Fuckable-Zwang und Mama-Stress "Wir brauchen mehr Gelassenheit!"
14.10.2018, 16:29 Uhr
Das alte Spiel zwischen Heilige und Hure: Frauen sollen liebevolle Mütter sein, aber bitte auch sexy und attraktiv.
(Foto: imago/Ikon Images)
Die Sexualpädagogin Katja Grach stellt die These auf, dass für Frauen heutzutage ein Milf-Zwang besteht. Von ihnen wird erwartet, dass sie liebevolle Mutter und sexy Partnerin zugleich sein sollen. Ein Druck, der kaum auszuhalten ist.
n-tv.de: Frau Grach, für diejenigen, die die Abkürzung noch nie gehört haben. Was ist denn jetzt eigentlich eine Milf?
Katja Grach: Milf ist die Kurzform von "Mother I'd like to fuck". Und bedeutet: Der Attraktivitätsdruck, dem das "schöne Geschlecht" ohnehin schon unterworfen ist, hört auch als Mutter nicht auf. Prominente machen es vor: Kaum ist das Kind auf der Welt, präsentieren uns Promis auf Instagram und Co. ihren wieder perfekten, schlanken After-Baby-Body. Und so steigt auch der Druck auf "normale" Frauen, nach der Geburt schnell wieder in Topform zu sein.
Woher kommt dieser Druck? Machen Frauen sich den Druck selber oder kommt er von außen?
Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, wo in jedem Bereich Selbstoptimierungsdruck herrscht. Dank Social-Media werden wir jeden Tag mit Bildern überflutet. Es geht darum, möglichst ästhetische Formen zu inszenieren. Natürlich lädt jeder lieber ein Foto hoch, auf dem der Busen größer, der Bauch flacher und das Gesicht faltenfreier aussieht. Und obwohl es jeder macht, wird dabei übersehen, dass die Bilder nachbearbeitet sind. Bei uns entsteht also die Illusion, dass bei allen anderen immer alles perfekt aussieht. Durch diese ständige Vergleichbarkeit und auch durch uns selbst entsteht dann dieser Druck.
Wie sollten Frauen diesem Druck begegnen? Sollen sie sich ihm unterwerfen oder entschlossen entgegentreten?
Ich glaube, wir brauchen mehr Gelassenheit. Wenn ich mich dem Druck unterwerfe oder mich ihm entgegenstelle, brauche ich irrsinnig viel Kraft. Besser ist es, damit zu spielen und vielfältig zu sein: Es ist ja absolut legitim, High Heels anzuziehen und sexy aussehen zu wollen. Aber es ist genauso okay, Tage zu haben, an denen man nicht perfekt enthaart ist und in gammligen Jogginghosen herumrennt.
Warum überwiegen in den sozialen Netzwerken Bilder von sexy Müttern in High Heels?
Ich weiß nicht, ob sie überwiegen - wir sind ja alle in unseren Filterblasen unterwegs. Aber ich denke, generell schauen wir uns gerne schöne Dinge an, und erfreuen uns gern an hübschen Klamotten. Ich selbst trage keine High Heels, stelle aber auch lieber Fotos von mir ins Netz, die mehr nach "BÄM" als nach "ÖRPS" ausschauen. Ich finde nicht, dass Styling das Problem ist. Problematisch finde ich eher, wenn unsichtbar ist, welche Arbeit dahinter steckt oder dass Menschen sich nur eindimensional präsentieren und #happy und #hot so gepusht werden. Dadurch fühlt mensch sich automatisch unzulänglich, wenn dieser Reigen an Perfektion mit dem eigenen Leben verglichen wird. High Heels sind auch #realness. Aber für die allermeisten nicht 24/7.
Was bewirkt denn dieser Selbstoptimierungsdruck bei Müttern?
Überlastung. Ich weiß jetzt die Zahlen nicht, aber es gibt Statistiken für Deutschland zu Burn Out bei Müttern aufgrund des Drucks von allen Seiten. Das Fuckability-Thema ist da einfach nur die Draufgabe. Wenn eh schon alles anstrengend ist, dann gibt dir die Unzufriedenheit mit deinem Körper und die Sisyphusarbeit daran nur noch den letzten Kick an "das hast du auch nicht geschafft" oder "du musst härter an dir arbeiten."
Was macht - Ihrer Meinung nach- heutzutage eine gute Mutter aus?
Das ist eine schwierige Frage, weil ich nicht gerne in gut und schlecht einteile und Müttern diesen Stempel nicht aufdrücken will. Wir handeln ja alle mit dem Wissen und den Rahmenbedingungen, die wir zur Verfügung haben. Ich bin selbst auch immer wieder mal mit meinem Latein am Ende oder handle nicht immer so, wie ich es mir wünschen würde. Eine ausgeglichene Mutter macht vermutlich aus, wenn sie nicht versucht, einem Ideal der "guten Mutter" gerecht zu werden.
Wie sind Sie auf Ihre Milf-These gekommen und warum fanden Sie es notwendig, diese aufzuschreiben?
Dem Milf-Buch liegt eine Masterarbeit über die Kulturgeschichte der bösen Frauen und wie daraus böse Mädchen wurden zugrunde, die ich für das Studium der Interdisziplinären Geschlechterstudien verfasst habe.
Was ist die Zukunft der Milf? Ist das Ganze noch steigerbar?
Es macht sich bereits Unzufriedenheit breit. Der Druck ist einfach zu groß. Man schafft es nicht immer irgendwelchen Idealen hinterherzulaufen. Und es ist einfach nervig. Als Mutter hat man doch eigentlich andere Sorgen. Ich glaube, je mehr Frauen sich Gelassenheit gönnen, desto mehr wird klar werden, was Realität und was Fiktion ist.
Müssen Männer heutzutage nicht auch männliche Milfs sein?
Im Prinzip ist jeder Mann, der ein Baby halten kann, schon attraktiv. Es war noch nie ein Widerspruch Vater zu sein und sexuell attraktiv zu sein. Aber man merkt schon, dass sich die Beauty-Industrie seit den 90ern auf die Männer gestürzt hat. Aber der Druck, der auf ihnen lastet, ist ein anderer. Das Körperbild von Männern ist wesentlich vielfältiger und nicht so krass codiert wie bei Frauen, aber in den vergangenen 50 Jahren hat sich im Rollenverständnis von Mann und Frau schon viel verändert. Damit müssen Männer und Frauen auch erst mal zurechtkommen. Meine Großeltern haben sich zum Beispiel nicht über Beziehungsarbeit Gedanken gemacht oder wie man das mit der Kindererziehung gemeinsam schafft. Da war klar, wer dafür zuständig ist. Außerdem wünschen sich alle ein Leben lang sexuelle Leidenschaft in der Beziehung und Attraktivität. Ich glaube, dass das in allen Bereichen auf Männer und Frauen Druck ausübt.
Mit Katja Grach sprach Kira Pieper
Quelle: ntv.de
