher oder er denkt es zumindest. Aber Frederic Fritz will genau das. Reisen mit dem Fahrrad bedeutet für den angehenden Gymnasiallehrer die ultimative Freiheit. Nachdem er vor drei Jahren durch 18 Länder von Konstanz nach Myanmar gefahren ist, radelt er nun acht Monate lang 10.000 Kilometer durch Argentinien und Chile und kämpft dabei gegen Naturgewalten. "Alles in Patagonien ist extrem, was die Natur angeht", sagt er.

Die atemberaubende Aussicht vom Zelt aus bleibt monatelang der einzige Luxus.
(Foto: Frederic Fritz)
Dabei startet Fritz erst einmal sehr viel weiter nördlich. Von Buenos Aires aus fährt er gen Westen, bis er auf die Ruta 40 trifft. Die führt ihn nach Ushuaia in Feuerland, die südlichste Stadt der Welt. Dann geht es über die chilenische Carretera Austral wieder hoch in den Norden bis kurz vor die bolivianische Grenze. In Gegenden, in die sich nur alle vier bis fünf Jahre ein Radfahrer verirrt, ist das Interesse der Einheimischen an dem Fremden groß. "Auf anderen Straßen dagegen nimmt das Reiseradeln ganz andere Formen an. Da triffst du bis zu 20 andere Radfahrer täglich", sagt Fritz.
Manchmal begegnet er unterwegs alten Weggefährten, mit denen er einen Teil der Strecke gemeinsam fährt. "Die Berge oder den Sonnenuntergang zu genießen ist schön, aber noch schöner, wenn du das mit jemandem teilen kannst", sagt er. Oft ist aber Einsamkeit sein Begleiter. Tagelang radelt er alleine, schlägt abends fernab jeglicher Zivilisation sein Zelt auf, spricht mit niemandem ein Wort. Belohnt wird er mit atemberaubender Natur, etwa entlang der unerforschten und menschenleeren Gegend um die Carretera Austral mit ihren Gletschern, Seen, Flüssen und kaltem Regenwald.
Ein paar Kilo Reis reichen zum Zufriedensein
Der schöne Ausblick bleibt sein einziger Luxus. Denn mit seinen Fahrradtouren und dem Verzicht auf viele alltägliche Dinge will Fritz Kleinigkeiten mehr wertschätzen und den Blick auf das Wesentliche nicht verlieren. "Wir sind vom Kapitalismus so beeinflusst, dass wir denken, wir bräuchten viel", sagt Fritz. Auf dem Fahrrad merkt er schnell: Das stimmt nicht. Ein paar Kilo Reis in der Satteltasche reichen für mehrere Tage. Wird ab und zu noch etwas Gemüse mit in den Topf geworfen, ist es fast schon ein Festmahl. Zum Frühstück gibt es Brot mit Honig.

Streckenweise fährt Fritz gemeinsam mit alten Weggefährten und genießt es, schöne Momente teilen zu können.
(Foto: Frederic Fritz )
"Auch damit kann man zufrieden sein", sagt der im Schwarzwald aufgewachsene Fritz. "Und wenn du dann in eine Stadt kommst und nach Langem mal wieder eine Cola trinkst, merkst du erst, wie wahnsinnig gut die schmeckt. Diese Erfahrung würdest du nie machen, wenn du jeden Tag eine Cola trinken würdest." Oder die Erfahrung, wie es sich anfühlt, nach Wochen im Zelt wieder auf einer Matratze zu schlafen. Nach der Rückkehr von seiner ersten großen Tour nach Myanmar braucht Fritz deshalb auch in Deutschland nicht viel zum Leben. Jahrelang schläft er in seiner WG auf einer Matratze auf dem Boden, ein Bett erscheint überflüssig. "Wenn ich jetzt zurück komme, weiß ich auch gar nicht, was ich mir kaufen soll", sagt er. "Eigentlich brauche ich ja nicht viel."
Auch während der Reise ist er Minimalist: "Die Kunst besteht darin, so wenig wie möglich mitzunehmen. Ersatzheringe fürs Zelt, ein dicker Pullover für kalte Nächte? "Das ist völlig unsinnig und nimmt viel zu viel Platz weg", weiß Fritz jetzt. "Du brauchst eine leichte Ausrüstung, Sonnencreme, ein gutes Zelt und Medikamente. Aber nicht zehn Unterhosen."
Nur mit der Wasserversorgung ist es schwierig. Wenn die nächste menschliche Siedlung 100 Kilometer entfernt ist, muss das Wasser gut eingeteilt werden: zum Trinken, zum Kochen, zum Waschen. Doch manchmal helfen alle Berechnungen nicht. Irgendwo westlich der argentinischen Stadt General Pico sind die Straßen so schlecht, dass Fritz sein Fahrrad immer wieder durch die Hitze schieben muss. Der angehende Sportlehrer kommt viel langsamer voran als geplant. Gerade als er feststellt, dass er unterwegs eine Flasche Wasser verloren hat, bemerkt er an seinem Fahrrad auch noch einen Platten - 60 Kilometer vom nächsten Dorf und der nächsten Wasserquelle entfernt. "Durst zu haben ist schon ein Erlebnis, das sehr tief geht", sagt Fritz. Dank schlückchenweise rationiertem Wasser schafft er es am nächsten Morgen doch völlig ausgetrocknet in die nächste Siedlung. Dort findet er zwar kein Wasser, aber drei Kilo Wassermelone. Fritz verputzt sie in einem Mal. "Noch nie hat eine Wassermelone so gut geschmeckt." In solchen Momenten merkt Fritz: Das Mentale spielt bei einer solchen Tour eine größere Rolle als eine körperliche Vorbereitung.
Fremde werden zu Freunden
Auch der Austausch mit den Menschen, die er unterwegs trifft, ist Fritz enorm wichtig. Auf seiner ersten Tour nach Asien kommen er und sein Begleiter durch bevölkerungsreichere Gegenden, werden ständig eingeladen. In Armenien lassen es sich die Menschen nicht nehmen, ihnen selbst im bescheidensten Zuhause ein Bett für die Nacht herzurichten und am nächsten Morgen ein üppiges Frühstück - samt Wein und Wodka - zu servieren. Auch im Iran ist die Gastfreundschaft riesig, ein regelrechter Hype bricht um die Reiseradler aus dem Westen aus.
In Südamerika ist es anders als im europäischen und orientalischen Raum. "Die Menschen sind auch sehr freundlich und laden dich mal zum Grillen ein", sagt Fritz. "Einladungen nach Hause zum Übernachten sind aber eher selten." Negative Erfahrungen hat er auf seinen Reisen noch nie gemacht, seine Facebook-Seite heißt deshalb "Vom Guten im Menschen". Und auch auf seinem Blog teilt er die Geschichten derer, die unterwegs von Fremden zu Freunden wurden. So wie die von Philipe, dem Clown, der auf der Straße lebt und an roten Ampeln Menschen zum Lachen bringt. Und hinter dessen Maske sich doch eigentlich ein tieftrauriger, aber hochintelligenter Mensch versteckt, der mit Fritz stundenlang über internationale Politik diskutiert.
Dabei spricht Fritz zu Beginn seiner Reise kaum Spanisch. Einmal ist er drei Tage lang mit Argentiniern unterwegs, die er über die Reiseradler-Community Warmshowers kennen gelernt hat. Er schläft bei ihnen, isst mit ihnen Pizza, geht mit ihnen auf ein Konzert. Fritz spricht kein Wort Spanisch, die Argentinier kein Wort Englisch. Es funktioniert trotzdem. "Man kann sich viel mit Körpersprache verständigen. Und wenn man Danke und Bitte in der Landessprache sagen kann, gewinnt man schon die Herzen der Leute", sagt Fritz. Er spricht einfach drauflos und lernt so schnell dazu. "In jeder Sprache gibt es 50 Wörter, die häufig fallen. Wenn du die kennst, kannst du schon viel kommunizieren." Und während auf der Reise nach Myanmar Georgisch schnell zu Persisch, Tadschikisch und Chinesisch wird, ändert sich in Südamerika in all den Monaten nichts.
Am Ende ergibt selbst die Krankheit Sinn

Fritz kann spontan entscheiden, wohin er fährt und wo er sein Lager aufschlägt. Für ihn ist es die ultimative Freiheit.
(Foto: Frederic Fritz)
Wo auch immer Fritz gerade unterwegs ist: Dank seines Fahrrads kann er spontan entscheiden, wie viel er fahren möchte und wohin, kommt viel in Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung. "Zu Fuß hat man das auch, kommt aber viel zu langsam voran. Mit dem Bus oder Flugzeug verliert man die Freiheit." Von touristischen Attraktionen hält er sich lieber fern. "Man sollte so viel planen wie nötig und so wenig wie möglich, um frei zu sein", sagt er.
Das Schöne am Reisen: Auch wenn man nichts plant, ergibt am Ende oft doch alles Sinn. Wieder zurück im Norden Argentiniens, in San Salvador de Jujuy, bekommt Fritz gesundheitliche Probleme und kann nicht weiterfahren. Fast zeitgleich verliebt er sich in Argentinierin Laura und die unfreiwillige Pause wird zur freiwilligen. Und sein Fahrrad und die Ausrüstung, das Zuhause der vergangenen sieben Monate, hat er ohnehin schon dem Geologen Conrado versprochen, den er Monate zuvor in einer der größten Goldminen Lateinamerikas kennengelernt hatte. Conrado möchte mit dem Fahrrad um die Welt reisen, viel Geld hat er aber nicht und allzu viel Zeit auch nicht - Conrado hat MS. Mit dem Ende von Fritz' Reise kommt nun Conrado dem Start seines eigenen Traums ein Stück näher. Und auch für Fritz, der seit Kurzem wieder zurück in Deutschland ist und auf Laura wartet, die nachkommen will, ist es eher eine Unterbrechung als das Ende. Irgendwann, da will er sich wieder auf den Sattel setzen und weiter gen Norden fahren. Genau dort, wo seine Reise für dieses Mal zu Ende ging.
Quelle: ntv.de